Veröffentlicht 5. Juli 2012 von Beatrice Lugger
Die Phasen-Transformation des Dan Shechtman
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es jedem Laureaten so geht“, meint Dan Shechtman. Mit dem Anruf aus Stockholm veränderte sich sein Leben – instantan. „Eine Phasen-Transformation.“ Bei diesen Worten denke ich sofort: ‚Aha, sicher vom Wissenschaftler zum Handlungsreisenden der Wissenschaft.’ Aber das trifft die Sache nicht. Shechtmans Augen blitzen und er sagt: „Endlich werde ich gehört!“ Das ist seine größte Freude. Endlich bekommt er das Gehör für seine persönliche Mission, die er seit Jahrzehnten verfolgt: Mission Science Education.
Dan Shechtman, Chemie-Nobelpreisträger 2011, in Lindau 2012
Eigentlich wollte ich mit Dan Shechtman, der erst im Jahr 2011 mit dem Chemie-Nobelpreis für die Entdeckung der Quasikristalle ausgezeichnet wurde, gestern hier in Lindau mehr über seine Forschung reden, wie es weiter geht, was zu erwarten ist, wozu Quasikristalle eigentlich gut sind. Aber er hat mich sofort mit seinem Thema an der Angel. „Wenn es ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber über meine Projekte zu Wissenschaft und Bildung erzählen“, sagt er und wartet gar nicht erst ab, wie ich reagiere. Drei von vielen Projekten des Dan Shechtman:
Wissenschaft in die Kindergärten
Die Neugierde der Kinder nutzen. Ihnen beibringen, wie man Erkenntnisse gewinnen kann. Logik erfahren.
Gemeinsam mit lokalen Netzwerken und dem Bürgermeister von Haifa stellt Shechtman ein Programm zur Ausbildung von Kindergarten-Erziehern auf die Beine. Sie sollen Methoden kennenlernen, wie sie Experimente und mehr mit den Kindergartenkindern durchführen. Start soll in wenigen Monaten in 16 der rund öffentlichen 250 Kindergärten von Haifa sein. Wenn sie ihre Methoden verfeinert haben, wird das Programm auf alle ausgeweitet – „und es haben bereits weitere Kommunen bei uns angefragt“, freut sich Shechtman.
Nobelpreiswürdige Wissenschaft verständlich machen
Seit 12 Jahren kümmert sich Dan Shechtman darum, dass die Poster, die von der Nobel Stiftung in Stockholm in vielen Sprachen erstellt werden, auch auf Hebräisch übersetzt werden. Ihr Zielpublikum sind 13- bis 16-Jährige. Shechtman sorgt dafür, dass die Poster in High-Schools und Museen des Landes ausgestellt werden.
Technologie-Entrepeneure für Israel
Seit 26 Jahren hält Dan Shechtman eine Vorlesung am Technion in Haifa mit dem Titel „Technological Entrepeneurship“. Er ist davon überzeugt, dass Wissen die zentrale Wirtschaftskraft ist und möchte bei den jungen Menschen „Entrepeneurship“ viral verankern.
Hier in Lindau trug der Materialwissenschaftler heute seine allgemeingültigen Botschaften zu den Physikern:
„Suchen Sie sich ein Gebiet, für das sie sich wirklich begeistern können und bringen sie sich dort voll und ganz ein.“
Egal, wie gut die Erfolgsaussichten im jeweiligen Gebiet auch scheinen mögen. Echte Experten, machen in seinen Augen immer ihren Weg. Das gründet natürlich auf seiner eigenen Erfahrung. Nur weil Shechtman sich mit seinen Messungen so sicher sein konnte, knickte er trotz aller Widerstände nicht ein, und verteidigte das, was er gemessen hatte.
Dan Shechtmans Entdeckung der Quasikristalle in den 1980ern stellte die bis dahin geltenden Gesetze der Kristallografie auf den Kopf. Seine Legierungen zeigten bei Messungen per Elektronenbeugung statt der üblichen symmetrisch kristallinen Anordnung in drei, vier- oder sechszähligen Achsen, ein Beugungsmuster, das auf zehnzählige Achsen hinweist und damit eine Anordnung bei welcher der Abstand einzelner Atome nicht mehr periodisch zu allen Nachbarn gleich ist. Eine bis dahin geltende unbedingte Notwendigkeit für einen Kristall. Stattdessen zeigen die Muster aperiodische Mosaike, wie etwa die mittelalterlichen Mosaike im Alhambra Palast in Spanien. Es dauerte ein gutes Jahrzehnt ehe die Ergebnisse seiner beharrlichen Messungen mit unterschiedlichen Methoden in einer Änderung der Definition von Kristallen mündete.
Shechtman bekam den Nobelpreis vor allem für seine Hartnäckigkeit und den Mut, trotz der ablehnenden Mehrheitsmeinung seiner Kollegen seinen eigenen Ideen zu vertrauen. Er freut sich ganz offenkundig sehr über diese Anerkennung seiner Beharrlichkeit und sieht sich umso mehr in der Vermittlerrolle.
„Wissen Sie, vor dem Nobelpreis, begrenzte sich mein Einfluß auf mein nahes Umfeld. Jetzt haben sich alle Türen geöffnet, zu Entscheidern in Israel und rund um den Globus“, beschreibt er seine persönliche Phasen-Transformation vom einsamen Kämpfer zum globalen Missionar.