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Veröffentlicht 10. Dezember 2020 von Neysan Donnelly

Chemienobelpreis 2020: Das Zeitalter von CRISPR

Photo/Credit: vchal/iStock

Die Meldung kam nicht überraschend: Weniger als zehn Jahre nach der Etablierung des revolutionären Werkzeugs zur Editierung von Genen CRISPR/Cas wurden zwei der wichtigsten Köpfe dieser Entwicklung, Jennifer A. Doudna und Emmanuelle Charpentier, mit dem Nobelpreis für Chemie 2020 ausgezeichnet.

Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna, Chemienobelpreisträgerinnen 2020, Copyright: Nobel Media. Illustration: Niklas Elmehed

Die Auswirkungen eines technologischen oder methodischen Fortschritts kann man bewerten, indem man sich beispielsweise die Geschichte dieser Entwicklung anschaut. Die von Kary Mullis erfundene Polymerase-Kettenreaktion oder die Kryo-Elektronenmikroskopie, die von Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson entwickelt wurde, sind nur zwei Beispiele für mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Erfindungen, die die Art und Weise, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Forschung betreiben, revolutioniert haben. Vermutlich haben noch nicht einmal die Erfinderinnen und Erfinder selbst an alle Anwendungen gedacht, die möglich sind. Das Geneditierwerkzeug CRISPR/Cas ist wohl das revolutionärste von allen: Obwohl es erst vor weniger als einem Jahrzehnt entdeckt wurde, kann man ohne Übertreibung behaupten, dass mehr oder weniger jedes molekularbiologische Labor auf der ganzen Welt es inzwischen anwendet: Die Suche in PubMed, einer Datenbank für wissenschaftliche Publikationen, liefert mehr als 20.000 Publikationen zum Thema.

Änderungen an der DNA

Um zu verstehen, warum das CRISPR-System zur Genbearbeitung so revolutionär ist, kann man sich vor Augen halten, wie schwierig es war, DNA gezielt und spezifisch zu modifizieren. Die Aufklärung der Doppelhelix durch Crick und Watson, die Entdeckung, dass die DNA aus Genen besteht, die Proteine kodieren, und dass Fehler im genetischen Code zu fehlerhaften Proteinen und Krankheiten führen (Übersicht zu diesen wissenschaftlichen Durchbrüchen), gaben den Anstoß zu Bemühungen, Fehler im genetischen Material zu verändern oder zu korrigieren. Restriktionsenzyme, Zinkfingernukleasen und TALENs wurden von Wissenschaftlern zur Modifizierung von genetischem Material eingesetzt. Insbesondere Fragen der Spezifität und technische Herausforderungen bei der Herstellung von Zinkfinger-Nukleasen haben allerdings zu Schwierigkeiten bei der routinemäßigen Modulation von genetischem Material durch Enzyme geführt. Was versteht man also unter dem CRISPR/Cas-System und worin liegen die Vorteile gegenüber anderen Methoden zur Genbearbeitung?

Die genetische Veränderung von Pflanzen zur Steigerung von Ertrag und Widerstandsfähigkeit könnte ein wichtiger Beitrag zur Ernährungssicherheit sein. Sicherheitsbedenken führen dazu, dass auf diese Weise bearbeitete Pflanzen in der EU strengen Vorschriften unterliegen. Photo/Credit: SurfUpVector/iStock

Die CRISPR-Story

Die Geschichte von CRISPR begann 1993 in Spanien mit dem Mikrobiologen Francisco Mojica. Während seines Doktoratsstudiums an der Universität von Alicante fand Mojica eine sehr ungewöhnliche, sich wiederholende DNA-Struktur im Genom der Mikrobe Haloferax mediterranea. Zwar ähnelte sie keiner zuvor beschriebenen, bei Mikroben bekannten DNA-Sequenz, doch Mojica konnte zeigen, dass solche Strukturen in vielen Mikroben enthalten sind. Die Schlüsselfrage war natürlich, welche Funktion sie erfüllen. Ein sorgfältiger Sequenzvergleich führte Mojica zu der Hypothese, dass diese Wiederholungen – die er CRISPR für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats nannte  – eine wichtige Immunfunktion ausüben. In der Tat ist inzwischen bekannt, dass Mikroben das CRISPR-System nutzen, um genetische Sequenzen, die von eindringenden Mikroorganismen stammen, genau nachzuweisen und mit Hilfe spezialisierter Enzyme diese Fremdsequenzen gezielt abzubauen. Der große Durchbruch von Charpentier und Doudna bestand darin, zu zeigen, wie das CRISPR-System mit diesen spezialisierten Hilfsproteinen (oder Cas für CRISPR-assoziierte Proteine) so programmiert werden konnte, dass es bestimmte Stellen in der DNA abschneidet. Eine entsprechende Studie, an der sie mitgearbeitet haben, wurde 2012 in der Zeitschrift Science veröffentlicht. Aufbauend auf den von Charpentier und Doudna und ihren Kollegen aufgestellten Prinzipien passten andere Forscher, vor allem die in den USA ansässigen Wissenschaftler Feng Zhang und George Church, CRISPR/Cas dann sehr schnell an, um die DNA von menschlichen und Mauszellen erfolgreich zu zerschneiden und zu bearbeiten. Inzwischen wurde die Technologie auch für die Erzeugung genomeditierter Nutzpflanzen angepasst.

Hoffnung auf Heilung

Die Leichtigkeit, mit der CRISPR/CAS gestaltet und eingesetzt werden kann, hat die Hoffnung geweckt, dass das Ende vieler verbreiteter und verheerender Krankheiten in greifbare Nähe rückt. Derzeit laufen viele klinische Studien zur CRISPR/Cas-Technologie und erste Daten deuten darauf hin, dass die mit CRISPR bearbeiteten Zellen gut verträglich und sicher für die Behandlung von menschlichen Krankheiten sind. Doch mit diesen Möglichkeiten geht auch große Verantwortung einher und wie erwartet bleibt die Kontroverse über den Einsatz von CRISPR/Cas zur dauerhaften Veränderung der menschlichen Keimbahn bestehen. Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui verkündete im November 2018 die Geburt von Zwillingsmädchen, deren Embryos er und seine Kolleginnen und Kollegen mit CRISPR/Cas bearbeitet hatten. Diese Meldung erregte schnell Kritik von vielen Seiten, während der Wissenschaftler selbst konterte, wenn er es nicht getan hätte, hätte sicherlich jemand anderes damit angefangen.

Ein Bereich, in dem CRISPR-Editing vielversprechend scheint, ist die genetische Modifizierung von Nutzpflanzen, um sie produktiver, widerstandsfähiger und unempfindlicher gegen Schädlinge zu züchten. Der Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) urteilte im Jahr 2018 jedoch, dass alle so bearbeiteten Pflanzen strengen Gesetzen unterliegen, die eine Vermarktung als Lebensmittel sehr schwierig gestalten.

Die Entdeckung und Nutzung des Gen-Editiertools CRISPR hat eine ganz neue Sichtweise der Möglichkeiten eröffnet, um die riesigen Probleme im Zusammenhang mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden des Menschen anzugehen. Es scheint auch klar zu sein, dass Fragen der Ethik und der Sicherheit nicht einfach verschwinden werden und künftige Anwendungen dieses mächtigen Instruments werden konsequente Tests erfordern. Außerdem ist es wichtig, die Gesellschaft über die – realen und vermuteten – Risiken aufzuklären.

Die Nobelpreiswoche findet vom 5. bis 13. Dezember 2020 statt. Viele der Veranstaltungen können via Stream verfolgt werden.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.