Veröffentlicht 26. April 2018 von Judith M. Reichel
CRISPR-Cas: Der Heilige Gral in Pandoras Büchse
„Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ Obwohl dieses Zitat sehr oft dem Marvel Comic Spider-Man zugeschrieben wird, so ist es seither doch zum Synonym für neue Entdeckungen und Verfahren geworden, die großes Potential bergen, aber auch schrecklichen Schaden verursachen könnten, wenn sie nicht mit genug Vorsicht gehandhabt werden. Was geschehen könnte, wenn man das neuartige Genom-Editierungsverfahren CRISPR-Cas verwendet, ohne das Wohl der Allgemeinheit im Auge zu haben, kann man sich im neuen Hollywood-Film „Rampage“ anschauen. In dieser Filmadaption eines Videospiels werden die katastrophalen – obgleich wissenschaftlich nicht korrekt dargestellten – Konsequenzen rücksichtsloser Genomeditierung portraitiert, aufgrund derer der Held vormals friedliche Haustiere bekämpfen muss, die mittels CRISPR in Monster verwandelt wurden.
CRISPR-Cas ist zweifellos eine der bahnbrechendsten wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre. Das Verfahren wird jedoch noch immer unter Wissenschaftlern und in der Öffentlichkeit stark diskutiert. Das geht so weit, dass sogar Hollywood davon Notiz genommen hat. Aber was genau ist CRISPR-Cas und wie funktioniert es? CRISPR (“crisper” ausgesprochen) steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats (dt.: gehäuft auftretende, regelmäßig unterbrochene, kurze Palindrom-Wiederholungen), welche Teil des „Immun“-Systems von Bakterien sind. Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier haben gemeinsam mit ihren Postdoktoranden Martin Jinek und Krzysztof Chylinski ein Genom-Editierungsverfahren entwickelt, bei dem guide-RNA-Sequenzen verwendet werden, die speziell auf das Gen sowie das bakterielle Enzym Cas9 abzielen, um die Zielsequenz aus dem Genom herauszuschneiden. Wenn verschiedene Cas-Enzyme die guide-RNA-Sequenz begleiten, kann das System auch programmiert werden, um spezifische Gensequenzen einzufügen oder zu ersetzen. Mithilfe dieser Systeme sind Wissenschaftler in der Lage, Gene in den meisten lebenden Zellen und Organismen permanent zu verändern. Diese bahnbrechende Entdeckung wurde 2012 in einem Artikel in der Zeitschrift Science veröffentlicht. Das Schöne an dem Verfahren: Es ist schnell, günstig und relativ einfach. In Folge dessen verzeichnete die Wissenschaftswelt seit 2012 eine massive Zunahme an Projekten, Arbeiten und Patenten, die mit CRISPR zu tun haben.
Besonders die medizinische Forschungsgemeinschaft hat dieses Verfahren früh in der Hoffnung übernommen, dass die präzise Editierung von DNA genetische Krankheiten ausrotten könnte und gezielte Gentherapien zur Behandlung genetischer Ursachen von Erkrankungen ermöglichen würde. Tatsächlich haben Forscher es vor Kurzem geschafft, die Krankheitsbelastung solch entkräftender Krankheiten wie der Huntington-Krankheit und der Muskelatrophie mittels gezielter Geneditierung bei Mäusen zu reduzieren. Besonders eindrucksvoll an diesen ersten erfolgreichen Versuchen ist, dass die Forscher einen Weg gefunden haben, das CRISPR-Cas-System direkt in den Körper einzubringen. Frühere Versuche, die Immuntherapien für bestimmte Krebsarten zu verbessern, hatten einen anderen Ansatz: Blut- oder Immunzellen wurden isoliert, ihr genetischer Code so verändert, dass sie die Tumorzellen besser bekämpfen konnten, und dann wieder in den Körper eingebracht. Für die meisten Gewebearten war dieser Ansatz nicht umsetzbar. Somit mussten sowohl die guide-RNA als auch das Enzym direkt in den Körper injiziert und auf das Zielgewebe ausgerichtet werden. Sowohl RNA als auch Enzyme sind jedoch große Moleküle, die nicht einfach in die Zellen diffundieren und im Blut nicht lange beständig sind. Einige Pharmaunternehmen haben daher mit Erfolg begonnen, die beiden Komponenten an Fettpartikel zu binden, um ihre Aufnahme in die Zellen zu erleichtern. Falls diese Versuche sich als umsetzbar erweisen, könnte theoretisch jede Krankheit – von Hepatitis B bis hin zu erhöhtem Cholesterinspiegel – mithilfe des CRISPR-Cas-Systems ausgerottet werden.
Ferner erweist sich das CRISPR-System nicht nur als äußerst nützlich bei der Behandlung von Krankheiten, es wird auch als neues vielversprechendes Diagnoseverfahren angewandt: SHERLOCK, eine weitere Ikone der Popkultur. Hier steht das Akronym jedoch für Specific High Sensitivity Reporter unLOCKing.
Ein Forscherteam in Boston hat 2017 zum ersten Mal ein angewandtes CRISPR-System, in dem die guide-Sequenz auf die RNA (statt die DNA) abzielt, als ein schnelles, günstiges und äußerst empfindliches Diagnosewerkzeug beschrieben. Das Endprodukt ist ein winziger Papierteststreifen, bei dem das Testergebnis, ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest, mittels eines Farbstreifens sichtbar gemacht wird.
