BLOG

Veröffentlicht 18. März 2016 von Stephanie Hanel

Gene-Drive: Evolution auf der Überholspur

Vererbungslehre mit der Gen-Schere

Es geht um nicht weniger als die Steuerung der Evolution durch den Menschen – zugegeben erst einmal auf Mücken-Niveau, vom Prinzip her aber übertragbar.

Momentan liegt der Fokus auf dem Kampf gegen von Mücken übertragene Krankheiten wie Malaria und auch Zika. Bisherige Methoden beispielsweise eine Tsetsefliegen-Population durch radioaktive Bestrahlung unfruchtbar zu machen und dann durch Paarung mit der Freiland-Population einen Zusammenbruch der gesamten Population zu erreichen, waren erfolgreich mit zwei Einschränkungen: Die Populationen können sich durch Einwanderung wieder erholen und die Methode funktioniert nicht bei Mücken. Bestrahlte Mücken sind nicht fit genug, um in der Freilandkonkurrenz zum Zuge zu kommen.

Damit kommen wir zur aktuellen Wunderwaffe – so elegant und einleuchtend wie gleichzeitig erschreckend. Nicht die Idee das Mücken-Problem mit genetischen Veränderungen anzugehen ist neu, sondern der Trick die CRISPR-Cas9-Methode einzusetzen, um die Evolution zu beschleunigen. Und zwar nur die gewünschte. Das heißt: Gene-Drive, Genantrieb, bewirkt, dass bei jeder Paarung einer Mücke mit veränderten Genen mit einer ‚normalen’ Mücke nur noch Mücken mit der gewünschten Vererbung entstehen und so innerhalb kürzester Zeit alle Mücken entweder steril sind, oder den Erreger nicht mehr übertragen. Damit wäre der Weg der Viren von der Mücke auf den Menschen langfristig geblockt.

 

iStock_000085611779_Large_credit_luismmolina
Zika-Virus, Copyright: iStock.com/luismmolina

Wie die CRISPR-Cas9-Methode zur genetischen Kettenreaktion wird

Die beschleunigte Ausbreitung von Genen in einer Mücken-Population funktioniert etwas vereinfacht dargestellt so: Zunächst wird eine Eizelle oder ein Spermium in der gewünschten Form editiert, und dieser Eingriff wird bei der Befruchtung, also dem Zusammentreffen mit einem unveränderten Chromosom, automatisch wiederholt, da man beim ersten Eingriff auch das Werkzeug für den nächsten hinterlässt. Der Reparaturmechanismus der Zelle spielt der gewünschten Veränderung in die Hände. Das neue Genom wird immer dort eingepflanzt wo zuvor das Ursprungsgenom saß. Jedes Mal, wenn durch Befruchtung eine andere Genvariante dazukommt, wird sie erneut eliminiert.

Welche konkreten Forschungsergebnisse gibt es?

Nachdem im Sommer 2014 die ersten Forscher vorschlugen, CRISPR für den angestrebten Gene-Drive zu nutzen, hatten 2015 bereits zwei Teams Erfolge damit aufzuweisen. Eine kalifornische Forschergruppe schuf Mücken, die keine Malaria-Erreger mehr übertragen und Wissenschaftlern in Großbritannien gelang ein vergleichbarer Erfolg mit nahezu sterilen Mücken. Der nächste Schritt wären ähnliche Ergebnisse für die Tigermücke, die neben Zika auch Gelbfieber, Dengue und andere Krankheiten überträgt. Eine britische Firma testet bereits genetisch veränderte Tigermücken in Freiland-Versuchen. Das neue Gen verhindert hier, dass die Männchen Nachkommen zeugen. Ziel war es, die Übertragung von Dengue-Viren zu verhindern. Freilandversuche mit Gene-Drive manipulierten Insekten gibt es wohl noch nicht. Und das ist auch gut so, wie einige Wissenschaftler/innen betonen. Zumindest die Protagonisten sind sich in der Einschätzung weitgehend einig, dass sie da etwas Größeres angefasst haben und fordern selbst die nötige öffentliche Diskussion und staatliche Regulierung ein. Sie wollen keine Wild-West-Manieren in der Wissenschaft, die schon in den Anfängen der Entwicklung das öffentliche Ansehen und das Vertrauen der Gesellschaft in diese wissenschaftliche Entwicklung gefährden könnten. Wie immer bleibt die Frage, ob sich diesem Gedanke auch alle Forschenden verpflichtet fühlen. Und ob eine öffentliche Diskussion ohne Skandal in die Gänge kommt – so zynisch das auch klingen mag.

