Veröffentlicht 4. November 2021 von Lukas Winter
Open Source Hardware: Mehr Wissen durch Teilen
Open Source Software hat sich inzwischen längst etabliert, auch das Prinzip Open Access setzt sich in der Wissenschaft zunehmend durch. Nicht zuletzt durch Open Science Initiativen wie die Lindau Guidelines. Doch auch die Nutzung von Open Source Hardware – die Veröffentlichung von Daten zu physischen Objekten – breitet sich weiter aus. Lindau Alumnus Lukas Winter, der an einer vor kurzem veröffentlichten Stellungnahme der Initiative Gathering for Open Science Hardware mitgewirkt hat, über die Vorteile dieser Entwicklung:
Bei Open Source Hardware überträgt man das Konzept von Open Source auf die Hardware – Baupläne, Anleitungen und Konstruktionsdateien werden unter einer offenen Lizenz veröffentlicht. Jeder hat das Recht diese Informationen für eigene Projekte zu nutzen, anzupassen und auch für kommerzielle Zwecke einzusetzen. Dieses Vorgehen kann zu einem wirklichen Mehrwert für die Wissenschaft führen, da man auf diesem Wege Investitionen für kostenintensive Anlagen, Geräte im Labor oder lange Entwicklungszeiten einsparen kann.
Vorteile für Wissenschaft und Gesellschaft
Damit schafft man weltweit eine gerechtere Ausgangslage für Forscher*innen, die sich schneller auf ihre eigentlichen Projekte und den wissenschaftlichen Fortschritt konzentrieren können, da Informationen zu Versuchsaufbauten und Materialien schon als Basis genutzt werden. Ein gutes Beispiel sind hochwertige Mikroskope. Dazu kann man sich inzwischen gute Anleitungen downloaden, die eine Auflistung der mechanischen Bauteile, Informationen zum Aufbau, eine Teileliste inklusive Kosten und Open Source Software enthalten. Bei elektronischen Bauteilen kommen Sicherheitshinweise hinzu. Für Projekte, die mit 3D-Druck umgesetzt werden, gibt es CAD-Dateien, mit denen man Teile schnell nachdrucken kann. Die Materialkosten für einen Nachbau von Open Source Hardware betragen in der Regel nur ein Zehntel der Kosten eines kommerziellen Gerätes, sofern es überhaupt auf dem Markt verfügbar ist. Dabei hat man zusätzlich den Vorteil diesen Nachbau eigenständig warten, verbessern und an die gewünschte wissenschaftliche Anwendung anpassen zu können. Möchte man nicht zwingend etwas selbst nachbauen, gibt es mittlerweile aber auch Firmen, die Open Source Hardware fertig montiert anbieten. Bei diesen Produkten bleiben natürlich alle zuvor genannten Vorteile durch die Transparenz des Produktes bestehen und man kann schneller und einfacher in die Anwendung gehen.
Durch das Teilen von Informationen unterstützt man nicht nur die Wissenschaft, auch Bereiche wie die medizinische Versorgung können so weltweit verbessert werden. Beispielsweise wurde von einem im Gazastreifen praktizierendem Arzt ein Open Source Hardware Stethoskop entwickelt, was in der Leistungsfähigkeit dem derzeitigen Goldstandard in nichts nachsteht. Statt etwa 200 € für ein kommerzielles Modell zu bezahlen, kann man das als Medizinprodukt zugelassene Open Source Hardware Stethoskop für circa 26 € kaufen oder falls man einen 3D Drucker zur Hand hat, mit Materialkosten von 5 bis 6 € selbst nachbauen. Das ermöglicht viel mehr Menschen, vor allem in ressourcenarmen Gebieten, einen kostengünstigen, aber auch schnellen Zugang zu zum Teil lebenswichtiger Technologie.
Mein Weg ins Thema Open Source Hardware
Auch ich selbst bin durch die Medizintechnik mit der Idee von Open Source Hardware in Kontakt gekommen. Im Projekt für meine Doktorarbeit ging es um Entwicklungen im Bereich der Ultrahochfeld-MRT. Diese Technologie ist so aufwendig und teuer, dass nur ein geringer Teil der Menschheit medizinisch davon profitiert. Auch die „normalen“ MRT Scanner sind weltweit nicht sehr homogen verteilt, sodass viele Patienten keinen Zugang dazu haben. Das liegt nicht nur an teurer Technik, sondern auch an Marktmonopolen und Intransparenz. Würden aber das Wissen und die entsprechenden Daten, die notwendig sind, um einen MRT Scanner zu bauen, zu betreiben, zu warten und entsprechend lokalen Reglementierungen zuzulassen, öffentlich zugänglich gemacht, könnten viel mehr Geräte lokal gebaut und betrieben werden – mit der Unterstützung einer globalen Gemeinschaft von Experten. Ein solches Modell würde langfristig die Gesundheitssysteme, auch in ressourcenstarken Regionen, entlasten.
In meinem Job an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt arbeite ich zusammen mit vielen Forscherkollegen weltweit daran, diesen Präzedenzfall zu schaffen und ein kostengünstiges Niedrigfeld-MRT zu bauen, welches als Open Source Hardware veröffentlicht wird. Erste Bilder eines Prototyps wurden bereits von unseren Kooperationspartnern in den Niederlanden aufgenommen.
Aber auch projektübergreifend ist Open Source Hardware eine strategisch wichtige Komponente. In einem anderen Projekt beschäftige ich mich beispielsweise mit MR-Sicherheit. Die von uns entwickelten Technologien können am einfachsten aus unserem wissenschaftlichen Labor Anwendung in der Wissenschaft und Wirtschaft finden, wenn wir die Informationen dazu offen teilen. Der Zugriff auf bereits vorhandenes Wissen beschleunigt die derzeit vorhandenen langwierigen Prozesse – etwa in der Produktentwicklung oder Zulassung von Medizintechnik, wo zum Teil aufwendige Testverfahren durchgeführt werden. Open Source Hardware hat also themenübergreifend einen enormen gesamtgesellschaftlichen Wert.
Die Zukunft gehört dem geteilten Wissen
Ich bin mir sicher, dass sich das Konzept von Open Source Hardware langfristig durchsetzen wird, ähnlich wie wir es über die letzten Jahrzehnte bei Open Source Software verfolgen konnten. Natürlich muss die Infrastruktur aufgebaut werden. Der Prozess, wie und wo Daten hochgeladen und strukturiert und dokumentiert werden, entwickelt sich momentan und wird optimiert. Wir haben erste Schritte in Richtung einer Standardisierung und Zertifizierung von Open Source Hardware unternommen. Es entstehen Datenbanken, die die Projekte bündeln. Auch Weiterentwicklungen dieser Anwendungen und Beispiele für Einsatzmöglichkeiten findet man dort. Viele Unternehmen haben die Vorteile von Open Source Hardware erkannt und sehen diese Bewegung nicht als Konkurrenz. Das liegt auch an der sehr aktiven Community, die sich zu Fragen austauscht, gegenseitig hilft und die Idee von weltweit geteiltem Wissen weiterentwickelt – ich bin gerne ein Teil davon.