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Veröffentlicht 17. August 2016 von Susanne Dambeck

Dan Shechtman: Forscher als Unternehmer ausbilden

Die Abschluss-Podiumsdiskussion der Lindauer Nobelpreisträgertagung fand auch 2016 wieder auf der Bodenseeinsel Mainau statt. Dan Shechtman gehörte zu den Diskutanten über das Thema ‚Wissenschaftliche Ausbildung in der Zukunft‘ und gewährte Einblicke in seine ereignisreiche Karriere und sein vielfältiges Engagement. Alles begann mit einem Studium des Maschinenbaus am Technion in Haifa. Doch nach seinem Bachelorabschluss fand er in der Wirtschaftskrise 1966 keinen Job. Also studierte er weiter in der Hoffnung, mit einem Mastersabschluss später eine Anstellung zu finden, doch er „verliebte sich in die Wissenschaft“, wie er dem britischen Guardian anvertraute und entschloss sich zu einer Promotion – eine weise Entscheidung, wie wir heute wissen.

Während seiner ersten, erfolglosen Jobsuche unterstützte das Technion ihn und andere Studenten nicht darin, sich selbstständig zu machen. „Die vorherrschende Haltung war: Wenn ihr hier euren Abschluss macht, werdet ihr so gut sein, dass sich die Arbeitgeber um euch reißen,“ erinnert sich Shechtman heute. „Ich meinte damals nur: ‚Das ist ja alles schön und gut, aber was ist, wenn ich mein eigenes Unternehmen gründen möchte?'“ Am Technion erhielt er keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage, dort gab es keine Kurse über Existenzgründung. Als er 1986 zum Professor am Technion berufen wurde, sagte er sich: „Jetzt kann ich endlich machen, was ich schon immer wollte.“ Sofort begann er mit der Planung des Kurses ‚Technological Entrepreneurship‘. 1987 fand der erste Kurs statt, er wird seit 29 Jahren kontinuierlich angeboten. Zur ersten Veranstaltung kamen 800 Studenten, der Saal war jedoch nur für 600 zugelassen: „Der größte Kurs, den es am Technion jemals gab,“ erinnert sich Shechtman gerne.

 

Dan Shechtman während seines Lindau-Vortrags 2016: Über die Schönheit und Wissenschaft der Seifenblasen. Sehen Sie den ganzen Vortrag hier. Photo: Rolf Schultes/Lindau Nobel Laureate Meetings
Dan Shechtman während seines Lindau-Vortrags 2016: Über die Schönheit und Wissenschaft der Seifenblasen. Sehen Sie den ganzen Vortrag hier. Photo: Rolf Schultes/Lindau Nobel Laureate Meetings

Heute sind mehr israelische Firmen im amerikanischen Aktienbörse NASDAQ notiert als aus irgendeinem anderen Land außerhalb der USA, mit Ausnahme Chinas. Und die allermeisten Hightech-Konzerne betreiben Forschungsabteilungen in Israel. Wie kommt es, dass ein kleines Land mit nur rund sieben Millionen Einwohnern mehr Start-Up-Unternehmen hervorbringt als große Länder wie Japan, Kanada, Indien oder Großbritannien? Das Buch ‚Start-Up Nation‘ widmet sich dieser Frage, die Autoren identifizieren einerseits die starke Zuwanderung nach Israel, andererseits die Wehrpflicht als zwei Säulen dieses Erfolgs. Wenn man Shechtman auf dieses Buch anspricht, antwortet er: „Ich nehme für mich nicht in Anspruch, der Vater der Start-Up-Nation zu sein, aber ich denke, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe. (…) Zurzeit arbeiten über 10.000 Forscher und Ingenieure in Israel, die meinen Kurs besucht haben – ihnen wurde sozusagen ein Chip fürs Unternehmertum eingepflanzt.“

Im Rahmen eines solchen Kurses lädt er drei verschiedene Arten von Rednern ein: erfolgreiche Unternehmer, Unternehmer mit Problemen, sowie Berater wie Anwälte, Buchhalter, Experten für Patentrecht, Marketingexperten etc., also Experten, die in jeder klassischen Exitenzgründungsberatung zu Wort kämen. Zwar war das Wort ‚Start-Up‘ noch wenig gebräuchlich, als Shechtmans Kurs startete, trotzdem widmet sich diese Veranstaltung ganz den Bedürfnissen künftiger Tech-Unternehmern. In den Kursen geht es nicht nur um praktische Tipps, die Teilnehmer sollen auch ein paar Lektionen über das Scheitern erhalten. Sie lernen beispielsweise, dass es durchaus in Ordnung ist, zu scheitern, und dass sie im nächsten Anlauf aufgrund ihrer Erfahrung deutlich besser abschneiden werden. Dan Shechtman hält viele Vorträge weltweit zu solchen Themen, manche tragen den Titel ‚Failure? OK, Start Again‘.

