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Veröffentlicht 18. November 2021 von Ben Skuse

Nobelpreis für Physik 2021: Die Komplexität unseres Klimas und anderer Systeme entschlüsseln

Die Forschung der Physik-Nobelpreisträger 2021 dreht sich um die Vorhersage des Klimawandels. Photo/Credit: NicoElNino/iStockphoto

In einem Telefoninterview anlässlich der Bekanntgabe, dass Giorgio Parisi eine Hälfte des Nobelpreises für Physik 2021 erhalten hatte, wurde der neue Preisträger von einem Journalisten gefragt, ob er mit der Auszeichnung gerechnet habe. Parisi antwortete wie viele der diesjährigen Nobelpreisträger*innen: „Ich habe nicht damit gerechnet [einen Nobelpreis verliehen zu bekommen], aber ich weiß, dass eine nicht unbeträchtliche Chance bestand.“

Parisi und seine Forscherkollegen Sykuro Manabe und Klaus Hasselmann verbindet eine Faszination für Systeme, die von Zufälligkeit und Unordnung bestimmt sind. Ihre bahnbrechenden Leistungen haben neue Methoden zur Beschreibung und Vorhersage des langfristigen Verhaltens solch komplexer Systeme hervorgebracht – nicht zuletzt zu den Auswirkungen des Klimawandels.

Demnach teilen sich Manabe und Hasselmann die eine Hälfte des Preises „für das physikalische Modellieren des Klimas der Erde, die quantitative Analyse von Variationen und die zuverlässige Vorhersage der Erderwärmung“. Parisi erhielt die zweite Hälfte des Nobelpreises „für die Entdeckung des Zusammenspiels von Unordnung und Fluktuationen physikalischer Systeme von der atomaren bis hin zur planetarischen Ebene“.

Wie Treibhausgase das Klima beeinflussen

Manabe, der Japan Ende der 1950er Jahre verließ, um seine Karriere beim U.S. Weather Bureau fortzusetzen, war der erste der drei Preisträger, der einen entscheidenden Beitrag zur Entschlüsselung der Komplexität physikalischer Systeme leistete. In den 1960er Jahren wagten er und seine Kolleg*innen erste Vorhersagen, wie Treibhausgase das Klima beeinflussen: Kohlendioxid, Methan, Wasserdampf und andere Gase absorbieren die Wärmestrahlung von der Erde und geben sie anschließend wieder an die Luft und den Boden .

Der Forscher ging von einer einfachen, vertikalen Säule aus, die sich vom Boden bis zur Stratosphäre erstreckt. Anschließend erstellte er Computersimulationen über die Auswirkungen von Kohlendioxid auf den Wärme- und Luftstrom innerhalb dieser Säule. Auch wenn dieses Modell nach heutigen Maßstäben, vor allem aufgrund der vor sechzig Jahren zur Verfügung stehenden Rechenleistung, nicht sehr ausgereift war, machte Manabes Säulenmodell 1967 durch Übertragung auf den gesamten Globus deutlich, dass Kohlendioxid eindeutige Auswirkungen hat: Während der Sauerstoff- und Stickstoffgehalt in der Simulation keinen Einfluss auf die globale Oberflächentemperatur hatte, stieg die Temperatur bei einer Verdoppelung des Kohlendioxidgehalts um 2,3° C an (ein Wert, der heute als „Klimasensitivität“ bezeichnet wird).

Bis zum Jahr 1975 hatte Manabe sein Modell und seine Berechnungen dahingehend weiterentwickelt, dass er zum ersten Mal die dreidimensionale Reaktion der Temperatur und des Wasserkreislaufs auf einen Anstieg des Kohlendioxids simulieren konnte. Dieses Modell ergab eine globale Klimasensitivität von 2,93 °C – und lag damit im Rahmen der hochentwickelten modernen Klimamodelle, die einen Anstieg von 2,5 bis 4 °C vorhersagen.

Langfristige Klimaprognosen

Climate Change
Der Klimawandel beeinträchtigt die Natur. Photo/Credit: luigi giordano/iStockphoto

Etwa zur gleichen Zeit arbeitete der deutsche Physiker Klaus Hasselmann an seinem ersten großen Durchbruch: er entwickelte Klimamodelle, die zudem Wetterereignisse berücksichtigen. Da das Klima einer Region im Wesentlichen das langfristig vorherrschende Wetter bestimmt, liegt die Verbindung zwischen den beiden Faktoren auf der Hand. Allerdings war es vor Hasselmann noch niemandem gelungen, die schnelle, chaotische Natur der Wetterveränderungen in langfristige Klimavorhersagen einzubeziehen. Um diese beiden Aspekte zusammenzuführen, baute Hasselmann ein sich langsam entwickelndes Klimamodell, das realistisch auf schnelle, zufällige Schwankungen, wie auf das Wetter, reagierte. Mit diesem Modell zeigte er, das Wetterschwankungen innerhalb weniger Tage den Ozean über Jahre hinweg beeinflussen können.

Durch die Integration von Wetterereignissen in Klimamodelle, war Hasselmann auch der erste Forscher, der diese und andere natürliche Veränderungen von der durch den Menschen verursachten Klimaveränderung unterschied. Durch die Bewertung von Modellen, Theorien und Beobachtungen schuf er über zwei Jahrzehnte hinweg ein Grundgerüst von Methoden, um den „Fußabdruck“ der von Menschen verursachten globalen Erwärmung hervorzuheben. Weitere Studien der letzten Jahrzehnte haben diese Methoden verfeinert und erweitert, sodass heute feststeht, dass die Emissionen der Menschheit einen erheblichen Einfluss auf das Weltklima haben.

