Veröffentlicht 23. Januar 2015 von Stephanie Hanel
Christiane Nüsslein-Volhard – Grande Dame der Entwicklungsbiologie
2015 jährt sich die Vergabe des Medizin-Nobelpreises an Christiane Nüsslein-Volhard zum zwanzigsten Mal. Deutschlands bekannteste Biologin hat mit der Erforschung der genetischen Steuerung in der Embryonalentwicklung wissenschaftliche Meilensteine gesetzt.
Christiane Nüsslein-Volhard taugt für Superlative: Wissenschaftsjournalisten wählten sie im Jahr 2000 zum „Deutschen Naturwissenschaftler des Jahrzehnts“. Dabei kam es nicht nur auf die wissenschaftliche Exzellenz an, sondern auch darauf, wie die Forscher sich und ihre Sache präsentieren, welche Rolle sie in der Gesellschaft übernommen haben und wie verständlich sie sich ausdrücken. Die Begründungen für ihre Wahl lesen sich eine schöner als die andere: Ihre Forschungsarbeiten hätten etwas Epochales, sie habe ein riesiges Forschungsgebiet eröffnet, mit dem junge Wissenschaftler finanziert würden, und ein zweiter Nobelpreis sei nicht ausgeschlossen.
Apropos Preise: Es gibt wohl keinen nennenswerten, den Nüsslein-Volhard nicht erhalten hat. 2013 wurde sie zudem Kanzlerin des Ordens „Pour le mérite“, des höchsten deutschen Verdienstordens für Wissenschaften und Künste und erhielt im vergangenen Jahr den Bayrischen Maximiliansorden für ihre Lebensleistung. Und es kommen auch weiterhin Forschungsmeldungen aus ihrem Labor. Zuletzt konnten zwei Studien zur Aufklärung der Zellvorgänge während der Streifenbildung bei Zebrafischen beitragen. Hierbei müssen alle Zelltypen in Wechselwirkung miteinander treten. Diese Untersuchungen schaffen die Grundlage, um auch über die Entstehung von Farbmustern bei anderen Tieren, wie beispielsweise Pfauen, Tiger oder Zebras, zu „spekulieren“, wie es die Chefin zurückhaltend formuliert.
Die Wissenschaftlerin hat auch für ein breites, wissenschaftlich interessiertes Publikum Bücher veröffentlicht und ihr Forschungsgebiet folgendermaßen verdeutlicht: „Wir versuchen zu erklären, woher die Zellen in einem Ei wissen, ob und wann sie Haut oder Hirn werden oder ob sie die Gestalt einer Fliege oder eines Menschen annehmen sollen.“ Nüsslein-Volhard ist von beeindruckender Unbeirrbarkeit: Sie bezieht Stellung zu forschungspolitischen Themen, lässt sich aber nicht für die eine oder andere Seite vereinnahmen. Das hat sie für die Arbeit im Deutschen Ethikrat prädestiniert und sie darüber hinaus zu einer wichtigen Stimme in den drängenden Fragen rund um die Genforschung gemacht.
Ihre Haltung gegen Frauenquoten könnte missverstanden werden, entspringt aber der Sorge, dass verdiente Wissenschaftlerinnen als Quotenfrauen abqualifiziert werden könnten. Die Nobelpreisträgerin hat jedoch die Frauenförderung nicht vergessen: Sie gründete 2004 eine Stiftung, die jungen Wissenschaftlerinnen mit Kindern die für eine Karriere nötige Freiheit und Mobilität verschaffen soll. Positiver Nebeneffekt für die Nachwuchsforscherinnen ist neben der finanziellen Hilfe durch die Stipendien-Vergabe natürlich auch die größere Sichtbarkeit in der Presse.
Doch einen Schritt zurück: Wie kam die spätere Nobelpreisträgerin auf ihr Thema? In einem Interview mit Jeanne Rubner für das Buch „Frauen die forschen“ erklärt Nüsslein-Volhard, dass die Frage wie Tiere sich entwickeln zuvor an großen Embryonen, beispielsweise Fröschen, untersucht wurde. Teilstücke aus dem einen Embryo wurden einem anderen Embryo eingepflanzt, während andererseits Genetiker untersuchten, wie Gene von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden und Eigenschaften bestimmen. Nüsslein-Volhards Ansatz war, beides zu kombinieren. Zusammen mit ihrem amerikanischen Kollegen Eric F. Wieschaus, mit dem sie später auch den Nobelpreis erhielt, identifizierte und systematisierte sie die Zahl der Gene im Ei der Taufliege, während ihr Kollege Edward B. Lewis, der dritte im Bunde der Nobelpreisträger, herausfand wie die Gene die Entwicklung der verschiedenen Körperteile steuern. Obwohl sich ihre Erkenntnisse auf die Taufliege bezogen, stellte sich später heraus, dass ihre Entdeckungen Allgemeingültigkeit haben, da die genetischen Steuerungsmechanismen im Laufe der Evolution im Großen und Ganzen unverändert geblieben sind.
In der Lindauer Mediathek findet sich ein Vortrag von 2010: „On the Genetic Basis of Morphological Evolution“ in englischer Sprache (dt. Untertitel lassen sich einblenden). Nüsslein-Volhard spannt darin den Bogen von Darwins Erkenntnissen hin zur aktuellen Zebrafisch-Forschung ihres Teams. Im dazugehörigen Abstract heißt es, dass ihre Forschungsarbeit dazu beitragen möchte, die Entstehung der Schönheit in der Natur zu verstehen.
Es ist übrigens kein Zufall, dass Nüsslein–Volhard zum einen mit der Taufliege und später mit Zebrafischen arbeitete. Die Eier der Zebrafische sind transparent und entwickeln sich außerhalb des Körpers der Mutter. Dadurch können Forscher die Entwicklung im Embryo und der ebenfalls durchsichtigen Larve beobachten, ohne erwachsene Tiere zu schädigen. Nüsslein-Volhard würde keiner Maus ein Embryo für Forschungszwecke entnehmen wollen, da sei sie „empfindlich“, bekennt sie.
Literatur:
Christiane Nüsslein-Volhard, Das Werden des Lebens. Wie Gene die Entwicklung steuern, Verlag C.H.Beck, München 2004