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Veröffentlicht 30. April 2015 von Susanne Dambeck

Die Zukunft der Landwirtschaft

Wäre es nicht großartig, Getreidesorten zu erfinden, die Milliarden Menschen mit wichtigen Nährstoffen versorgen und beim Anbau weniger Chemie brauchen?

Zweifellos wäre es das, aber wie so oft ist die Realität komplizierter. Bekanntlich sind es Unkraut und Schädlinge, die den Bauern am meisten Kopfzerbrechen bereiten. Deshalb enthalten die meisten gentechnisch veränderten Saatgut-Sorten entweder ein Insektizid, oder sie sind resistent gegen ein Pflanzenschutzmittel, oder sogar beides. Als Insektizid wird häufig ein Gen des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis (Bt) verwendet, wodurch die Pflanze ein Toxin herstellen kann. Wenn nun beispielsweise ein Baumwollkapselwurm an einer entsprechend veränderten Baumwollpflanze nagt, stirbt er an dem Bt-Toxin, ebenso ein Maiszünsler, der an Bt-Mais knabbert.

Das meiste gentechnisch veränderte Saatgut ist jedoch gegen ein Unkrautvernichtungsmittel desselben Herstellers resistent. Das verbreitetste Mittel in diesem Zusammenhang heißt „Roundup“ und stammt aus dem Hause Monsanto, weltweit der größte Hersteller gentechnisch veränderter Pflanzen. Saatgut, das gegen Roundup resistent ist, heißt „RoundupReady“. Wenn nun ein Bauer eine entsprechende Sorte anbaut und sein Feld mit Roundup besprüht, dann sterben alle Pflanzen ab und nur der Genmais bleibt stehen. Also muss der Bauer nicht nur jedes Jahr neues, teures Saatgut kaufen, sondern auch noch das passende Unkrautmittel. Doch der Siegeszug der Gen-Landwirtschaft scheint kaum zu stoppen, heute ist praktisch die gesamte Mais-, Sojabohnen- und Maisernte in den USA gentechnisch verändert.

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Praktisch die gesamten Ernten von Mais, Baumwolle und Sojabohnen in den USA sind heute gentechnisch verändert. “HT” steht für “Herbizid tolerant”, “Bt” bezieht sich auf das Bodenbakterium Bacillus thuringiensis. Quelle: US Department of Agriculture

Wenn jedoch dasselbe Pestizid oder Herbizid in große Mengen und wiederholt versprüht wird, entsteht daraus ein „biologischer Selektionsdruck“. Die Folge sind Resistenzen. Sogar die Hersteller ermuntern die Bauern inzwischen, dass sie rings um ihre Genmaisfelder „normalen“ Mais anbauen sollen, damit sich die Maiswurzelbohrer und Maiszünsler dorthin zurückziehen können – und es in Zukunft noch ein paar Schädlinge gibt, die nicht Bt-resistent sind. Denn wenn es zu viele resistente Spezies gibt, müssen weitere Pestizide oder Herbizide zum Einsatz kommen. In Indien wurden erstmals Bt-resistente Rote Baumwollkapselwürmer entdeckt, später fand man ähnliche Resistenzen auch in Australien, China, den USA und Spanien. Monsantos Antwort: Flugs wurde in das Baumwollsaatgut ein zweites insektizides Gen eingeschleust.

Also ist der Kampf gegen Unkraut und Schädlinge noch lange nicht vorbei, wie Befürworter „grüner Gentechnik“ gerne argumentieren. Aber jetzt wird dieser Kampf mit immer neuen, artfremden Genen geführt, nicht mehr nur mit neuen Insektiziden und Herbiziden.

 

Canola-Feld in Saskatchewan, Kanada. Canola ist eine säurearme, sogenannte “Doppelnull”-Rapssorte, das Saatgut ist als RoundupReady-Variante erhältlich. Photo: Nas2, public domain
Canola-Feld in Saskatchewan, Kanada. Canola ist eine säurearme, sogenannte “Doppelnull”-Rapssorte, das Saatgut ist als RoundupReady-Variante erhältlich. Photo: Nas2, public domain

1997 entdeckte der Bauer Percy Schmeiser in Saskatchewan, Kanada, Roundup-resistente Rapspflanzen in seinem Feld. Er hatte kein Monsanto-Saatgut gekauft und entsprechend auch keine Patentlizenz unterzeichnet. Ihm zufolge handelte es sich um eine zufällige Verunreinigung durch die angrenzenden Felder seiner Nachbarn. Schmeiser besprühte das Feld mit Roundup, bis nur noch die resistenten Pflanzen übrigen waren, erntete diese ab und nutzte sie im Folgejahr als Saatgut – was Bauern, die offiziell RoundupReady-Raps anbauen, strengt verboten ist, da Saatgut jedes Jahr neu gekauft werden muss. Monsanto verklagte ihn wegen Patentverletzung – und gewann, sogar vor dem Obersten Kanadischen Gerichtshof verlor Schmeiser. In einen Patentstreit können also nicht nur Käufer von Genpflanzen verwickelt werden, sondern im Prinzip jeder, der zum Beispiel durch genetische Verunreinigung damit zu tun bekommt. Übrigens belegt eine Untersuchung von 2010, dass mittlerweile fast der gesamte wilde Raps veränderte Gene aus den Laboren der Agrochemie enthält.