Wirksame Entscheidungen zu Gunsten des Klimas

Während Manabe und Hasselmann noch an der Komplexität des globalen Klimasystems arbeiteten, begann der italienische Theoretiker Giorgio Parisi mit der Erforschung einer ganz anderen Gruppe komplexer Systeme: Spin-Gläser. Spin-Gläser sind Metalllegierungen, in denen magnetische Teilchen wie Eisenatome zufällig in ein Gitter aus Kupferatomen gemischt sind. In einem Spin-Glas verhält sich jedes Eisenatom wie ein kleiner Magnet, aber anstatt, dass wie bei Magneten üblich, alle in dieselbe Richtung zeigen, wird die Richtung oder ihr „Spin“ von anderen benachbarten Atomen beeinflusst.

In diesem Fall können die Atome nicht die optimale Spin-Anordnung finden, weil sie von entgegengesetzten Kräften geschoben und gezogen werden. Sie enden also in der am wenigsten schlechten Anordnung, einem Zustand, der treffend als „Frustration“ beschrieben wird. In Anlehnung an Hasselmanns Arbeit, jedoch in einem deutlich geringeren Umfang, fand Parisi heraus, wie das schnelle, zufällige Hin- und Herwechseln der Atomspins die langsame Dynamik des Spin-Glases als Ganzes beeinflusst.

Da viele Systeme Frustration aufweisen, wurden Parisis tiefe Einblicke in dieses Phänomen auf so unterschiedliche Bereiche wie Mathematik, Biologie, Neurowissenschaften und maschinelles Lernen übertragen. Darüber hinaus wandte Parisi seine Fähigkeit, zu unterscheiden, wie einfache Verhaltensweisen zu komplexen kollektiven Handlungen führen, in einer Vielzahl von Bereichen an. Angefangen bei der Quantenchromodynamik, über die Stringtheorie und Strömungsdynamik bis hin zu der Frage, wie Muster in Formationsflügen von tausenden Staren entstehen und weshalb die Erde periodische Eiszeiten erlebt.

Obwohl er sich über die Anerkennung seiner Leistungen durch das Nobelkomitee freute, war auch Parisi klar, dass die Auszeichnung seiner Mitpreisträger mit dem ersten Nobelpreis für die Erforschung des Klimawandels, zur rechten Zeit kam. „Es ist überfällig, dass wir wirksame Entscheidungen zu Gunsten des Klimas treffen“, sagte er. „Wir befinden uns in einer Situation, in der wir viel , aber auch einen beschleunigten Temperaturanstieg haben. Wir müssen schnell und ohne Verzögerung handeln. “

Eine klare Botschaft

Fridays for Future
Slogans für den Kampf gegen den Klimawandel. Photo/Credit: DisobeyArt

Manabe und Hasselmann gehören zu einer kleinen, aber angesehenen Gruppe von Preisträger*innen, die für ihre Forschung zum Klimawandel ausgezeichnet wurden. Der frühere amerikanische Vize-Präsident Al Gore und der Weltklimarat (IPCC), dem Manabe als eines von mehreren tausend Mitgliedern angehörte, erhielten 2007 den Friedensnobelpreis für ihre Verdienste, den weltweiten Klimawandel in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu rücken. Zudem erhielt der Umweltökonom 2018 eine Hälfte des Preises der Sveriges Riksbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel „für die Integration des Klimawandels in die langfristige makroökonomische Analyse“.

Wie zuvor Gore und Nordhaus, nutzen Manabe und Hasselmann die Aufmerksamkeit, die ihnen durch die Vergabe des Nobelpreises zuteilwurde, um eine klare Botschaft zu vermitteln. „Der Klimawandel betrifft nicht nur unsere Umwelt, sondern auch die Bereiche Energie, Landwirtschaft, Wasser – alles was man sich vorstellen kann. Und wenn diese großen Probleme der Gesellschaft miteinander verwoben sind, dann können Sie verstehen, wie schwierig es ist, diese Sache in den Griff zu bekommen“, erläuterte Manabe auf einer Pressekonferenz an der Princeton University. „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir den Klimawandel eindämmen können, aber auch, wie wir uns an den Klimawandel anpassen können, der gerade jetzt stattfindet.“

Sein Kollege Hasselmann äußerte sich in seinem Nobel Interview: „Es gibt viele Maßnahmen, die wir ergreifen können, um den Klimawandel zu verhindern. Die Frage ist nur, ob die Menschen begreifen, dass etwas, das in 20 oder 30 Jahren passieren wird, etwas ist, auf das man jetzt reagieren muss.“

Ben Skuse

Benjamin Skuse ist professioneller freiberuflicher Autor für vielfältige Wissenschaftsbereiche. Zuvor promovierte er in Angewandter Mathematik an der Universität Edinburgh und erhielt einen MSc in Wissenschaftskommunikation. Heute lebt er in West Country/Großbritannien. Er hat sich zum Ziel gesetzt, verständliche, fesselnde und überzeugende Artikel für alle Leser zu schreiben - unabhängig von der Komplexität der Themen. Seine Artikel sind bereits in New Scientist, Sky & Telescope, BBC Sky at Night Magazine, Physics World und vielen anderen Publikationen erschienen.