Veröffentlicht 20. Oktober 2014 von Stephanie Hanel
Paul Dirac. Zum dreißigsten Todestag des stillen Genies.
Sein wissenschaftliches Werk hat den Grundstein für die moderne Quantenphysik gelegt, seine Bücher sind noch heute Standardwerke und viele haben zumindest schon mal einen der nach ihm benannten Begriffe gehört. Aber der Mensch hinter den Begriffen ist weitgehend unbekannt. Wer war Paul Dirac?
Zunächst einmal war er einer der jüngsten Nobelpreisträger – er teilte sich 1933 mit 31 Jahren den Physik-Nobelpreis mit Erwin Schrödinger. Sie erhielten diese Ehrung „für die Entdeckung neuer produktiver Formen der Atomtheorie“. Es war eine fruchtbare Zeit für die Physik und im Rückblick sieht es aus, als ob die Zeit reif für neue Erkenntnisse, das Verknüpfen verschiedener Theorien und somit ein neues wissenschaftliches Zeitalter gewesen wäre. Vielleicht konnte das nur deshalb funktionieren, weil die vielen beteiligten, ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten, im engen Austausch waren und wechselweise von ihren Erkenntnissen profitierten.
Begonnen hatte die Entwicklung der modernen Quantenmechanik mit der Formulierung der Matrizenmechanik durch Werner Heisenberg, Max Born und Pascual Jordan. Wenige Monate später entwickelte Erwin Schrödinger über einen anderen Ansatz die Wellenmechanik und die Schrödingergleichung. Paul Dirac wiederum vereinigte ab circa 1927 die Quantenmechanik mit der speziellen Relativitätstheorie. Wie es in den Informationen zur Nobelpreisvergabe heißt:
„The importance of Dirac’s work lies in his famous wave equation, which introduced special relativity into Schrödinger’s equation. Taking into account the fact that, mathematically speaking, relativity theory and quantum theory are not only distinct from each other, but also oppose each other, Dirac’s work could be considered a fruitful reconciliation between the two theories.“
Diracs Theorie der Elektronenbewegung (Quantum Theory of the Electron) führte 1928 zur Behauptung der Existenz eines mit dem Elektron identischen Elementarteilchens, das sich nur durch seine Ladung vom Elektron unterscheidet. Während das Elektron eine negative Ladung hat, sollte das hypothetische Teilchen eine positive Ladung haben. Der amerikanische Physiker Carl Anderson bestätigte diese Theorie 1932 mit der Entdeckung des Positrons. Paul Dirac legte auch die Grundlagen für den späteren Nachweis von Antimaterie. Mit Diracs Namen sind zudem viele Begrifflichkeiten der Physik – wie beispielsweise die Dirac-Konstante oder der Dirac-See – verbunden und er gilt mit Enrico Fermi als Erfinder der Statistik der Fermionen, bekannt als die sogenannte Fermi-Dirac-Statistik.
Diracs ganzes wissenschaftliches Leben war von einer großen Produktivität gekennzeichnet, die er bis ins hohe Alter beibehielt. An der Lindauer Tagung hat er nicht weniger als elfmal teilgenommen, und bei zehn der Treffen jeweils einen Vortrag gehalten. Nicht nur, dass er darin immer wieder neue Themen aufgriff, er bezog sich auch auf die Beiträge anderer Tagungsteilnehmer und deren Theorien. Sein Schaffen hatte ohne Frage eine große Bandbreite. In der Lindauer Mediathek finden sich vier seiner Reden als Tondokumente. Dirac spricht jedes Wort für sich, sehr deutlich und in kurzen Sätzen. Ihn selber sprechen und gehen zu hören – wenn er vom Mikrofon zur Tafel wechselt, um etwas aufzuschreiben – hat eine eigene Faszination. Bei den Tonmitschnitten finden sich auch die profunden Kommentare von Anders Bárány, die das Gehörte gut ergänzen und die Einordnung erleichtern. Es heißt, Dirac hätte einmal geäußert, ihm wäre in der Schule beigebracht worden, dass man immer das Ende eines Satzes wissen müsse, bevor man begänne zu sprechen. Diese Maxime ist deutlich spürbar.
Dirac war wohl eine zurückhaltende Persönlichkeit. Es heißt, dass es ihm nichts ausmachte, in Gesellschaft zu schweigen und auf Fragen nur sehr wortkarge, einer strikten Wahrheitsliebe verpflichtete Antworten zu geben. Vielleicht gab es einen autobiografischen Grund dafür? Dirac selbst soll sich laut seinem Biographen Graham Farmelo äußerst kritisch über die strenge Erziehung durch seinen Vater geäußert haben. Schon für kleinste Fehler bei der französischen Konversation am Essenstisch, die er als einziges der drei Kinder mit seinem Vater pflegen musste, wurde er bestraft. Charles Dirac, sein Vater, stammte aus der französischsprachigen Schweiz und war Französisch-Lehrer an der späteren Schule seines Sohnes. Seine Mutter, Florence Holten, war gebürtige Engländerin und arbeitete als Bibliothekarin. Die Diracs lebten in Bristol, GB, wo ihr Sohn Paul am 8. August 1902 zur Welt kam.
Paul Dirac schloss nach seiner Schulausbildung zunächst ein Studium zum Elektroingenieur mit Bestnote ab, fand aber aufgrund der wirtschaftlichen Lage keine Arbeit. Deshalb studierte er im Anschluss mit zwei kombinierten Stipendien erst Mathematik in Bristol (Abschluss 1923) und dann Physik in Cambridge (PhD 1926) bei Ralph Fowler.
Ab 1937, dem Jahr der Heirat Paul Diracs mit Margit Wigner, hatte Dirac eine eigene Familie. Er adoptierte den Sohn Gabriel und die Tochter Judith aus Margits erster Ehe und das Paar bekam zwei Töchter, Mary Elizabeth und Florence Monica. Margit Wigner war die Schwester des Nobelpreisträgers Eugene Wigner, gebürtige Ungarin aus Budapest, und sie hatte Paul Dirac bei einem Besuch ihres Bruders kennengelernt.
Dirac war zwar ein zurückhaltender und bescheidener Mensch, aber kein versteckter Gelehrter in einem einsamen Kämmerchen. Er unternahm als junger Mann ausgedehnte Reisen und studierte und lehrte als Gastprofessor an zahlreichen Universitäten. Später war Dirac über dreißig Jahre als Mathematikprofessor an der Universität von Cambridge tätig und wechselte dann – um in der Nähe seiner älteren Tochter Mary zu sein – an die State University of Tallahassee, Florida. In seiner Wahlheimat Tallahassee endete Paul Diracs erfülltes wissenschaftliches und privates Leben am 20. Oktober 1984.