Veröffentlicht 27. August 2014 von Fabiola Gerpott
Fabiolas letzter Tag: Wiederkommen als Nobelpreisträger?
Tagungsteilnehmerin Fabiola Gerpott mit ihrem Bericht zum letzten Tag von #LindauEcon14.
Samstag, 23.08.2014: Um 7.15 Uhr heißt es: Ahoi und ab auf’s Schiff! Im Lindauer Hafen begibt sich eine Schar mehr oder weniger wach aussehender Nachwuchswissenschaftler auf das bereitliegende Boot mit dem zum Wetter passenden Namen „Sonnenkönigin“. Der gestrige bayrische Abend hat bei den aufstrebenden Forschern Spuren hinterlassen… Doch schlapp machen gilt nicht, heute steht ein letzter Höhepunkt an: Eine Schiffstour zur Insel Mainau, auf der die Abschlussveranstaltung stattfindet.
Der erste Teil der Reise ist kurz – nach etwa 15 Minuten kommen wir in Bad Schachen an, wo die Nobelpreisträger zu uns stoßen. Auf der weiteren Fahrt bleibt Zeit zum Frühstücken mit interessanten Gesprächen und kurzweiligem Rahmenprogramm. Der öffentliche Dank für das Organisationsteam wird von großem Applaus begleitet – die Vorbereitung und Durchführung ließ wirklich keine Wünsche offen. Anka Wittenberg, Chief Diversity & Inclusion Officer der SAP AG, und Gräfin Bettina Bernadotte, Präsidentin des Rats der Lindauer Nobelpreistagungen, danken den zahlreichen (privaten und kommerziellen) Unterstützern ohne die eine solche Veranstaltung nicht möglich wäre. Nach etwa zweistündiger Fahrt erreichen wir schließlich ohne seekrankheitsbedingte Zwischenfälle die Insel Mainau im nordwestlichen Teil des Bodensees.
Wir begeben uns zum Schloss und nehmen unsere Plätze auf den Stühlen eines eigens aufgebauten Zelts im Garten ein. Nach einleitenden Worten von Gräfin Bernadotte hält Königin Silvia von Schweden die Willkommensrede in ihrer Rolle als Gründerin der World Childhood Foundation. Im Rahmen der Tagung wurde ein Preis für die Entwicklung wegweisender, mit dem Zweck der Stiftung verbundener Marketingkonzepte für lokale Unternehmen vergeben. Die Königin überreicht den Award an einen jungen Nachwuchswissenschaftler aus China und appelliert bei dieser Gelegenheit an alle anderen Tagungsstipendiaten, als zukünftige Führungskräfte auch die damit einhergehende soziale Verantwortung wahrzunehmen.
Im Anschluss beginnt die Podiumsdiskussion über das Thema „Wie nützlich ist die Ökonomie – Wie kann die Ökonomie nützlich sein ?“ Es diskutieren die Nobelpreisträger Peter A. Diamond , Robert C. Merton und Alvin E. Roth unter der Moderation von Torsten Persson (Institut für internationale Ökonomie, Universität Stockholm). Die Grundproblematik ist bekannt: Die Ökonomie verliert sich oftmals in abstrakten Modellen mit strikten Beschränkungen und zum Teil unrealistischen Annahmen. Letztendlich soll die Ökonomie aber zur Behebung von Problemen der realen Welt beitragen – funktioniert diese Zusammenführung bzw. wie kann sie funktionieren?
Professor Diamond beginnt mit einer Definition dessen, worin sich die Ökonomie von anderen Disziplinen unterscheiden: (1) Durch ihre Betonung der Funktion von Anreizen, (2) durch den Fokus auf Feedback, d.h. Rückmeldungen des Einzelnen/der Systeme auf bestimmte Aktivitäten oder Veränderungen sowie (3) durch die Unterscheidung von Korrelationen und Kausalitäten. Er ermahnt die Ökonomen, sich nicht im Sinne der Politik einspannen zu lassen, sondern das eigene Verständnis für Politik zu erhöhen und dabei Unabhängigkeit zu bewahren. Er selbst geht gleich als Beispiel voran. Auf Fragen aus dem Publikum, die sich außerhalb seines Forschungsfeldes bewegen, verweigert er charmant und humorvoll die Antwort: Er wisse auch nicht, warum es üblich sei, Nobelpreisträgern alle möglichen Fragen zu stellen. Die Literatur [auf die sich die Publikumsfrage bezog] habe er nicht gelesen, deswegen setze er aus. Manchmal ist weniger eben doch mehr!
