BLOG

Veröffentlicht 25. Juni 2018 von Melissae Fellet

Bessere Wissenschaft zum Wohle der Menschheit

Olof Amelin, Elizabeth Blackburn und Martin Chalfie während eines Agora Talk bei #LINO18. Photo/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

 

Mit einem Nobelpreis werden wissenschaftliche Entdeckungen gewürdigt, die in ihrem Bereich (und darüber hinaus) ein wissenschaftliches Vermächtnis hinterlassen. Bei der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung haben Elizabeth Blackburn und Martin Chalfie Wege vorgestellt, mit denen sich das Vermächtnis der Wissenschaften grundsätzlich verbessern lässt und die Forschungstätigkeiten dem Wohle der Menschheit zugutekommen. Sie berichteten von ihren Erfahrungen aus der eigenen Ausbildungszeit, von unabhängiger Forschung und von Forschungsgruppen, die neue Wege gehen, um Daten weithin untereinander auszutauschen, die Inklusivität unter Wissenschaftlern zu erhöhen und ihre Arbeit für neue Zielgruppen zugänglich zu machen.

Aufbauend auf seinen Vortrag bei der letztjährigen Tagung ermutigte Chalfie junge Wissenschaftler, ihre Arbeiten nicht nur herkömmlichen Fachzeitschriften anzubieten, sondern auch als Preprint zu veröffentlichen. Durch solche Preprints werden wissenschaftliche Ergebnisse jedermann zugänglich, auch Schülern an weiterführenden Schulen oder Wissenschaftlern in Einrichtungen, die sich keine Abonnements für teure Fachzeitschriften leisten können. Für die Autoren selbst bieten Preprints auch die Gelegenheit, an einer weiteren Verbesserung ihrer Manuskripte zu arbeiten. Denn die Kollegen, die ein Preprint lesen, können Kommentare und zusätzliche Peer-Reviews beisteuern, die sich ausschließlich auf den in dem jeweiligen Manuskript enthaltenen wissenschaftlichen Inhalt konzentrieren, ohne sich um dessen Wert für eine bestimmte Fachzeitschrift kümmern zu müssen.

Chalfie hat inzwischen den zweiwöchentlich stattfindenden Journal Club seiner Gruppe so umgestellt, dass er sich speziell auf Preprints konzentriert. Diese Idee hat er von Francis Collings übernommen. Und so funktioniert’s: Ein Student wählt ein bestimmtes Preprint aus und gibt es an den Rest der Gruppe weiter. Oft sind die Manuskripte – im Gegensatz zu den publizierten Studien, die oft mindestens ein Jahr alt sind – gerade erst wenige Wochen alt. Und es mangelt nicht an Material. „Wir finden immer Paper, die für unsere Arbeit relevant sind”, stellt er fest.

Die Gruppe diskutiert den ausgewählten Artikel und anschließend fasst der Studierende, der die Diskussion leitet, die Kommentare der Gruppe zusammen und sendet sie an den Autor weiter. Unter den Hunderten jungen Nachwuchswissenschaftlern rund um die Bühne war zustimmendes Gemurmel zu vernehmen – die gleiche Reaktion, die sein Arbeitsgruppe, so Chalfie, von den Autoren erhält.

Preprint Journal Clubs fördern den Informationsaustausch und den Gemeinschaftssinn durch Kommunikation, sagt Chalfie. Er ermutigt die jungen Wissenschaftler denn auch direkt, das neueste Manuskript seiner Gruppe über bioRxiv zu begutachten, ihre Anmerkungen dazu mit ihm zu teilen und nach ihrer Rückkehr Preprint Journal Clubs in ihren Labs vor Ort zu initiieren.

 

Martin Chalfie mit Nachwuchswissenschaftlern bei #LINO18. Photo/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Zum Nutzen der gesamten Menschheit

Während ihres Teils des gemeinsamen Gespräches wandte sich Elizabeth Blackburn dem Gendergap in der Wissenschaft zu. Dabei ging sie auch auf einen aktuellen Bericht über sexuelle Belästigung in akademischen Institutionen ein, den die National Academies of Science, Engineering and Medicine veröffentlicht hat. Eine Feststellung überraschte Blackburn am meisten: Die häufigste Form der Belästigung in wissenschaftlichen Institutionen sind erniedrigende Witze und Kommentare, durch die sich Frauen ausgegrenzt fühlen. Solche Belästigungen, so ein Fazit des Berichts, können die Karriere von Frauen und ihren Beitrag zur Wissenschaft beeinträchtigen. Der kumulative Effekt sexueller Belästigungen führe zudem dazu, dass Talenten für Wissenschaft, Mathematik und das Ingenieurswesen verloren gingen, ergänzt sie.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Institutionen, ein Umfeld der Gleichstellung zu fördern. Während ihrer Ausbildung haben Blackburn und Chalfie beide am Laboratory of Molecular Biology (LMB) in Cambridge, Großbritannien, gearbeitet. In den 1950er und 1960er Jahren galt dieses Institut als Zentrum der modernen molekularbiologischen Forschung, das die Struktur und Sequenz von Proteinen und Nukleinsäuren erforschte. Seitdem hat sich der Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppe auf die Immunologie, die Genetik und die neurologische Entwicklung ausgeweitet. 13 institutseigene Wissenschaftler wurden im Laufe ihrer Karriere mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Blackburn wusste es sehr zu schätzen, dass am Institut keine Hierarchie herrschte. So kannte auch der Leiter des Materiallagers die Gruppenleiter mit Vornamen. Und sie selbst diskutierte während des Mittagessens wissenschaftliche Fragen mit führenden Molekularbiologen wie Francis Crick oder Sydney Brenner. „Im Fokus der Magie stand die Wissenschaft und keiner war der Big Boss”, erinnert sie sich. „Ich möchte Sie dazu ermutigen, in Ihren eigenen Labs zu einem solchen Arbeitsumfeld beizutragen.”

