Veröffentlicht 13. Mai 2016 von Stephanie Hanel
Die Neutrino-Fänger: Takaaki Kajita und Arthur B. McDonald
Kajita und McDonald sind beide Direktoren an Großforschungsanlagen futuristischer Anmutung. Diese Detektoren sind ohne Zweifel „Kathedralen der Wissenschaft“: überwältigend und ein stückweit surreal. Wie passend, dass sich damit etwas einfangen ließ, das mindestens genauso schwer zu begreifen ist: die Neutrinos.
„Neutrinos sind außergewöhnliche, geisterhafte Teilchen. Jede Sekunde durchdringen mehr als 60 Milliarden davon jeden Quadratzentimeter unseres Körpers (und auch alles andere); zumeist stammen sie aus der Sonne.“ Zitat Takaaki Kajita
Was muss das für ein Gefühl sein, solch gigantisches technisches Spielzeug zur Verfügung zu haben? Adam Smith, Chief Scientific Officer von Nobel Media, fragt im Telefoninterview Arthur McDonald danach, ob es nicht großen Spaß mache und erhält eine ziemlich nüchterne Antwort: Ja, macht es, wenn man es geschafft hat! McDonald weiß, wovon er spricht: „Seine“ Anlage, das Sudbury Neutrino Observatory in Ontario, Canada, hat das Ausmaß eines zehnstöckigen Gebäudes und liegt in zwei Kilometern Tiefe unter der Erde in einer Mine. Was bekommen McDonald und sein Team dort zu sehen?
„(…)wir haben die Möglichkeit, Teilchen zu beobachten, die direkt aus dem Herzen der Sonne kommen. Sie geben uns Auskunft über die nuklearen Kernreaktionen, denen sie ihre Energie zu verdanken haben, und wir können Berechnungen darüber anstellen, welche grundlegenden Eigenschaften die Neutrinos selbst haben (…).“ Zitat Arthur B. McDonald
Sein Kollege Takaaki Kajita forscht am sogenannten Super-Kamiokande in der Nähe von Kamioka, Japan. Er bejaht die Frage nach der Freude an seinem beeindruckenden Forschungswerkzeug mit einem ausdrücklichen Ja und fügt an, dass er, so experimentierfreudig wie er ist, immer begeistert von seiner Wirkungsstätte sei. Kajita hatte sich ursprünglich mit dem Protonen-Zerfall beschäftigt und war erst durch seltsame Messergebnisse auf sein heutiges Forschungsgebiet gestoßen. Damals schrieben Kajita und seine Co-Autoren, dass sie, obwohl sie bislang keine zerfallenen Protonen beobachten konnten, sie bei der Analyse der Daten auf einen wahren Schatz gestoßen wären: Nämlich auf überzeugende Hinweise für die unerwartete Fähigkeit der Neutrinos, sich auf ihrem Flug von einer Teilchensorte in eine andere zu verwandeln. Diese sogenannte Neutrino-Oszillation hat sich bewahrheitet und zusammen mit dem Massenachweis für Neutrinos den beiden Forschern Kajita und McDonald den Nobelpreis eingebracht.
Kajita wurde 1959 in Higashimatsuyama geboren, studierte an der Universität Saitama und promovierte 1986 an der Universität Tokio. Seit 1988 arbeitete er am Institute for Cosmic Ray Research (ICCR) der Universität Tokio und auf dieses Jahr fiel auch die Entdeckung der „atmosphärischen Neutrino-Anomalie“ des Kamiokande-Teams. Kajita selbst erklärt, dass wie so oft in der Teilchenphysik der Weg zu neuen Erkenntnissen über den Bau einer größeren Maschine führte: den sogenannten Super-Kamiokande.