Auch Merton verweist auf die Aufgabe der Ökonomen, die Vor- und Nachteile bestimmter Modelle, Vorgehensweisen oder Regelungen aufzuzeigen. Sie sollten die eine und die andere Seite der Medaille aufzeigen und auf diese Art und Weise Trade-Offs deutlich machen. In diesem Zusammenhang sei es aber notwendig daran zu denken, dass die Entscheidungen durch andere (z. B. Politiker, Verantwortungsträger) getroffen werden müssen. Durch die Vermischung beider Aktivitäten hätten sich einige Ökonomen in der Vergangenheit leider unglücklich verhalten – für Merton ist die Konzentration auf Fakten und deren objektive Darstellung entscheidend. Ökonom zu sein ist für ihn ein toller Beruf, der allerdings mit hoher Verantwortung einhergeht. Dem Feld sollte stets bewusst sein, dass Modelle Abstraktionen von der Realität und nicht die Realität selbst sind, ansonsten können schwerwiegende Missverständnisse und Fehlentscheidungen resultieren.
Professor Roth argumentiert für den Nutzen der Ökonomie zunächst unter Rückgriff auf sein eigenes Forschungsfeld, dem Design von Märkten. Er nennt das Vorgehen in seinem Fach eine „kombinierende Kunst“, da unter Rückgriff auf verschiedenste Methoden versucht wird, die Gestaltung von Märkten zu untersuchen und zu gestalten. Diese Kombination verschiedenster Methoden sowie das Lernen von anderen Disziplinen und Menschen seien Aspekte, die in Zukunft wichtiger denn je für die Weiterentwicklung der Ökonomie sind. Die Augen sind also offen zu halten: „Viele Dinge, die Ökonomen angehen, kommen von außerhalb der Ökonomie!“
Insgesamt sind sich die Forscher in ihren Auffassungen weitestgehend einig: Die Ökonomie ist in der Lage, großen Nutzen zu generieren. Sie stellt jedoch ein vergleichsweise junges Forschungsfeld dar in dem nach wie vor sehr viele Probleme unverstanden sind. Es bleibt also noch viel zu tun für uns Nachwuchsforscher!
In der Mittagspause haben wir freie Restaurantwahl auf der Insel. Dies gestaltet sich schwieriger als gedacht: Alles Teilnehmer gleichzeitig in den gastronomischen Angeboten unterzubringen scheint eine nicht lösbare Verteilungsproblematik – zu viele Menschen für zu wenig Stühle. Doch die Wissenschaftler sind ein kontaktfreudiges und pragmatisches Völkchen, so dass letztendlich doch jeder die verdiente Stärkung erhält. Es bleibt noch Zeit für einen kurzen Rundgang über die Insel bis die Abschlussrede von Gräfin Bettina Bernadotte beginnt.
Nach emotionalen Schlussworten heißt es um 16.15 Uhr erneut: Leinen los! Gut zwei Stunden später enden die diesjährigen Nobelpreistagungen mit der Ankunft des Schiffes im Hafen von Lindau. Etwa 460 Nachwuchswissenschaftler und 17 Nobelpreisträger haben zusammen diskutiert und gelacht, sich widersprochen und zugesprochen, Thesen, Antithesen und Synthesen entwickelt sowie sich selbst und die ökonomische Forschung weiterentwickelt. Mit etwas Wehmut gehe ich die Landungsbrücke im Lindauer Hafen hinunter und stimme gedanklich den Worten eines Teilnehmers zu, der das Meeting zusammenfasst:
„Es war ein einzigartiges Erlebnis. Leider können wir nicht noch einmal teilnehmen – außer wir kommen als Nobelpreisträger zurück!“