In einem Interview erklärte Shechtman 2013, dass er sich wie „ein Missionar fühlt, dessen Anliegen die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Unternehmertum ist“. Ein wichtiges Anliegen ist ihm auch die naturwissenschaftliche Bildung schon ab dem Kindergartenalter. „Jede Gesellschaft braucht mehr Forscher und Ingenieure, mehr Biologen und IT-Experten“, erklärt er während der Podiumsdiskussion auf der Insel Mainau. „Das sind die Menschen, die neue Unternehmen gründen und eine Gesellschaft wirtschaftlich voranbringen. Aber heute wollen viele junge Menschen diese Berufe nicht mehr ausüben“, bedauert er. „Lieber wollen sie Anwälte oder Buchhalter oder Manager werden.“ Das seien zwar alles sinnvolle Berufe, aber eine Gesellschaft aus lauter Anwälten würde nichts produzieren. „Start-Up-Firmen, Hightech-Firmen, kleine Neugründungen die größer werden – das alles wird uns eine bessere Zukunft bescheren,“ also mehr Wohlstand für größere Teile der Weltbevölkerung.

 

Sein Eröffnungs-Statement bei der Mainau-Podiumsdiskussion lautete: „Der wichtigste Rohstoff eines Landes, und außerdem der nachhaltigste, ist der menschliche Einfallsreichtum. Diesen Reichtum müssen wir fördern und zwar so früh wie möglich.“ Ein starker Satz, und Shechtman hat ihn sich zu eigen gemacht: Im Jahr 2012 begann er in seiner Heimatstadt Haifa, Erzieher und Erzieherinnen weiterzubilden, damit sie ihren Schützlingen wissenschaftliche Themen nahebringen. Aber dieser Ansatz funktionierte nur bedingt, viel ging in der ‚Übersetzungsarbeit‘ verloren, in seinen Worten: „Part of it was lost in translation.“ Die Erzieher verstanden nicht immer, was sie genau unterrichten sollten und konnten die Inhalte deshalb nicht gut rüberbringen.

Da Shechtman ein Scheitern nie akzeptiert, zog er zwei Schlüsse: Er wollte Kinder dieses Alters direkter ansprechen, und außerdem ein größeres Publikum erreichen. Also half er, ein Programm für Wissenschafts-Kindergärten in Israel auf den Weg zu bringen: der erste eröffnete im Herbst 2015. Zudem kontaktierte er den führenden Bildungs-Fernsehsender Israels und schlug eine Fernseh-Wissenschafts-Show vor. Der Sender griff diese Idee gerne auf: ‚Mit Prof. Dan Wissenschaftler sein‘ wurde ins Leben gerufen; auf Hebräisch reimt sich dieser Satz.

Der TV-Sender richtete ihm ein kleines Labor in einem Fernsehstudio ein und stellte Prof. Dan eine Assistentin zur Seite, eine junge Schauspielerin. In jeder der 15-minütigen Sendung diskutieren die Kinder Wissenschaftsthemen mit den Erwachsenen: Wie kann man Dinge messen? Was ist Materie? Wie ist sie aufgebaut? Was verstehen Forscher unter Feldern, vom Magnetismus bis zur Schwerkraft? Man kann sich einzelne Folgen dieser Sendung auf Youtube anschauen, aber da sie ausschließlich mit hebräischen Buchstaben verschlagwortet wurden, sind sie schwer zu finden. Deshalb empfehle ich folgende Links: die Sendung über Materie, über Felder, über Atome und Kristalle, sowie über das Messen. Es ist eine wahre Freude zu sehen, wie leidenschaftlich Prof. Dan den Kindern Wissenschaft erklärt und wie begeistert die Kinder bei der Sache sind.

Diesen Sommer hielt Shechtman einen Lindau-Vortrag mit dem schönen Titel ‚Über die Schönheit und Wissenschaft von Seifenblasen‘. Dieser anschauliche Vortrag soll der Ausgangspunkt für eine ganze Vortragsreihe über ‚Forschung und Ästhetik‘ werden. Im kommenden Jahr auf dem 67. Nobelpreisträgertreffen möchte er über Kristallographie sprechen, das Themenfeld, in dem er 2011 seinen Chemienobelpreis erhielt.

 

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.