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Veröffentlicht 29. Juni 2021 von Andrei Mihai

Die Genom-Editierung mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9

Emmanuelle Charpentier, Christiane Nüsslein-Volhard, Julia Jansing, Adam Smith (Moderator) und Alena Buyx während der Panel Discussion zur Genom-Editierung

„Die Genom-Editierung ist nicht neu“, stellte Professor Emmanuelle Charpentier auf der 70. Lindauer Nobelpreisträgertagung einleitend fest. Es wird schon seit Jahrzehnten in der einen oder anderen Form angewendet, aber wir stehen erst am Anfang des Weges. So hat die Gen-Schere CRISPR/Cas9, die von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelt wurde, einen völlig neuen Weg in der Genchirurgie eröffnet. In einer Reihe von Vorträgen diskutierten Nobelpreisträger*innen und führende Forscher*innen die Vorteile und Möglichkeiten, die die Genom-Editierung bietet, aber auch die ethischen Herausforderungen, die sie mit sich bringt.

Ein besseres Thema als CRISPR/Cas9 kann man sich für eine #LINO70-Lecture kaum vorstellen. Nicht nur, dass Charpentier und Doudna 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurden, sondern auch weil sich die Technologie innerhalb kurzer Zeit enorm weiterentwickelt hat. Im Jahr 2012 wurde die bahnbrechende Forschungsarbeit veröffentlicht, in der die letzten Schritte des Verfahrens vorgestellt wurden. 2014 gab es bereits 1.000 veröffentlichte Studien, heute sind es fast 20.000 Veröffentlichungen und mehrere klinische Studien zu CRISPR/Cas9 sind bereits erfolgreich gestartet.

CRISPR/Cas9 wird bereits als experimentelle Methode zur Behandlung von Sichelzellenanämie (erbliche Erkrankung der roten Blutkörperchen) sowie bei einigen  Augenkrankheiten eingesetzt – und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Zunehmend sehen Forscher*innen auch Möglichkeiten, CRISPR/Cas9 im Kampf gegen den Hunger einzusetzen, indem sie Nutzpflanzen optimieren und sie widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Klimaveränderungen machen. „Die Entwicklung war sehr schnell“, erinnert sich Charpentier. „Aber es ging nur so rasant, weil die Zeit einfach reif war.“

Der richtige Zeitpunkt

Genetic scissor
Analyse der DNS-Helix und Bearbeitung des Genoms in Organismen
Bildrechte: elenabs/iStockphoto

Das Verständnis und die Anwendung von CRISPR/Cas9 erfordern Technologien, die vor einigen Jahrzehnten einfach noch nicht zur Verfügung standen. Nur dank der jüngsten Fortschritte in der Biotechnologie war die Arbeit der CRISPR-Pioniere möglich – ein bemerkenswerter Fall von Wissenschaft im Dienst der Wissenschaft.

Wenn man Charpentier über die Methode sprechen hört – ruhig und gefasst, aber mit Leidenschaft, die aus jedem Satz hervorgeht – dann bekommt man ein Gefühl für die unzähligen Tage, die sie damit verbracht hat, nicht nur über die Methode selbst nachzudenken, sondern auch über deren Auswirkungen und Potenzial. „In gewisser Weise schreiben wir den Code des Lebens neu. Für mich ist es mehr als nur das Editieren von Genen, es ist auch die Modifikation der DNS, die vielleicht nicht als `Gene` angesehen werden, verglichen mit den DNS-Strängen, die Proteine kodieren.“

CRISPR/Cas9 bietet nicht nur die gefragte Präzision, sondern auch eine noch nie dagewesene Effizienz bei der Genom-Editierung. Charpentier weist darauf hin, dass dieser Fortschritt das Feld demokratischer und offener gemacht habe und es mehreren Laboren ermöglicht, dieses Werkzeug weiter zu verfeinern und zu verbessern. Viele hervorragende Wissenschaftler*innen arbeiten an diesem Verfahren und das merkt man auch – aber es ist immer noch Potenzial für Fortschritte vorhanden. „CRISPR/Cas9 ist ein sehr neues Werkzeug. Es ist dank seiner Einfachheit und seiner Fähigkeit, in eine große Anzahl von Zellen eingesetzt zu werden und Gene und ihre Ausprägung zu verändern, populär geworden“, erklärt Charpentier.

„Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft weitere Technologien zur Genom-Editierung dazukommen, die mit CRISPR kombiniert werden können und unsere Fähigkeit, Gene auf eine noch breitere und präzisere Weise zu editieren, erhöhen.“ Die Molekularbiotechnologin Julia Jansing, die seit 2014 mit CRISPR arbeitet, stimmt dem voll zu: „Ich bin immer wieder überrascht, wie viele weitere Methoden die Teams entwickeln.“ Doch bei allen Vorteilen und der einfachen Anwendung wirft der Einsatz von CRISPR/Cas9 auch viele ethische Fragen auf.

