Veröffentlicht 10. Dezember 2019 von Romesh Vaitilingam
Experimentelle Forschung, Entwicklungsökonomie und Armutsbekämpfung – Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften 2019
Dieser Blogpost erscheint in einer Reihe von Artikeln zu den wissenschaftlichen Forschungsarbeiten, die den diesjährigen Nobelpreisen zugrunde liegen. Die offizielle Zeremonie der Nobelpreisverleihung findet in diesem Jahr am 10. Dezember 2019 statt. Die Lindauer Nobelpreisträgertagungen gratulieren den diesjährigen Preisträgern herzlich und hoffen, bei der 7. Lindauer Nobelpreisträgertagung für Wirtschaftswissenschaften 2020 (25.-29. August) von ihnen persönlich etwas über ihre Forschungsprojekte hören zu können.
Der diesjährige Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel – oft als Wirtschaftsnobelpreis bezeichnet – geht an Abhijit Banerjee und Esther Duflo vom MIT sowie Michael Kremer von der Harvard University gemeinsam „für ihren experimentellen Ansatz zur Bekämpfung der globalen Armut“.
In der offiziellen Bekanntgabe begründete das Preiskomitee seine Entscheidung wie folgt: „Die diesjährigen Preisträger haben einen neuen Ansatz vorgestellt, um zuverlässige Antworten auf die Frage zu erhalten, wie die globale Armut am besten bekämpft werden kann. Kurz gesagt geht es darum, dieses Thema in kleinere, überschaubare Einzelbereiche zu unterteilen – etwa die effektivsten Interventionen für eine Verbesserung von Bildungsergebnissen oder Kindergesundheit. Sie haben nachgewiesen, dass solche überschaubareren, präziseren Fragestellungen oft am besten durch Experimente beantwortet werden können, die exakt auf die am stärksten betroffenen Menschen zugeschnitten sind.“
In einer VoxEU-Kolumne beschäftigt sich Oriana Bandiera, Entwicklungsökonomin an der London School of Economics, eingehender mit den Konzepten und dem Einfluss der neuen Preisträger: „Ungewöhnlich und relevant ist, dass die Nominierung ausdrücklich die Gruppenleistung der Gewinner hervorhebt … Und noch ungewöhnlicher und äußerst bedeutend ist die Tatsache, dass die Nominierung besonders die praxisrelevanten Anwendungen ihrer Methoden betont, die ‚unsere Möglichkeiten der Armutsbekämpfung wesentlich verbessern‘. Das ist ein bedeutender Wandel, den der Berufstand aus dem offensichtlichen Grund begrüßen sollte, dass es ein wünschenswertes Ziel ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“
Eine Kolumne auf einer weiteren VoxEU-Website, VoxDev, geht darauf ein, was der Nobelpreis 2019 für die Entwicklungsökonomie bedeutet: „Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, wie der Bereich der Entwicklungsökonomie durch diese drei außergewöhnlichen Forscher völlig revolutioniert wurde. Es dürfte sich schwerlich jemand anderes finden, der dieses Gebiet so beeinflusst hat.“ Die VoxDev-Website enthält auch Links zu einer Reihe von Beiträgen der Professoren Banerjee und Duflo, in denen die Forschungsergebnisse und deren politische Implikationen erläutert werden. Auf VoxEU sind zudem Kolumnen von Professor Kremer zu finden.
Die von den Preisträgern verwendeten Feldexperimente – oder „randomisierten kontrollierten Studien“ – sind nicht ohne Kritik geblieben. David Warsh, Economic Principals, erläutert die Hintergründe, u. a. die „Randomistas“-Kritik des Nobelpreisträgers von 2015, Angus Deaton. Und auf VoxEU geht Kevin Bryan in seinem eigenen Blog A Fine Theorem detaillierter darauf ein, „was Randomisierung kann und was nicht“. In diesem Zusammenhang zitiert er den Entwicklungsforscher und Blogger Chris Blattman zum Eintreten des Skeptikers für randomisierte Studien in der Entwicklung: „Wenn eine kleine populistische Missionierung zu mehr evidenzbasiertem Denken in der Welt führt und uns vom Großen Sprung nach vorn geringfügig weiterbewegt, kann ich nur sagen: Halleluja.“
Der anerkannte indische Entwicklungsökonom Pranab Bardhan schreibt auf 3 Quarks Daily: „In einer Welt mit erdrückender Ungleichheit und stagnierender Gesamtnachfrage sowie der damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Sackgassensituation und dem herrschenden Makropessimismus sorgen die aktuellen Nobelpreisträger für frischen Wind, indem sie uns mit statistisch ‚sauberen‘ Methoden zeigen, wie Änderungen am Rand und kleine politische Verbesserungen realisierbar sind, und dass man auch mit schrittweisen Änderungen, die beharrlich verfolgt werden, eine Menge erreichen kann.“
Abhijit Banerjee, geboren 1961 in Mumbai, ist Ford Foundation International Professor of Economics am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er erwarb 1988 seinen Doktorgrad der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University. Gemeinsam mit Esther Duflo ist er der Autor des Buchs „Poor Economics: A Radical Rethinking of the Way to Fight Global Poverty“, das 2001 erschien, sowie einer neuen Publikation unter dem Titel „Good Economics for Hard Times“.
Esther Duflo, geboren 1972 in Paris, ist Abdul Latif Jameel Professor of Poverty Alleviation and Development Economics am MIT. Sie promovierte 1999 am MIT in Wirtschaftswissenschaften. Sie ist die jüngste Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften aller Zeiten und nach der verstorbenen Elinor Ostrom, die den Nobelpreis 2009 „für ihre Analyse der wirtschaftlichen Governance, insbesondere durch die Allgemeinheit“ erhielt, erst die zweite Frau, der dieser Preis verliehen wurde.
Michael Kremer, geboren 1964 in New York, ist Gates Professor of Developing Societies an der Harvard University. Er promovierte 1992 in Harvard in Wirtschaftswissenschaften.
David Evans, Center for Global Development (CGD), hat „eine übersichtliche Einführung“ zu über 100 Forschungspublikationen der neuen Preisträger verfasst. Michael Kremer, den er als „einen der Vordenker der Entwicklungsökonomie“ bezeichnet, „hat zahlreiche Arbeiten über Wirtschaftstheorie, Makroökonomie, Gesundheitswesen, Bildung usw. veröffentlicht“. Zudem hat Evans ein vom CGD ausgerichtetes umfangreiches Interview mit Professor Kremer geführt.
In seiner Einführung zu Esther Duflo weist Evans auf eine Aussage von ihr vor 15 Jahren hin, nach der „ein Nachweis über wirksame politische Maßnahmen zur Armutsminderung schwierig ist“ und „sie Dutzende von Studien beigesteuert hat, um genau die Lücke zu stopfen, auf die sie aufmerksam gemacht hat“.
Über Abhijit Banerjee schreibt Evans, dass er „viele Artikel zu Experimenten veröffentlicht hat, aber auch ein führender Entwickler der Wirtschaftstheorie ist. Schon früh in seiner Laufbahn entwickelte er Wirtschaftstheorien über Alltagsphänomene, die wesentliche wirtschaftliche Auswirkungen haben, etwa Neid, Gerüchte, Lernen durch Mundpropaganda und – sein meistzitierter Artikel aller Zeiten – Herdenverhalten“.