Laut den Wissenschaftlern kann man mithilfe von SHERLOCK virale und bakterielle Infektionen aufspüren sowie Krebsmutationen selbst bei niedrigen Frequenzen finden und man könnte sogar subtile Variationen in der DNA-Sequenz ausfindig machen, die als Einzelnukleotid-Polymorphismen bekannt sind und die mit einer Unmenge an Krankheiten in Verbindung stehen. In einer neuen Studie, die dieses Jahr veröffentlicht wurde, haben die Forscher SHERLOCK verwendet, um zellfreie Tumor-DNA in den Blutproben von Lungenkrebspatienten aufzuspüren. Darüber hinaus soll ihr verbessertes Diagnoseverfahren in der Lage sein, den Zika- und den Dengue-Virus zu erkennen und diese sogar voneinander zu unterscheiden.
Die Erkennung anstelle der Editierung von genetischer Information wird möglich durch die Verwendung des Cas13a-Enzyms, eines mit CRISPR in Verbindung stehenden Proteins, das auch dazu programmiert werden kann, sich an ein spezifisches Stück RNA anzubinden. Cas13 könnte sogar gegen Virengenome, genetische Informationen, die Antibiotikaresistenz bei Bakterien verursachen, oder Mutationen, die Krebs verursachen, eingesetzt werden. Nachdem Cas13 das Ziel herausgeschnitten hat, macht es weiter und schneidet zusätzlich Stränge synthetischer RNA, die der Testlösung hinzugegeben werden. Sobald diese zusätzlichen Stränge von Cas13 geschnitten wurden, setzen diese ein Signalmolekül frei, das die sichtbare Einfärbung auf dem Testpapier verursacht. Die Forscher haben ihr Diagnoseverfahren entwickelt, um in der Lage zu sein, vier verschiedene Targets pro Test zu analysieren und zu identifizieren.
Gerade aufgrund es scheinbar unermüdliche Schneidens der CRISPR-Enzyme fragen sich aber auch viele Forscher, wie gezielt und kontrolliert diese Enzymreaktion eingesetzt werden kann. Im Mai 2017 berichtete eine Studie in der Zeitschrift Nature Methods über eine große Zahl unerwarteter Off-Target-Effekte und bezeichnete damit das Genom-Editierungsverfahren im Wesentlichen als unsicher. Die Arbeit rückte die erhitzte Debatte über die Vorhersagbarkeit und die Sicherheit dieses neuen Verfahrens in den Fokus des Fachbereichs. Im März 2018 wurde die Arbeit zurückgezogen, nachdem zahlreiche Forscher die Methoden und besonders die Kontrollverfahren der ersten Arbeit in Frage gestellt hatten. Die Off-Target-Effekte, die zuvor beobachtet wurden, seien möglicherweise statt auf das verwendete CRISPR-Cas-Verfahren auf die verschiedenen genetischen Hintergründe der Mäuse zurückzuführen.
Nichtsdestotrotz warnen viele Forscher ihre Kollegen, dass das CRISPR-System und seine möglichen Nebenwirkungen bisher noch nicht vollkommen verstanden würden. Ein weiteres Puzzleteil könnte ein natürlicher Ausschalter für Cas9 sein, der in einem anderen Bakterium gefunden wurde und helfen könnte, das enzymatische Genom-Editierungssystem in Zukunft zu kontrollieren.
Mögliche Nebenwirkungen oder Off-Target-Effekte sind jedoch keineswegs das einzige Futter für heiße Debatten über den CRISPR-Werkzeugkasten. 2015 haben chinesische Wissenschaftler berichtet, dass sie das Genom eines menschlichen Embryos verändert hätten. Obwohl der Embryo nicht lebensfähig war, entbrannte darüber eine hitzige ethische Diskussion und der Vorfall erzeugte vielerlei negative Assoziationen im Zusammenhang mit genetisch veränderten Menschen.
Abgesehen von den medizinischen Anwendungen hält CRISPR-Cas auch große Möglichkeiten für die Landwirtschaft bereit. Das Genom-Editierungsverfahren könnte zur Erzeugung von Pflanzen beitragen, die resistent oder zumindest toleranter gegen Pilzbefall, Insekten oder extreme Wetterphänomene wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen sind. Diese Wetterphänomene treten in den letzten Jahren aufgrund des Klimawandels immer häufiger auf und können ganze Ernten zerstören. Die Pflanzen könnten auch größere Erträge erzeugen oder bestimmte Vitamine liefern (z. B. Golden Rice) und somit eine große Erleichterung bei der Bekämpfung des Welthungers darstellen. Die Debatte jedoch geht weiter und wirft die Frage auf, ob durch CRISPR eingeleitete Genmutationen ein genetisch verändertes Produkt (GMO) zum Ergebnis haben, das auch als solches gekennzeichnet werden sollte. GMO-Produkte werden von vielen Kunden kritisch gesehen und werden daher schwierig zu vermarkten sein.
Fakt bleibt, dass das CRISPR-Cas-System einen bedeutenden Meilenstein der modernen Wissenschaft darstellt, der über ein scheinbar endloses Potential verfügt. Dieses erstreckt sich von diagnostischen Tests, der Heilung fast jeder erdenklichen Krankheit, der Bekämpfung des Mangels an Transplantationsorganen, bis hin zur Linderung des Welthungers. Und dennoch muss ein System, das so komplex ist wie CRISPR-Cas, mit der gebotenen Sorgfalt gehandhabt werden, um die Risiken und Nebenwirkungen zu minimieren. Zudem macht die Entscheidung, den genetischen Code von (menschlichen) Embryos zu verändern, weitere tiefgehende ethische und moralische Erwägungen erforderlich.
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