Für Chalfie spiegelte sich die offene Atmosphäre am LMB in dem Wunsch wider, Teil dieses Umfelds zu sein. Er beschreibt: „Weil ich die anregende Kreativität und die Begeisterung für die Wissenschaft dort so mochte, wollte ich daran mitwirken.”

 

Zum Wohle der Menschheit gute Wissenschaft betreiben

Während der Eröffnungsveranstaltung ermutigte Blackburn in ihrem Vortrag die 600 jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an der Tagung teilnehmen, sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit Problemen von zentraler Bedeutung zuzuwenden, um den größten Herausforderungen der Menschheit, wie dem Umgang mit der Umweltverschmutzung, Flüchtlingen, wirtschaftlichem Rückgang oder der Klimakatastrophe, begegnen zu können. Und wenn diese Probleme zuweilen unüberwindlich erscheinen, erinnert sie sich an eine Aussage von Marie Curie: „Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.”

Für Blackburn sind wissenschaftliche Erkenntnisse durch eine von Neugier beseelte Grundlagenforschung der Schlüssel zu diesem Verstehen. Ihre Grundlagenforschung über die molekularen Mechanismen des Alterns der Schraubenalge führten sie zu Mechanismen in der Sozialpolitik, die die Zahl der Jahre, in denen wir gesund leben, reduzieren. Sie entdeckte ein Enzym, das Telomere repariert – die repetitiven DNA-Sequenzen am Ende eines jeden Chromosoms, die wertvolle genetische Informationen vor dem Verlust bei der Zellteilung bewahren. Die Telomere verkürzen sich natürlicherweise mit zunehmendem Alter. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine schnellere Telomerverkürzung Herzkrankheiten, einige Krebsarten und Demenzkrankheiten begünstigen – Krankheiten, die unsere Lebensqualität im Alter häufig beeinträchtigen.

Genetik, Epidemiologie und sozialwissenschaftliche Forschung haben gezeigt, dass gesellschaftliche Situationen wie Missbrauch, Umweltverschmutzung, schlechte Ernährung, chronischer Stress und ein niedriger Bildungsstand die Telomerverkürzung ebenfalls beschleunigen. Anfang des Jahres hat Blackburn mit anderen Autoren gemeinsam ein populärwissenschaftliches Sachbuch mit dem Titel The Telomere Effect veröffentlicht. Darin werden wissenschaftliche Erkenntnisse über die Telomerreparatur mit forschungsbasierten Empfehlungen für die Lebensweise und sozialpolitische Maßnahmen kombiniert, die zur Verlängerung der Gesundheitsspanne beitragen.

Ein Schlüssel dafür, wissenschaftliche Forschung im Sinne des globalen Allgemeinwohls zu betreiben, liegt laut Blackburn in einer umfassenden wissenschaftlichen Kommunikation. „Wissenschaftler sollten nicht bescheiden sein, wenn es um ihren Einfluss auf Bildung und die Bereitstellung von Informationen geht, die für Fragen mit globaler Auswirkung relevant sind”, ergänzt sie.

Sie räumt ein, dass die Lösung riesiger sozialer Probleme herausfordernd sein kann. Aber bestimmte Aktivitäten, so Blackburn, sind jedem möglich: „Widerstehen Sie der Versuchung, sich überwältigt zu fühlen. Hören Sie zu, lesen Sie, lernen Sie, wählen Sie – tun Sie etwas. Jede und jeder zählt.”

 

Der #LINO18 Agora Talk mit Elizabeth Blackburn und Martin Chalfie

 

Melissae Fellet

Melissae Fellet, PhD and Lindau Alumna 2009, is a freelance science writer based in Missoula, MT. She completed her doctoral work at Washington University in St. Louis, and writes regularly about chemistry, materials science, and engineering. Her work has been published in New Scientist, Chemical & Engineering News, and Chemistry World.