Entwicklungspotential und mögliche Gefahren

Was wären weitere mögliche Einsatzgebiete des Gene-Drives? Zunächst einmal ist der Einsatz bei jeder Art denkbar, die sich sexuell fortpflanzt und eine relativ schnelle Generationenfolge aufweist, also Insekten, Tiere wie Mäuse und Ratten und viele Pflanzenarten. Tatsächlich denken Forscher darüber nach, ob Gene-Drive eine Methode wäre, um invasive Arten wieder auszurotten – ein prominentes Beispiel wären die Aga-Kröten in Australien. Desweiteren wird über Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft spekuliert, um den Kreislauf vom Einsatz gefährlicher Chemikalien und den im Anschluss entwickelten Resistenzen zu umgehen.

 

iStock_000083983457_Large_credit_GordZam
Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), Copyright: iStock.com/GordZam

Die möglichen Risiken sind auch schon aus der bisherigen Gentechnikdebatte bekannt: Was, wenn genmanipulierte Lebewesen weitermutieren, oder veränderte Gene auf andere Arten übergehen? Wie sieht es mit den Folgen für die Ökosysteme aus? Das Übergreifen auf andere Arten wollen die Forscher umgehen, indem sie sich im konkreten Beispiel auf moskitospezifische Gene beschränken. Was die Folgen für die Ökosysteme angeht, die bereits bei der Abtötung von Mücken-Arten beobachtet und dokumentiert wurden und belegen, dass Spinnen, Libellen und Vogelarten zurück gehen, stünde dann wohl die Frage der Kosten-Nutzen-Abwägung im Raum. Aber wer beantwortet diese? Bisher existiert hierfür kein gesetzlicher Rahmen.

Um auf die spezifische Gene-Drive Methode zurückzukommen: Der geschilderte Mechanismus, dass sich das Ausschneiden und Ersetzen einer bestimmten Gensequenz einfach immer nur wiederholt, ist der größte Knackpunkt. Denn das Einsetzen der neuen Gensequenz ist nicht die einzige Methode mit der die Zelle auf die neue ‚Leerstelle’ reagieren kann. Sie kann auch einfach die beiden entstandenen Enden direkt aneinanderfügen. Das kann von Art zu Art sehr unterschiedlich sein und ist wohl bei Mücken überschaubar, bei Fliegen hingegen schon sehr viel komplizierter. Die Wirkung hängt davon ab, ob die Gattung vorwiegend reproduzierenden Gesetzmäßigkeiten unterliegt oder stark optimiert.

Sicherheitsmaßnahmen und potentielle Gegenstrategien bei Fehlentwicklungen

Es gibt verschiedene Sicherheitsmaßnahmen: Eine Gene-Drive veränderte Spezies beispielsweise nur dort züchten, wo sie auch dann nicht überleben würde, wenn sie trotz größter Sicherheitsmaßnahmen doch dem Labor entkäme. Oder die Auswirkungen auf ein abgegrenztes Ökosystem testen, wobei die Spezies zwar genverändert ist, aber ohne den Evolutionsbeschleuniger.

Aber auch systemimmanente Methoden werden in Betracht gezogen: Ein sogenannter Split-Drive, bei dem die verschiedenen Komponenten des Gen-Drive voneinander getrennt eingebaut werden, d.h. Teile im Genom, andere auf DNA außerhalb davon – was die Ausbreitung in Wildpopulationen wiederum verlangsamen würde. Auch von der Möglichkeit eines zweiten Gen-Drives, den man dem ersten hinterher schicken könnte, um den Effekt zu stoppen, ist die Rede. Tatsächlich wurde dieser sogenannte molekulare Radierer schon getestet und funktionierte – im Labor. Es wird ein Spiel mit dem Feuer bleiben. Um es mit den Worten eines der Pioniere des Gen-Drives zu sagen: “Wir müssen überlegen, für welchen Nutzen wir welche Risiken eingehen wollen“ (Kevin Esvelt).

Stephanie Hanel

Stephanie Hanel is a journalist and author. Her enthusiasm for the people behind science grew out of her work as an online editor for AcademiaNet, an international portal that publishes profiles of excellent female scientists. She is an interested observer of new communication channels and narrative forms as well as a dedicated social media user and science slam fan.