Veröffentlicht 12. November 2015 von Stephanie Hanel
Gene-Editing mit CRISPR-Cas9
Wie so oft bei großen Entdeckungen ergab sich das spektakuläre Ergebnis aus Grundlagenforschung, der Entdeckung eines bisher unbekannten Mechanismus und dessen Entschlüsselung. Denn die Methode, die wir heute als Gen-Editing-Methode CRISPR-Cas9 kennen, nutzten ursprünglich nur Bakterien, die Viren damit unschädlich machten.
Die Französin Emmanuelle Charpentier, die am Institute Pasteur promovierte, beschäftigte sich schon seit langem mit der Virenabwehr von Bakterien. Sie hatte bereits einige grundlegende Entdeckungen rund um CRISPR (clustered regularly interspaced short palindromic repeats) gemacht, aber der entscheidende Durchbruch war ihr noch nicht gelungen. Dann lernte sie auf einer Konferenz Anfang 2011 die Amerikanerin Jennifer Doudna kennen und die beiden Forscherinnen beschlossen zu kooperieren. Doudna ihrerseits war 2005 auf Mikroben mit ungewöhnlichen, sich wiederholenden Sequenzen aufmerksam geworden und versuchte seitdem, den dahinter liegenden Mechanismus zu ergründen. Doudna sagt rückblickend: „I remember thinking this is probably the most obscure thing I ever worked on.“ Doudna war zu diesem Zeitpunkt keine Unbekannte mehr, sie hatte ihre Doktorarbeit im Bereich RNA-Forschung beim späteren Nobelpreisträger Jack Szostak gemacht, und als Postdoc ihre Ergebnisse mit Hilfe der Röntgenkristallographie visualisiert. Beides so erfolgreich, dass sie den Alan T. Waterman Award der National Science Foundation erhielt. Charpentier wiederum betrieb, nach Stationen in den USA und Österreich, in Schweden an der Universität in Umea gut ausgerüstete mikrobiologische Grundlagenforschung.
Was passiert nun, wenn ein Bakterium einen Virus abwehren möchte? Doudna vergleicht in einem aktuellen TED-Vortrag eindringende Viren mit einer Zeitbombe: Die Bakterien haben nur wenige Minuten, um die Bombe zu entschärfen, bevor sie explodiert. Dafür haben viele Bakterien in ihren Zellen ein Immunsystem, eben CRISPR, das es ihnen ermöglicht, die Viren-DNA zu erkennen und zu zerstören. Ein essentieller Teil des CRISPR-Abwehrsystems ist das Protein Cas9. Es zerschneidet nicht nur die DNA, sondern integriert auch Teile davon sozusagen als Kopie, also eine Aufzeichnung der Infektion, die man als zelleigenen Impfausweis bezeichnen könnte. Die Kopie, also die RNA, bezeichnet Doudna als ‚chemischen Cousin’ der DNA.
Als sich Charpentier und Doudna zusammen mit den Postdocs Martin Jinek und Krzysztof Chylinski ans Werk machten, konnten sie herausfinden, wie sich zwei Stücke RNA mit dem Protein Cas9 verbanden und danach die DNA an einem bestimmten Punkt zerschnitten. Das war der Moment als alle Beteiligten realisierten, dass das zelleigene Abwehrsystem nicht nur dafür geeignet ist, Viren zu töten, sondern auch für die Bearbeitung von Genen. Sogenannte ‚guide RNA’ kann auf den Weg geschickt werden, um sich an einer Stelle des Genoms anzuheften und das Cas9 Protein zerteilt dann die DNA. Danach können entweder Teile entfernt oder hinzugefügt werden – vergleichbar mit dem Vorgang des Filmschnitts. Das Team um Doudna und Charpentier konnte so bereits im Juni 2012 ein Paper in Science veröffentlichen, das die neue Technik beschrieb. Dieses Paper war eine Initialzündung.
Bevor sich die Pionierinnen versahen, setzte ein Wettlauf mit der Zeit ein. Die neue Methode war ja noch nicht in menschlichen, pflanzlichen und tierischen Zellen ausprobiert worden: Es ging, wie nicht anders zu erwarten, um Patentrechte. Doudna schaffte es zwar schon im Januar 2013 einen Bericht über die Anwendung der Methode in einer menschlichen Zelle zu veröffentlichen, aber zwei Forscher waren vier Wochen schneller, sie hatten gleichzeitig veröffentlicht: George Church von Harvard und Feng Zhang vom Broad Institute. Die Patentrechte gingen an Zhang, aber die University of California, an der Doudna arbeitet, ficht dieses Urteil an. Zudem haben alle jeweils eigene Firmen gegründet bzw. bei Firmengründungen geholfen, die nun im Wettstreit liegen. Doudna und Charpentier blieben befreundet, arbeiten aber nicht mehr zusammen.
Der wissenschaftliche Durchbruch der beiden Pionierinnen erfuhr eine große Ehrungswelle – beide Forscherinnen erhielten viele wichtige Auszeichnungen, u.a. dieses Jahr den hochdotierten Breakthrough Prize. Emmanuelle Charpentier arbeitet seit 2013 in Deutschland, zunächst als Humboldt-Professorin, aktuell als Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Bei Thomson Reuters galten Doudna und Charpentier aufgrund der hohen Zahl an Zitierungen als Favoritinnen für den diesjährigen Chemie-Nobelpreis. Tatsächlich wird ihre Entdeckung in Fachkreisen als der größte Durchbruch in der Biologie seit der Polymerase-Kettenreaktion (die es ermöglichte DNA in vitro zu vervielfältigen) bezeichnet. Wahrscheinlich wird sich das Nobelkomitee aber Zeit lassen, um die weitere Entwicklung zu beobachten.
Neu ist nicht die Möglichkeit, das Genom zu manipulieren, sondern die elegante Methode, die preiswert und im Prinzip jedem Forscher zugänglich ist. Der Nutzen für die Medizin liegt auf der Hand: Es besteht Aussicht auf die Heilung von Erbkrankheiten. Außerdem gäbe es über den sogenannten ‚Gene-Drive’ die Möglichkeit, den langsamen Weg der klassischen Vererbung zu umgehen und ganze Population krankheitsübertragender Moskitos auszurotten. Doudna selbst aber wird nicht müde, davor zu warnen, dass diese Technik nicht nur für medizinische Zwecke, sondern auch dafür verwendet werden könnte, Menschen zu optimieren und das bereits im Spermium, der Eizelle oder dem menschlichen Embryo. Noch reicht das Wissen dafür nicht aus, aber es ist theoretisch möglich geworden.
„So, genome-engineered humans are not with us yet, but this is no longer science fiction.“ (Zitat Jennifer Doudna)
Slider: Emmanuelle Charpentier, Falling Walls 2015, Foto: Kay Herschelmann