Einer aktuelle Studie der Universität Bremen zufolge können Maispollen bis zu 4,5 Kilometer weit fliegen und nicht nur ein paar Meter, wie bislang angenommen wurde. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat eine Überprüfung ihrer Zulassungskriterien angekündigt, ein Ergebnis wird für nächsten Monat erwartet. In Europa ist nur eine Sorte Genmais zugelassen und wird auf weniger als einem Prozent der Ackerfläche angebaut. In Deutschland gibt es seit 2012 keinen kommerziellen Anbau mehr, und alle Genveränderungen an Lebensmitteln oberhalb von 0,9 Prozent des Produkts müssen gekennzeichnet werden. Produkte von Nutztieren, die mit Genmais oder Gensoja gefüttert werden, müssen allerdings nicht ausgewiesen werden, es sei denn, sie tragen das Siegel „Ohne Gentechnik“.

Maisernte in Iowa, der Kornkammer der USA. Im Jahr 2014 ernteten US-Bauern 361 Million Tonnen Mais, der Großteil war gentechnisch verändert. Foto: Bill Whittaker, CCL 3.0
Maisernte in Iowa, der Kornkammer der USA. Im Jahr 2014 ernteten US-Bauern 361 Million Tonnen Mais, der Großteil war gentechnisch verändert. Foto: Bill Whittaker, CCL 3.0

Mais wird in den Industrieländern überwiegend als Tierfutter oder für die Herstellung von Bioethanol angebaut, in Mexiko ist er jedoch Grundnahrungsmittel – Mais stammt ursprünglich aus dieser Region. Die sechzig heimischen Sorten werden überwiegend von Kleinbauern angepflanzt. Seit Jahren versuchen nun die Großunternehmen der Agroindustrie, Saatgut für Genmais nach Mexiko zu liefern. Dagegen klagten im Jahr 2013 über zwanzig Nichtregierungsorganisationen und mehr als fünfzig Wissenschaftler, sie befürchteten eine Verunreinigung der mexikanischen Maissorten. Zur Überraschung aller Beobachter verhängte der Richter ein umfassendes Anbauverbot für Genmais, das bis zu einer endgültigen Regelung in Kraft bleiben muss. In der Zwischenzeit haben die Firmen Monsanto, Syngenta, Dow, Pioneer-Dupont und weitere schon fast hundert Mal versucht, diese Entscheidung juristisch anzufechten.

Es gibt eine wachsende Zahl von Bewegungen und Organisationen, die sich den Kampf gegen Gen-Food auf die Fahnen geschrieben hat, nicht nur in Mexiko und Europa, und nicht nur große Organisationen wie Greenpeace. In den USA wurde „March Against Monsanto“ gegründet, auch in Indien gibt es eine aktive Bewegung. Doch diese Protestbewegungen sollen hier nicht Thema sein, auch nicht die befürchteten Gesundheitsfolgen von Gen-Food, wie beispielsweise allergische Reaktionen gegen eingeschleuste Gene. Hier geht es um die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte, um Umweltfolgen sowie um alternative Lösungsansätze.

Der “Goldene Reis” enthält drei Gene zur Bildung von Beta-Carotin, daher seine gelbe Farbe. Foto: International Rice Research Institute IRRI
Der “Goldene Reis” enthält drei Gene zur Bildung von Beta-Carotin, daher seine gelbe Farbe. Foto: International Rice Research Institute IRRI

Ein Vorzeigeprojekt der Gentechnik ist „Goldener Reis“: Seine Körner enthalten Beta-Carotin, ein Vorläufer von Vitamin A, daher bekommt der Reis seine gelbe Färbung. Denn Vitamin-A-Mangel ist ein ernsthaftes Gesundheitsproblem in vielen Entwicklungsländern. Entwickelt wurde diese Gentechnik-Sorte auf den Philippinen, am IRRI (International Rice Research Institute), mit Unterstützung der Melinda and Bill Gates Foundation und vielen weiteren Geldgebern. Da keine Firma den Reis entwickelt hat, entfällt hier das Patent-Problem, arme Bauern in Entwicklungsländern sollen diese Sorte ohne Patentgebühren anbauen dürfen; auch soll für sie kein Aussaatverbot gelten. Doch die Sorge bleibt, dass heimische Sorten dadurch verunreinigt werden könnten. Deshalb zerstörten philippinische Reisbauern vor zwei Jahren einen Freilandversuch mit Golden Rice.

