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Veröffentlicht 30. Juni 2017 von Judith M. Reichel

Für die Wissenschaft einstehen, bis es “klick” macht

Die 67. Lindauer Nobelpreisträgertagung neigt sich dem Ende zu. Die aktuellen politischen Ereignisse hinterlassen ihre Spuren, doch die Laureaten ermuntern die Nachwuchswissenschaftler zu Durchhaltevermögen und Leidenschaft für die Forschung.

Passend zum Abschluss der letzten Veranstaltung im Saal des großen Stadttheaters ertönt ein heftiges Gewitterdonnern – wie als Warnung an die Teilnehmer, sie mögen doch bitte wirklich all die neuen Forschungsfakten, sowie Vor- und Ratschläge verinnerlichen und mit nach Hause nehmen. Tag 4 und damit der letzte reguläre Programmtag der Lindauer Nobelpreisträgertagung neigt sich dem Ende zu. 

 

Nachwuchswissenschaftler unterhalten sich mit Nobelpreisträger Martin Chalfie während der 67. Lindauer Tagung, Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Nachwuchswissenschaftler mit Nobelpreisträger Martin Chalfie während der 67. Lindauer Tagung, Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Die Woche war vollgepackt und doch viel zu kurz: die ersten Veranstaltungen, die sogenannten Science Breakfasts, behandelten Kernthemen wie Circular Economy, CO2 Recycling oder die Chemie des Geschmacks, und begannen bereits um 7 Uhr morgens. Und doch reichte die Zeit kaum aus, sich mit allen Teilnehmern über die neuesten Forschungsergebnisse, die (wissenschafts-) politischen Entwicklungen weltweit, oder einfach ihre eigene interessante internationale Geschichte auszutauschen. Denn genau das ist das erklärte Ziel der Lindauer Woche: der Austausch zwischen Nachwuchswissenschaftlern und Preisträgern sowie zwischen allen anderen Teilnehmern – je weiter entfernt des anderen Expertise von der eigenen, umso wertvoller ist der Gedankenaustausch.

Interessanterweise kam bei so einem Austausch ein Raum von etwa 50 Chemikern während des Circular Economy Science Breakfast mit dem Gastgeber BASF zu einer eher sozial-ökonomischen Erkenntnis, die Walter Gilbert von der Harvard Universität auf den Punkt brachte: „Die Wissenschaft kann Lösungen bieten – umgesetzt werden müssen diese aber von allen zusammen.“ Er bezog sich hierbei vor allem auf neue umweltschonende Technologien, die zwar von der Grundlagenforschung her bereits durchaus realisierbar sind, aber von den Konsumenten noch nicht angenommen werden. Er und die Teilnehmer sahen hier vor allem die Forschung in der Pflicht, die Vorteile der neuen Entwicklungen so lange zu erklären, zu verdeutlichen und anzupreisen, bis sie tatsächlich in das Allgemeinverständnis und den Alltag übergegangen sind.

 

Nachwuchswissenschaftler unterhalten sich mit Nobelrpreisträger Robert Huber beim BASF Science Breakfast.  Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Nachwuchswissenschaftler unterhalten sich mit Nobelrpreisträger Robert Huber beim BASF Science Breakfast. Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Neben der exzellenten Forschung schlängelte sich auch die zur Zeit international schwierige Situation der Forschung durch die Veranstaltung. Vor allem die Nachwuchsforscher sehen sich inzwischen vielfach extrem wissenschaftsfeindlicher Einstellungen ausgesetzt, und suchen Rat, wie sie am besten damit umgehen sollen. Die nahezu einhellige Meinung der Laureaten: den Mund aufmachen und für die Forschung und wissenschaftliche Fakten einstehen.

Dazu gehört eine fundierte, sachliche, aber auch beherzte Wissenschaftskommunikation, die neue Erkenntnisse nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen sollte. Weder die Forscher noch die Wissenschaftsjournalisten sollten sich hierzu hinter Fachjargon oder Plattitüden verstecken. Und in der Panel Discussion Science Careers rief Sir John E. Walker die Nachwuchswissenschaftler sogar zu einer Karriere als Politiker oder Politikberater auf: „Die Politiker können nur fundierte Entscheidungen treffen, wenn sie gut informiert sind und die Materie verstehen. Dazu brauchen sie euch!“ Er und seine Panelmitstreiter May Shana’a (Beiersdorf AG), Dan Shechtman (Nobelpreiträger am Weizmann Institut), Wiltrud Treffenfeldt (Dow Europe GmbH) und Thomas Gianetti (ETH Zürich) sehen es schlicht als Pflicht der Wissenschaftler an, für die Forschung und deren Ergebnisse einzustehen.

 

Podiumsdiskussion zum Thema
Podiumsdiskussion zum Thema „Science Careers“, Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

Außerdem forderten die Laureaten die jungen Forscher vielfach dazu auf, auch abseits der bekannten und bequemen Pfade zu forschen, um so wieder große Durchbrüche zu schaffen. Martin Chalfie und viele andere erzählen Anekdoten, wie wahrlich neue Erkenntnisse oft durch Fehlversuche zu Stande kamen. Anstatt die Fehlversuche als Versagen zu werten, sollten die Nachwuchswissenschaftler die Freude an der Forschung nicht verlieren, und unerwartete Ergebnisse zu schätzen lernen. Ein High-Impact-Paper sei schließlich kein Garant für spätere Erfolge. Solange die Forscher aber mit echter Leidenschaft an einem Thema arbeiten, hätten sie ausgezeichnete Chancen für eine erfolgreiche Zukunft, so Dan Shechtman. Ohnehin, seien mindestens die Hälfte der naturwissenschaftlichen Arbeiten, die später mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, in vergleichsweise kleinen Journals mit eher niedrigem Impact-Factor publiziert worden, sagt Martin Chalfie.

Am letzten Tag der Veranstaltung findet noch die traditionelle Bootsfahrt zur Insel Mainau statt. Dort werden Bettina Gräfin Bernadotte und Björn Graf Bernadotte noch einmal die Tagung Revue passieren lassen, und dort wird auch die letzte Panel Discussion zum Thema Ethics in Science abgehalten. Ich bin mir sicher, dass auch hier die Nachwuchswissenschaftler noch einmal aufgefordert werden „alternative Fakten“ nicht einfach stillschweigend hinzunehmen, sondern so lange für die Forschung zu werben, bis auch der letzte Kritiker überzeugt ist.

Judith M. Reichel

Judith Reichel is a Neuroscientist by training, but during a two-year postdoc in New York she discovered her inner science advocate. She has been vocal as a science writer ever since, covering science policy issues as well as specific research topics. Now based in Berlin, Judith is working for the German Federal Ministry of Research and Education. However, her contributions for this blog solely reflect her own private opinions.