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Veröffentlicht 2. Juli 2012 von Markus Pössel

Das beschleunigte Universum des Brian Schmidt

Da war er also, der Neue dieses Jahr: Brian Schmidt, Physiknobelpreisträger 2011 und damit heute das erste Mal in Lindau mit dabei. Thematisch holte Schmidt bei seinem Vortrag, dem ersten des diesjährigen Treffens, zum Rundumschlag aus und gab einen Abriss der gesamten Kosmologie, angefangen bei Einstein und seiner Allgemeinen Relativitätstheorie und den Beobachtungen von Vesto Slipher, der erstmals feststellte, dass sich ferne Galaxien immer weiter von uns entfernen.

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Im Gegensatz zu einigen anderen Vorträgen des heutigen Vormittags, die vom Niveau her eher gehoben populärwissenschaftlich daherkamen, hatte Schmidt keine Scheu, bei seinen Darlegungen durchaus auch Formeln ins Feld zu führen:

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Schritt für Schritt ging es, mit nachvollziehbaren Erklärungen und hilfreichen Diagrammen, von Hubble und Slipher zum heutigen Standardmodell der Kosmologie: Wie Alexander Friedmann aus den Annahmen, dass das Universum überall und in alle Richtungen im Mittel die gleichen Eigenschaften hat, erste Gleichungen für das expandierende Universum ableitete. Was es mit der kritischen Dichte auf sich hat und welche unterschiedlichen Eigenschaften der Kosmos hat, wenn seine durchschnittliche Energiedichte insgesamt größer, gleich oder kleiner als die kritische Dichte ist (Geometrie ähnlich der einer Kugel, ähnlich der des flachen Raums, ähnlich der eines Sattels).

In Schmidts eigener Forschung geht es darum, wie sich die Expansionsrate des Universums mit der Zeit verändert. Entscheidend ist dabei der sogenannte Skalenfaktor a(t). Alle Abstände zwischen weit entfernten Galaxien sind proportional zu a(t), mit anderen Worten: Wenn sich a(t) im Laufe der Zeit z.B. verdoppelt, verdoppeln sich auch die Abstände zwischen diesen Galaxien [1].

Der Skalenfaktor a(t) wird mit der Zeit größer – nichts anderes ist gemeint, wenn wir sagen, das Universum expandiere. Aber wird das immer so bleiben? Oder bremst die Expansion mit der Zeit ab, wird immer langsamer? Oder wird sie vielleicht immer schneller?

Das hängt vom Inhalt des Universums ab. Ist das Universum vorwiegend mit normaler Materie oder mit Strahlung erfüllt, dann wird die Expansion in der Tat immer langsamer. Nur, wenn die sogenannte kosmologische Konstante dominiert – eine weitgehend unverstandene Energieform, deren Energie und Druck auf ungewöhnliche Weise zusammenhängen – kann die Expansion auch beschleunigen, also mit der Zeit immer schneller werden.

Lange Zeit waren die Kosmologen sich sicher, dass die Expansion des Universums wohl abgebremst würde – was wäre denn auch anderes zu erwarten, wo sich doch alle (normale) Materie per Schwerkraft gegenseitig anzieht? Daher tauften sie den Parameter, der in den kosmologischen Modellen Beschleunigung und Abbremsung beschreibt, von vornherein auf den Namen „Bremsparameter“ und gaben seiner Definition schnell noch ein Minuszeichen mit, damit er im Falle sich verlangsamender Expansion praktischerweise einen positiven Wert hätte.

Womit wir direkt bei der Arbeit wären, die Schmidt und seinen Kollegen Saul Perlmutter und Adam Riess den Nobelpreis einbrachte. Denn der Kosmos dachte gar nicht daran, sich an die Erwartungen der Wissenschaftler zu halten. Wie Schmidt an anderer Stelle seines Vortrags sagte: Wenn er eines im Leben gelernt habe, dann, dass man dem Universum ohne Vorurteile begegnen müsse; das Universum tue sowieso, was es wolle, und die Aufgabe der Wissenschaftler bestünde darin, herauszufinden was Sache sei – und nicht, sich zu überlegen, wie man das Universum denn gerne hätte. 

In diesem Falle machte das Universum dem Bremsparameter einen Strich durch die Rechnung: Schmidt und Kollegen fanden heraus, dass die kosmische Expansion tatsächlich immer schneller wird. Mit anderen Worten: der Bremsparameter ist negativ, so dass man sich das zusätzliche Minuszeichen auch gleich hätte sparen und von einem Beschleunigungsparameter hätte reden können (Schmidt: „lächerliche Situation“).

Als es dann nach Zusammenfassungen der anderen kosmologischen Beobachtungsdaten (kosmische Hintergrundstrahlung, die zunehmende Verklumpung der Materie, Häufigkeiten der leichten chemischen Elemente) an Schmidts eigene Forschung gehen sollte, wurde der Vortrag freilich ungut-ironisch selbstbezüglich: Auf einmal waren nur noch wenige Minuten der Vortragszeit übrig, der Vortrag beschleunigte ähnlich rasant wie das Universum selbst, und nach großzügig übersprungenen Folien folgte auch schon die Zusammenfassung. Für Schmidts eigentliche Arbeit waren dabei nur ein paar Sätze übrig, denen der Zusammenhang – gerade im Kontrast mit dem guten, sorgfältigen Aufbau bis dahin – größtenteils fehlte.

Ich hoffe, Schmidt in den nächsten Tagen noch für ein Interview zu erwischen, denn ich wüsste zu gern, wie das rund um das Jahr 1998 im einzelnen abgelaufen ist – damals, als das Universum sich wieder mal von einem unserer Vorurteile befreite.

 


 

[1] Warum „weit entfernte“ Galaxien? Betrachtet man Galaxien, die zu nahe beieinander liegen, macht sich bemerkbar, dass sich einige davon etwas aufeinander zu oder schneller als erwartet voneinander weg bewegen. Bei weit entfernten Galaxien überwiegt der Effekt der kosmischen Expansion, und man kann die zusätzlichen Eigenbewegungen vernachlässigen.

Markus Pössel