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Veröffentlicht 3. Juli 2012

Die Welt der kalten Atome

Eine „Meisterklasse“ kennt man aus den Kunsthochschulen. Ein renommierter Künstler unterrichtet einen oder wenige Schüler und fördert sie ganz individuell. In der Wissenschaft ist dieses Ausbildungskonzept zumindest in offizieller Form selten anzutreffen. Aber in Lindau ist alles ein wenig anders und darum halten die Nobelpreisträger auch hier „Meisterklassen“ ab.

William Philips stellt aber gleich zu Beginn seiner Meisterklasse klar, dass es hier nicht darum geht, dass er den anwesenden Studenten erklärt, wie sie ihre Forschung verbessern können. Das Thema der Klasse soll in der gemeinsamen Diskussion besser verstanden werden. Profitieren sollen vor allem die fünf Studenten, die Vorträge halten. Gemeinsam soll die Klasse ihnen helfen, über Dinge nachzudenken, über die sie bisher nicht nachgedacht haben.

Im Wesentlichen hat sich die „Meisterklasse“ aber nicht von einer normalen wissenschaftlichen Konferenz unterschieden. Junge Wissenschaftler hielten Vorträge über ihre Arbeit und nachher wurden Fragen gestellt und darüber diskutiert. Außergewöhnlich war höchstens die Dauer der Diskussionen, die meistens doppelt so viel Zeit einnahmen, als die Vorträge selbst.

Die Präsentationen beschäftigten sich alle mit dem Thema, für das Phillips 1997 seinen Nobelpreis bekommen hat: Kalte Atome. Mit kalten Atomen kann man einiges anfangen. Äußerst genaue Atomuhren betreiben zum Beispiel. Denn die basieren darauf, dass man das „Ticken“ der Atome sehr genau messen kann. Das „Ticken“ entspricht dem Wechsel von einem Energiezustand zu einem anderen und diese Übergänge lassen sich am besten messen, wenn die Atome sich nicht zu schnell bewegen. Dazu muss man sie kühlen – kann sie aber nicht einfach in den Kühlschrank schmeissen. Bei konventioneller Kühlung wird jedes Gas aus Atomen irgendwann flüssig und damit ungeeignet für viele Anwendungen, unter anderem den Einsatz bei einer Atomuhr. Philips nobelpreiswürdige Leistung war die Entwicklung der Laserkühlung. Dabei bestrahlt man die Atome mit genau abgestimmten Laserlicht. Die Atome können die Photonen absorbieren und werden so gebremst, also gekühlt.

Aber in der Meisterklasse ging es nicht um das, was Phillips getan hatte (darüber kann man hier im Detail nachlesen). Diesmal standen die jungen Wissenschaftler im Vordergrund und präsentierten ihre Arbeiten.

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Der „Meister“ und die „Schülerin“

Claire Thomas von der Universität Berkeley arbeitet auch mit Atomen und Lasern. Sie erzeugt sogenannte „optische Gitter“. Die erzeugt man mit interferierenden Laserstrahlen zwischen denen die Atome quasi gefangen werden. Diese Gitter können die verschiedensten Formen annehmen und Thomas hat aus anziehenden und abstoßenden Gitterpunkten ein ganz besonderes Gitter gebastelt. Mit dem lassen sich viele interessante Eigenschaften von Atomen untersuchen. Zum Beispiel den Übergang von Atomen von einem superfluiden Zustand zu einem Mott Isolator, der sich hier durch die Regulierung der Energie des Lasers herbei führen lässt. Solche Übergänge zu Mott-Isolatoren hofft man irgendwann als Schaltelemente bei Quantencomputern verwenden zu können. Und falls jemand wissen will, wozu diese Art der Forschung sonst noch gut ist, den verweist Thomas auf das interessante Blogprojekt „Why my research“.

Emanuel Henn von der Uni Stuttgart hielt den nächsten Vortrag. Er untersuchte sogenannte Bose-Einstein-Kondensate. Damit bezeichnet man eine Menge von Atomen, die sich alle im selben quantenmechanischen Zustand befinden. Im wesentlichen handelt es sich dann nicht mehr um viele einzelne Atome sondern um ein makroskopisches Objekt, das mit einer einzelnen quantenmechanischen Wellenfunktion beschrieben werden. Ein Bose-Einstein-Kondensat kann stabil sein oder instabil sein und wenn ein Bose-Einstein-Kondensat kollabiert, dann ist dann ein wenig so wie eine kleine Supernova. Man nennt das deswegen auch „Bosenova“ und genau die hat Henn untersucht.

Die Themen der Meisterklasse sind definitiv nicht für Laien gedacht! Ohne viel sehr spezielles Fachwissen versteht man nur wenig. Phillips hat sich deswegen auch nach jedem Vortrag beim Publikum erkundigt und nachgefragt, wer bestimmte Konzepte nicht verstanden hat und die unklaren Stellen noch einmal für alle zusammengefasst und erklärt. Das war – zumindest für mich – auch dringend nötig. Denn die Vorträge wurden im weiteren Verlauf nicht unbedingt einfacher.

Azure Hansen von der Uni Rochester sprach als nächstes über den Zusammenhang zwischen Spinoren und Bose-Einstein-Kondensaten. Denn auch Lichtteilchen haben einen Spin, eine quantenmechanische Eigenschaft, die zwar so klingt, als würde sich hier irgendwas drehen, aber eigentlich ein abstraktes mathematisches Konzept beschreibt. Die Atome in einem Gitter reagieren jedenfalls auch auf den unterschiedlichen Spin von Lichtteilchen und damit lassen sich ganz unterschiedliche Eigenschaften untersuchen. Hansen erklärte, wie sie verschiedene „Spin Texturen“ erzeugt haben und so zum Beispiel Magnetismus und Superfluidizität analysieren konnten.

Gegen Ende der Meisterklasse bewegten wir uns dann langsam wieder von der Mikrowelt zurück in die vertraute Welt der großen Gegenstände. Andre Xuereb von der Universität Belfast hat sich mit der „Optomechanik“ beschäftigt. Er untersuchte dünne, kleine vibrierende Spiegel und deren Wechselwirkung mit Photonen und Atomen. Hier verwischt die Grenze zwischen Mikro und Makrowelt und man kann die Effekte der Quantenmechanik auf größeren Skalen beobachten.

Noch einen Schritt weiter ging Kater Murch von der Universität Berkeley. Er baute „fake atoms“. Das sind spezielle Bauteile, die sich zwar genauso wie ein einzelnes Atom verhalten, dabei aber große, makroskopische Objekte sind. Den Fotos zufolge, die er gezeigt hat, handelt es sich dabei um buchgroße Aluminiumklötze die sich aber dank einiger technischer Tricks genauso benehmen wie ein einzelnes Atom. Mit solchen künstlichen Atomen lassen sich viele Prozesse simulieren, die von Bedeutung sind, wenn man einmal einen Quantencomputer bauen will.

Williams ist übrigens der Meinung, dass die Chancen 50 zu 50 stehen, dass uns in 50 Jahren funktionsfähige Quantencomputer zur Verfügung stehen. Vielleicht hat dann ja auch schon einer der jungen Wissenschaftler aus seiner Meisterklasse für die Arbeit daran einen Nobelpreis bekommen…