Die Vor- und Nachteile der Gen-Schere

In einem hochkarätigen Panel kamen Emmanuelle Charpentier, Julia Jansing, die Entwicklungsbiologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard sowie die Ethikerin Alena Buyx zusammen. Gemeinsam mit dem Moderator Adam Smith debattierten die vier über das Potenzial und die Auswirkungen von CRISPR/Cas9 und Genom-Editierung im Allgemeinen. Nach einem kurzen Moment der Begeisterung über die Vorteile, die die Methode mit sich bringen könnte, wurde die Diskussion auf kritische ethische Fragen gelenkt.

„Ich schließe mich der Begeisterung all meiner Kolleg*innen an“, sagte Buyx. „Ich bin ausgebildete Ärztin und diese Technologie hat ein unglaubliches Potenzial, nicht nur für Pflanzen und Tiere, sondern auch für die therapeutische Anwendung. Was wir allerdings gesehen haben und was ich sehr bedauere, war ein Ereignis im Jahr 2018, als Berichten zufolge die sogenannten CRISPR-Babys in China geboren wurden.“

„Ich wünschte, wir hätten dieses Experiment nicht gehabt.“ 2018 editierte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui die Genome menschlicher Embryonen – und zwar nicht, um sie von einem bedrohlichen Krankheitsbild zu heilen, sondern um sie weniger anfällig für HIV zu machen. Die Meldung schockierte die ganze Welt und zog sofort breite Kritik von Forscher*innen auf diesem Gebiet nach sich. Obwohl die Babys offenbar gesund zur Welt kamen, wurde Jiankui umgehend zu drei Jahren Gefängnis und einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt. Doch dies war nur die Spitze der Kontroverse.

Wenig später rief die Weltgesundheitsorganisation dazu auf, alle Arbeiten auf dem Gebiet der menschlichen Genom-Editierung zu stoppen. Zeitgleich wuchs der Druck für strengere Vorschriften.

Im Rahmen der Panel Discussion argumentierten die beiden Preisträgerinnen, dass die Ängste in Bezug auf die Genom-Editierung zumindest teilweise übertrieben seien. Es gebe bereits Kontrollmechanismen und abgesehen von Einzelfällen wie dem im Jahr 2018, werde die Methode auf eine sichere Art und Weise eingesetzt, die der Menschheit zugutekomme. „Wir essen die ganze Zeit fremde Gene – wenn Sie Rindfleisch essen, essen Sie ein fremdes Gen. Diese Sorge ist irrational“, scherzte Nüsslein-Volhard.

Ein Teil des Problems kommt nicht von der Genom-Editierung selbst, sondern von dem Stigma, das sie umgibt. „Ich denke, dass die Argumente, die eingebracht werden, wichtig sind“, fügte Charpentier hinzu. „Die Öffentlichkeit hat eine Vorstellung […], die ziemlich negativ ist, und ich denke, es ist wichtig, diese zu adressieren“.

„Ich habe gedacht, dass die Öffentlichkeit durch die Pandemie verstanden hat, dass das, was die Wissenschaftler tun, wirklich funktioniert.“

Regenerative Medizin

In einem anschließenden Agora Talk erörterten die Nobelpreisträger Tomas Lindahl und Sir Martin Evans einige der Möglichkeiten, wie die Regenerative Medizin von einem besseren Verständnis der genetischen Prozesse profitiert hat. So sind beispielsweise DNS-Schäden mit fast allen Prozessen verbunden, die mit dem Alterungsprozess in Zusammenhang stehen, erklärt Lindahl – ein guter Ansatzpunkt also, um das Altern zu bewältigen.

Lindahl and Evans in an Agora Talk
Agora Talk Preserving and Controlling Genetic Information mit Sir Martin J. Evans, Kai Kupferschmidt (Moderator) und Tomas Lindahl

Aber diese Forschung muss nicht unbedingt einen praktischen Nutzen haben – zumindest nicht direkt. Oft sei es wertvoller, die zugrunde liegende Biologie zu verstehen, als einen unmittelbaren Nutzen zu finden, so Evans. Am Ende seines Vortrags gab Evans den jungen Forscher*innen bei #LINO70 noch eine wichtige Botschaft mit auf den Weg: „Ihr müsst nicht jede Minute eures Tages am Schreibtisch verbringen […] ihr braucht ein Leben. Ihr solltet euch für viele Dinge interessieren, die nicht das sind, was ihr studiert.“

 

Andrei Mihai

Andrei Mihai ist Wissenschaftskommunikator und Doktorand für Geophysik. Er ist Mitbegründer der Plattform ZME Science, mit der er das Ziel verfolgt, Wissenschaft für Jedermann interessant und zugänglich zu machen. Er hat bereits über 2000 Artikel zu verschiedenen Themen verfasst, auch wenn er es im Allgemeinen bevorzugt, über Physik und die Umwelt zu schreiben. Andrei versucht Wissenschaft und gute Geschichten miteinander zu verbinden, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen – Artikel für Artikel kommt er diesem Vorhaben näher.