Um kurz zusammen zu fassen, was im Inneren des Super-Kamiokande passiert: Lichtempfindliche Detektoren sichten einen mit 50.000 Tonnen Wasser gefüllten Tank, in dem blaue Lichtblitze den Eintritt von Myon-Neutrinos verraten. Diese Strahlung kann als optisches Analog zum Überschallknall verstanden werden – ähnlich wie bei einem Flugzeug, das bei Überschallgeschwindigkeit eine akustische Stoßwelle erzeugt, emittieren geladene Teilchen hoher Energie die nach ihrem Entdecker genannte Tscherenkow-Strahlung, sie bewegen sich dabei mit Überlichtgeschwindigkeit. Im Falle der Myon-Neutrinos sind es die durch Wechselwirkung der Neutrinos mit den Wassermolekülen entstandenen Elektronen und Myonen, die die Tscherenkow-Strahlung auslösen. Das Licht breitet sich kegelförmig aus und Größe, Form und Intensität des Lichtrings verraten die Eigenschaften der geladenen Elektronen und Myonen. Tatsächlich differierte aber die Anzahl der Myon-Neutrinos je nachdem, welche Weglänge sie zurückgelegt hatten – das war der entscheidende Hinweis darauf, dass sie sich verändert haben mussten.
Kajitas Glück war es wohl, hier von Anfang an dabei gewesen zu sein. Ungewöhnlich an seiner Karriere ist, dass er seine gesamte Forscherlaufbahn in Japan verbrachte. Zehn Jahre später, 1998, waren die Forschenden dann in der Lage, die Neutrino-Oszillation verkünden zu können. 1999 erhielt Kajita eine Professur an der Universität Tokio und wurde Direktor des Center for Cosmic Neutrinos am ICRR. Heute ist er Direktor des gesamten Instituts. Dieses Jahr erhielten er, wie auch McDonald, den höchstdotierten Wissenschaftspreis überhaupt, den Breakthrough Prize in Fundamental Physics.
Arthur Bruce McDonalds Karriere verlief ähnlich geradlinig, auch wenn er, 1943 in Sydney, Nova Scotia geboren, Kanada nach seinem Studium an der Dalhousie University verließ und am California Institute of Technologie in Pasadena seinen Doktortitel erwarb. Er arbeitete über 10 Jahre als Wissenschaftler an den Chalk River Laboratories in Ottawa und ging im Anschluss für sieben Jahre als Professor an die Princeton University, New Jersey. In Princeton war McDonald leitender Wissenschaftler am dortigen Zyklotron (ein Zyklotron ist ein spezieller Teilchenbeschleuniger, genauer gesagt ein Kreisbeschleuniger, der in der physikalischen Forschung der Auslösung von Kernreaktionen dient). 1989 wurde McDonald dann Direktor am Sudbury Neutrino Observatory (SNO) und gleichzeitig Professor an der Queen’s University in Kingston, Ontario. Gleich zu Beginn seiner Zeit am SNO entdeckte seine Forschungsgruppe, dass die von der Sonne stammenden Neutrinos tatsächlich in Myon-Neutrinos oder Tau-Neutrinos oszillieren.
Der Vorteil der Forschungsanlage in Kanada ist, dass hier nicht nur die Tscherenkow-Strahlung beobachtet werden kann, sondern auch eine andere Art von Ereignissen. Die dortigen Detektoren zeichnen die Wechselwirkungen der solaren Neutrinos mit den 1000 Tonnen schweren Wassers, das die Anlage enthält, auf. Als ‚schweres Wasser’ bezeichnet man solches, das statt Wasserstoff das um ein Neutron reichere Deuterium enthält, dadurch entsteht zusätzliches Stoßpotential. Die Signale, die hierbei entstehen, machten es möglich alle drei bisher bekannten Neutrino-Arten nachzuweisen.
Seither ist Arthur McDonald seiner Universität treu geblieben und hat nur noch die Lehrstühle gewechselt. Er war an mehreren Forschungseinrichtungen und Universitäten als Gastwissenschaftler tätig und ist seit 2013 emeritiert. Mit Kajita stand er in regem Forschungsaustausch – wohl ohne zu ahnen, dass sie sich eines Tages in Stockholm wiedersehen würden.
Wir sind gespannt auf die Lectures der beiden Nobelpreisträger in Lindau: Takaaki Kajita hält seinen Vortrag „Atmospheric Neutrinos“ am 27. Juni 2016 und Arthur McDonald spricht zu „The Sudbury Neutrino Observatory: Observation of Flavor Change for Solar Neutrinos“ am selben Tag.