Tatsächlich gibt es Alternativen: Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt gegen Vitamin-A-Mangel preiswerte Vitaminpräparate als Sofortmaßnahme, außerdem sollen möglichst viele Familien ermutigt werden, Gemüsegärten anzulegen, um auch einem Mangel an anderen Vitaminen vorzubeugen. Es gibt hier also verschiedene Lösungen. Aktivisten brankmarken den Goldenen Reis sogar als „Trojanisches Pferd“, das den Zweck habe, genetisch verändertes Saatgut in Ländern anzubauen, die dieser Technik eher skeptisch gegenüberstehen.

Der Abschlussbericht des Weltagrarrats von 2008 war ein Paukenschlag: Als „Wege aus der Hungerkrise“ wurde nicht auf die Agroindustrie und ihre gentechnisch veränderten Saatgutsorten gesetzt, sondern auf Kleinbauern, ökologische und nachhaltige Anbaumethoden und Umweltschutz, sowie auf die Versorgung und Ausbildung vor Ort. Als Konsequenz verließen die Großunternehmen der Branche den Rat, der von der Weltbank und den UNO fünf Jahre zuvor eingesetzt worden war.

Tithonia diversifolia, oder mexikanische Sonnenblume, wird von tansanischen Bauern am Feldrand gepflanzt, um Mottenschildläuse anzulocken, die sich sonst über die Maniokpflanzen hermachen würden. Foto: B. Naves, CCL
Tithonia diversifolia, oder mexikanische Sonnenblume, wird von tansanischen Bauern am Feldrand gepflanzt, um Mottenschildläuse anzulocken, die sich sonst über die Maniokpflanzen hermachen würden. Foto: B. Naves, CCL

Janet Maro gründete noch als Studentin der Agrarwissenschaft die Organisation „Sustainable Agriculture in Tanzania“, kurz SAT, in Morogoro. Sie und ihre Kollegen schulen jetzt Kleinbauern. Sie informieren über die Vorteile des Anbaus vieler Kulturpflanzen gleichzeitig statt nur einer Sorte, dann trifft die Bauern der Totalausfall einer Sorte weniger hart. Ferner erklären sie biologische Methoden der Schädlingsbekämpfung und natürliche Düngemittel. Dadurch können die meist bitterarmen Kleinbauern ihre Ernten und damit ihr Einkommen aufbessern und werden gleichzeitig unabhängiger von teuren Chemikalien. In einem kürzlich erschienenen Artikel in National Geographic fragte der Autor Janet Maro, ob gentechnisch verändertes Saatgut den Bauern etwas bringen würde. „Das ist völlig unrealistisch“, erwiderte sie. „Wie sollen sie sich dieses Saatgut leisten können, wenn sie nicht mal Geld für Kunstdünger haben?“ Zudem hätten die meisten Bauern noch nie einen Landwirtschaftsberater getroffen, bevor SAT zu ihnen kam. Wie könne man dann von ihnen erwarten, dass sie das Gen-Saatgut angemessen anbauen?

Egal, welchen Entwicklungsansatz man verfolgt: Dreh- und Angelpunkt bleiben die Ausbildung der Bauern und der Informationstransfer zu ihnen. Ein Beispiel: Mottenschildläuse bedrohen regelmäßig die Maniok-Ernten in Afrika. Zwar könnte man versuchen, Insektizide in die Maniokpflanze einzuschleusen – Genetiker arbeiten fieberhaft daran. Aber arme, abgelegene Gegenden eignen sich eher schlecht für den Anbau von Genpflanzen. SAT-Aktivisten bringen den Bauern dagegen bei, dass sie mexikanische Sonnenblumen am Rand ihrer Maniok-Felder pflanzen, das lockt die Mottenschildlaus an und schont die Ernte. Es gibt bereits viele solcher Alternativmethoden, die zwar getestet wurden, aber nicht immer den Weg zu den Anwendern gefunden haben, die von ihnen am meisten profitieren würden. Außerdem werden durch nachhaltige Anbaumethoden die Böden geschont statt ausgelaugt – genau dies ist ein Riesenproblem der industriellen Landwirtschaft.

Das kommende Bevölkerungswachstum, bis 2050 wird ein Anstieg auf 10 Milliarden erwartet, wird überwiegend in afrikanischen Ländern südlich der Sahara und anderen Entwicklungsländern stattfinden. Für die lokale Versorgung mit Lebensmitteln brauchen diese Länder Lösungen, die auf ihre Bedürfnisse maßgeschneidert sind. Heute sind sich viele Experten einig, dass unterschiedliche Ansätze nötig sind, um diese Milliarden zu ernähren – aber der einseitige Fokus auf große Monokulturen genveränderter Sorten erscheint nicht mehr zeitgemäß.

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.