Veröffentlicht 24. April 2015 von Stephanie Hanel
Citizen Science – Was Bürger zur Forschung beitragen
Chancen und Grenzen eines spannenden Konzepts.
Was ist Citizen Science? Das kann zum Beispiel so aussehen: Ein Forschungsteam hat aufgrund entsprechender technischer Möglichkeiten mehr Daten erhoben, als es in einem gewünschten Zeitraum mit Fachkräften aus den eigenen Reihen auswerten kann. Nun werden per Projektbeschreibung und auf einer speziell dafür eingerichteten Plattform interessierte Laien gesucht, die bei der Datenanalyse helfen. Erfolgreich geschehen beispielsweise beim Projekt „Seafloor Explorer“ der Woods Hole Oceanographic Institution, Massachusetts. „Help explore the ocean floor“ hieß es da, und eine beeindruckende Zahl von 2.385.665 Bildern wurden nach darauf zu erkennenden Lebewesen wie Seesternen und Fischen von Freiwilligen abgesucht.
Eine Studie im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung solcher Projekte hat erfreulicherweise gezeigt, dass sich die Bürgerwissenschaftler im Vergleich zu Experten nicht zu verstecken brauchen – die Quote der richtig erkannten Tiere ergab bei einem ähnlichen Projekt sogar einen kleinen Vorsprung der Laien. Und selbst wenn der Durchschnitt der richtigen Treffer einmal knapp darunter liegen mag, dienen solche groß angelegten Untersuchungen meist der Trendanalyse von Populationsentwicklungen und können mit einer gewissen Fehlerquote immer noch brauchbare Ergebnisse erzielen.
Diese Art von Citizen-Science-Projekten ist vergleichbar mit dem mittlerweile auch in anderen Bereichen etablierten Crowdsourcing. Auch in der Wissenschaft wird über die Anzahl der Teilnehmer ein Projekt gestemmt, das anders nicht hätte realisiert werden können. Beim klassischen Crowdfunding geht es darum, dass viele kleine Spendenbeträge insgesamt Größeres bewirken, beispielsweise ein journalistisches Rechercheprojekt fördern. Dadurch haben auch Projekte eine Chance auf Realisierung, für die sich bislang keine Geldgeber fanden. Im Falle von Citizen Science leistet die Crowd (die Menge) ehrenamtliche Arbeit und hilft so mit, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Hier liegt der Mehrwert für die Teilnehmenden nicht im Erhalt einer Leistung, sondern im „Dabeisein“.
Häufig entsteht daraus ein vertieftes Interesse an den Forschungsgebieten, und so hilft diese Art der Beteiligung von Laien an der Forschung auch der Wissenschaftsvermittlung. Wenn sich ganze Schulklassen solchen Projekten anschließen – was nicht nur möglich, sondern auch ausdrücklich erwünscht ist – dann ist das für die Schülerinnen und Schüler viel spannender und lehrreicher als es die theoretische Behandlung derselben Themen im Unterricht sein könnte.
Citizen Science Projekte gibt es auch in Deutschland – z.B. zur Erfassung von Schmetterlingsbeständen, aber häufig auch für ornithologische Zwecke – beispielsweise in Kooperation mit Naturschutzverbänden, die interessierte Bürger anleiten und dann auf Vogelstimmenpirsch gehen lassen. Die Motivationen der Bürgerwissenschaftler sind in diesen Fällen oft ein Grundinteresse an Naturerleben, bestimmten Tiergattungen oder auch am Fotografieren. Da hier aber die Beteiligung am wissenschaftlichen Projekt selbst sehr begrenzt ist, wird dafür auch der Begriff „schwache Bürgerwissenschaft“ benutzt. Das bezieht sich selbstverständlich nicht auf die Leistung der Beteiligten, sondern auf die Möglichkeiten der Einflussnahme und Mitgestaltung.
Dass sich passionierte Menschen in den Dienst der Wissenschaft gestellt haben und beispielsweise alte handschriftliche Dokumente transkribierten, ist allerdings kein neues Phänomen. Für den Erhalt und die Auswertung vieler historischer Zeugnisse hat es schon immer Menschen gegeben, die sich aus Interesse an den Hintergründen und Entdeckerfreude in den Dienst der Sache stellten. Manchmal kann diese Beschäftigung auch der Ausgangspunkt für mehr sein. Die junge Lehrerin Hanny van Arkel entdeckte beim Klassifizieren von astronomischen Fotos ein grünliches Gebilde, das sich als bisher unbekanntes astronomisches Objekt entpuppte. Eine kleine Sensation. Das Objekt, nach seiner Entdeckerin „Hannys Objekt“ benannt, ist immer noch Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten.
Citizen Science muss nicht immer gleichbedeutend mit Datensammeln und Auswerten sein. Wer sich im digitalen Rahmen wohlfühlt und eventuell noch eine spielerische Ader hat, wird ebenso fündig. Da gibt es Projekte wie ARTigo, die verschiedene Spielformen anbieten, mit denen man nebenbei auch den Zweck erfüllt, bei der Verschlagwortung von großen Mengen digitalisierter Kunstwerke zu helfen. Oder auch ein Online-Spiel, bei dem Laien Proteinfaltungsstrukturen designen können. Ein Teilnehmer hat dabei mit seinem internationalen Team die Struktur eines Enzyms entschlüsselt, das für die Vervielfältigung des HIV-Virus verantwortlich ist. Dazu gehört dann aber nicht nur Spieltrieb, sondern auch ein Talent fürs abstrakte Tüfteln.
Die Science-Gamer freuen sich, neben dem Spaß am Spiel auch der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen. Citizen-Science-Projekte wie ein Computerspiel aufzubauen ist ohne Frage ein geschickter Schachzug. Mit einem Computerspiel der Forschung zu helfen, ist für die Spielenden allemal ein besseres Gefühl als sich für sinnloses Spielen am Computer rechtfertigen zu müssen. Und das spielerische Herangehen an eine naturwissenschaftliche Aufgabenstellung ist bei den Proteinfaltungsstrukturen offensichtlich der richtige Weg zur Lösung – dieses Projekt hat bereits mehrfach durch Erfolge auf sich aufmerksam gemacht.
Literaturhinweis: Peter Finke, Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien, Oekom Verlag München 2014
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