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Veröffentlicht 24. August 2017 von Ben Chu

‘Homo oeconomicus’ neu gedacht

Ökonomen leben in einer ideologischen Phantasiewelt. Sie betrachten die Menschen als eine Ansammlung von verlässlich rational handelnden, auf Nutzenmaximierung ausgerichteten, berechnenden Maschinen.

Diese ‘Ökons’ – deren Verhalten von den Ökonomen untersucht wird – machen niemals Fehler. Deshalb lassen sich ihre Verhaltensweisen bei ihren Interaktionen in den freien Märkten zuverlässig mit Hilfe einer Handvoll Gleichungen modellieren, die im Wesentlichen auf die 250 Jahre alten Erkenntnisse von Adam Smith oder anderen klassischen Ökonomen zurückgehen.

Das ist zumindest eine der verbreiteten Vorstellungen darüber, was Ökonomen tun.

Aber einige Tage auf der 6. Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften zeigen schnell, dass dieses Bild eine bloße Karikatur des Berufsstands wäre.

Daniel McFadden von der University of California, Berkeley, Nobelpreisträger von 2000, nutzte seinen Vortrag dazu, die Probleme einer Anwendung vereinfachender Modelle wie die von Adam Smith und David Ricardo auf jedes Problem zu verdeutlichen.

„Wir zollen dem, was sie gemacht haben, Anerkennung. Dennoch sollten wir immer hinterfragen, ob es anwendbar ist“, warnte er.

 

Daniel McFadden during his lecture at the 6th Lindau Meeting on Economic Sciences. Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Daniel McFadden während seines Vortrags auf der 6. Lindauer Tagung der Wirtschaftwissenschaften. Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

 

Peter Diamond vom MIT, einer der Laureaten des Jahres 2010, gab sich keinen Illusionen hin, dass Menschen immer Entscheidungen treffen, die in ihrem eigenen langfristigen Interesse sind und führte dazu die Versäumnisse in der privaten Altersvorsorge an.

„Die Menschen sparen einfach nicht genug, wenn man das ihrer eigenen Regie überlässt“, machte er den Nachwuchsökonomen klar und verwies dabei auf das Ergebnis einer bemerkenswerten Befragung von US-Babyboomern, bei der fast 80 % eine einfache Frage nach Zinseszinsen falsch beantworteten.

Also keine Rechenmaschinen in Sicht.

Diamond beschäftigte sich in seinem Vortrag damit, was wir aus internationalen Erfahrungen für die Ausgestaltung staatlicher und privater Pensionssysteme lernen können. Seine Beispiele reichten von der Entstaatlichung des öffentlichen Rentensystems in Chile bis hin zu kostengünstigen und effizienten Mitteln der Altersversorgung, die rund drei Millionen US-Staatsbediensteten zur Verfügung stehen.

Simple Wirtschaftsmodelle, so die Argumentation von Diamond, sind eine schlechte Grundlage für politische Richtungsentscheidungen. „Modelle sind schon definitionsgemäß unvollständig”, sagte er, “sie eins-zu-eins in die Praxis umzusetzen, wäre also ein schwerer Fehler.“

Sir James Mirrlees von der Chinesischen Universität Hongkong und Mit-Nobelpreisträger 1996 sprach in seinem Vortrag über unsere „eingeschränkte Rationalität“ als Menschen. Er zeigte auf, dass die Entscheidungen, die wir treffen, nicht durchgängig von unserem auf Eigeninteressen beruhenden Kalkül, sondern durch äußere Faktoren wie Erziehung, Werbung oder Erfahrung beeinflusst werden.

Von ihm durchgeführte Modellierungen zeigten, dass unter bestimmten Umständen bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn man den Menschen keine Entscheidungsmöglichkeiten lässt, sondern einfach vorgibt, was zu tun ist. „In der Wirtschaftswelt ist es ungewöhnlich, eine Theorie zu vertreten, die die Freiheit minimieren will“, merkte er an.

 

Sir James Mirrlees talking to young economists after his lecture at the 6th Lindau Meeting on Economic Sciences. Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings
Sir James Mirrlees im Gespräch mit Nachwuchsökonomen während der 6. Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften. Picture/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

 

Robert Aumann von der Hebräischen Universität Jerusalem, der im Jahr 2005 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, verpasste dem vereinfachenden Konzept von Menschen als nutzenmaximierenden Maschinen aus einem ganz anderen Blickwinkel einen Seitenhieb.

Das zentrale Argument im Vortrag des Spieltheoretikers über ‚Mechanismus-Design-Design‘ war die Forderung, klare Vorstellungen über Anreize und Motivationen zu entwickeln.

Wir essen nicht, wie Aumann betonte, weil wir Nahrungsmittel verdauen möchten, um uns so Lebensenergie zuzuführen (die Art von Fehler, die ein an die Berechenbarkeit von ‚Ökons‘ glaubender Ökonom in Bezug auf menschliche Anreize machen könnte), sondern wir essen, weil wir hungrig sind.

Genauso, wie wir wohl in der Regel nicht deswegen Sex haben, weil wir den Fortbestand der Menschheit sichern wollen, sondern einfach, weil es sich gut anfühlt.

Wenn wir solche unmittelbaren Beweggründe übersehen, könnten wir missverstehen, was menschlichen Verhaltensweisen zugrunde liegt – und somit Ökonomie selbst falsch verstehen.

Ben Chu

Ben Chu had been economics editor of The Independent since 2011. Before that he was the newspaper's chief leader writer. He is the author of 'Chinese Whispers: Why Everything You've Heard About China is Wrong' (2013).