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Veröffentlicht 1. Dezember 2017 von Neysan Donnelly

Darmbakterien und unsere innere Uhr

Inner clock feature with credit

 

Bereits im 18. Jahrhundert fand der Astronom Jean Jaques d’Ortous de Mairan heraus, dass Pflanzen auch dann ihrem Biorhythmus folgen, wenn sie über Nacht in einen dunklen Raum gestellt wurden. Das ließ die Existenz einer inneren Uhr vermuten, die unabhängig von der Wahrnehmung der Umweltfaktoren, die zwischen Tag und Nacht unterscheiden, funktioniert. Später fanden Forscher heraus, dass nicht nur Pflanzen, sondern auch andere Organismen, so auch der Mensch, über einen Biorhythmus verfügen. Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young, die Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin 2017, entschlüsselten die molekularen Mechanismen, die diese innere Uhr ticken lassen mithilfe von Fruchtfliegen.

Die Bedeutung dieser Erkenntnisse wurde damals unterschätzt. Heute wissen wir jedoch, dass viele Aspekte unserer Physiologie in hohem Maße von unseren Biorhythmen beeinflusst werden. Unsere innere Uhr regelt unser Schlafmuster, unsere Ernährungsgewohnheiten, unseren Hormonspiegel sowie den Blutdruck und die Körpertemperatur zu unterschiedlichen Tageszeiten. Sie passt sich dabei kontinuierlich an die gleichlaufenden Veränderungen in der Umwelt an, die sich während der Drehung der Erde um ihre eigene Achse vollziehen. Störungen des Biorhythmus wurden mit einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs in Zusammenhang gebracht. Faszinierende neuere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass die Anpassung an einen 24-Stunden-Rhythmus nicht auf Arten beschränkt ist, die den drastischen Licht- und Temperaturveränderungen des Tages ausgesetzt sind, sondern sich auch auf mikroskopisch kleine Organismen tief in unserem Körper erstreckt.

Wir leben in enger Symbiose mit Billionen von Mikroorganismen: Unsere Mikrobiota spielt eine wichtige Rolle für viele Körperfunktionen, etwa die Verdauung, Immunreaktionen und sogar kognitive Funktionen – Prozesse, die einer inneren Uhr folgen. Der überwiegende Teil unserer Mikrobiota befindet sich im Magen-Darm-Trakt. Und diese in den Tiefen unserer Därme lebenden Bakterien folgen offensichtlich einem Biorhythmus und es hat sich erwiesen, dass Unterbrechungen dieses Rhythmus negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. Aber nicht nur das: Störungen unserer inneren Uhr wirken sich auf die Funktion dieser Bakterien aus und umgekehrt beeinflusst die Darmflora auch unseren Biorhythmus.

Im Jahr 2013 gelang französischen Forschern der Nachweis, dass im Darm lebende Mikroorganismen Substanzen erzeugen, die die korrekte zyklische Produktion des Hormons Corticosteron von Zellen im Darm stimulieren. Ein Verlust von Darmbakterien führte in Mäusen zu mehreren tiefgreifenden Gesundheitsschäden, einschließlich Insulinresistenz. Besondere Aufmerksamkeit hat eine Studie aus dem Jahr 2014 erregt, bei der Forscher des Weizmann Institute of Science in Rehovot, Israel, unter anderem der Lindau-Alumnus Christoph Thaiss, tageszeitliche Schwankungen in der Zusammensetzung und Funktion der mikrobiellen Flora in Mäusen und Menschen beobachten konnten. Sie fanden heraus, dass diese Schwankungen durch veränderte Fütterungszeiten und Schlafmuster, also Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus, beeinflusst und gestört wurden. Als höchst relevantes Beispiel dafür konnten sie zeigen, dass der Jetlag bei Menschen, die von den USA nach Israel reisten, den Rhythmus der Mikrobiota störte und ein Ungleichgewicht auslöste, das als Dysbiose bezeichnet wird.

In sync: gut bacteria and our circadian clock. Picture/Credit: iLexx/iSTock.com
Auch die Bakterien in unserem Darm folgen einem Biorhythmus. Bild/Credit: iLexx/iStock.com

Dabei wirkt sich nicht nur der Zeitpunkt der Mahlzeiten auf die Biorhythmen unserer körpereigenen Bakterien aus, sondern auch das, was wir essen. Die in der westlichen Welt vorherrschende fettreiche Ernährungsweise hat naturgemäß direkte Auswirkungen auf unseren Körper. Ein Teil dieser Effekte wird aber auch durch die Auswirkungen dieser Ernährungsweise auf unsere Mikrobiota herbeigeführt, was wiederum eine Veränderung der Expression von zirkadianen Genen in unserem Körper initiiert und unseren Stoffwechsel stört. Des Weiteren weist eine neuere Untersuchung darauf hin, dass Bakterien im Darm über ihre Einflüsse auf unseren Biorhythmus auch die Aufnahme und Speicherung von Fetten aus der aufgenommenen Nahrung beeinflussen.

Die innere Uhr spielt eine entscheidende Rolle für Immun- und Entzündungsreaktionen und man vermutet, dass Störungen des Biorhythmus den Magen-Darm-Trakt infektanfälliger machen. Bei Mäusen wurde nachgewiesen, dass sich ein gestörter Biorhythmus tatsächlich auf die Immunreaktionen auswirkt – ein Hinweis darauf, dass Tageszeiten und Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus, wie sie etwa durch den Jetlag oder Schichtarbeit verursacht werden, eine Rolle in der Infektanfälligkeit spielen könnten. Tatsächlich wurde auch festgestellt, dass die Immunreaktion von Mäusen auf eine bakterielle Salmonelleninfektion durch die Tageszeit beeinflusst wird. Eine Unterbrechung des Biorhythmus des Wirts könnte ein Ansatz sein, den diese Bakterien nutzen, um ihre Besiedlung zu verstärken.

Diese Beobachtungen machen einmal mehr die enge Beziehung zwischen uns und unserer Darmflora sowie die Bedeutung unserer Biorhythmen deutlich. Es ist anzunehmen, dass die grundlegenden Erkenntnisse von Hall, Rosbash und Young zu weiteren wichtigen Einblicken in die Bedingungen menschlicher Gesundheit und unserer Beziehungen zu anderen Organismen verhelfen. Was wir heute bereits wissen hat bedeutende und höchst interessante Folgen für die menschliche Gesundheit. Ein besseres Verständnis der bidirektionalen Beziehung zwischen innerer Uhr und Darmflora kann dazu beitragen, in Zukunft Darminfektionen vorzubeugen. Dieses Wissen könnte uns auch dabei helfen, optimale Tageszeiten für die Aufnahme von Probiotika oder die Verabreichung von Impfungen gegen Krankheitserreger des Darms zu ermitteln. Zudem ist anzunehmen, dass Antibiotika den Magen-Darm-Trakt stark negativ beeinflussen. Die Erkenntnisse zur inneren Uhr bieten eine überzeugende wissenschaftliche Basis für die Bedeutung eines regelmäßigen Schlafverhaltens und regelmäßiger Essenszeiten für unsere Gesundheit.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.