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Veröffentlicht 25. November 2021 von Neysan Donnelly

Nobelpreis für Chemie 2021: Ein umweltfreundlichere und effizientere Methode der Chemischen Synthese

Katalysatoren spielen bei den vielfältigen chemischen Reaktionen, die jeden Tag sowohl in der Forschung als auch in der Industrie stattfinden, eine große Rolle. Photo/Credit: MadamLead/iStockphoto

Der diesjährige Chemie-Nobelpreis wird zwei Wissenschaftlern für die Entwicklung einer leistungsstarken und nachhaltigen Methode verliehen, die die Art und Weise, wie Chemiker viele wichtige Verbindungen synthetisieren, revolutioniert hat.

Den Nobelpreis für Chemie 2021 erhalten zu gleichen Teilen Benjamin List, Max-Planck-Institut für Kohleforschung, Mühlheim an der Ruhr, Deutschland und David W.C. MacMillan, Princeton University, USA „für die Entwicklung der asymmetrischen Organokatalyse“. Sicherlich ist dieser Begriff nicht jedem geläufig. Was also ist asymmetrische Organokatalyse und warum hat die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften beschlossen, die beiden Wissenschaftler und diesen Durchbruch zu ehren?

Katalysatoren spielen bei einer Vielzahl wichtiger chemischer Reaktionen eine entscheidende Rolle. Man geht davon aus, dass sie in der Synthese von 9 von 10 chemischen Handelsprodukten zum Einsatz kommen und bis zu 40% des weltweiten BIP ausmachen. Von Chemiker*innen werden sie jedoch aus anderen Gründen geschätzt. Wie Benjamin List es ausdrückt, sind Katalysatoren „ein Molekül von der Magie entfernt“, da sie die Herstellung großer Mengen der gewünschten Produkte ermöglichen, ohne selbst verbraucht zu werden. Lange Zeit dachten Wissenschaftler*innen, dass nur Enzyme und Metalle als Katalysatoren für chemische Reaktionen verwendet werden könnten. Ein großes Problem bei diesem konventionellen Ansatz war jedoch, dass Schwermetalle oft giftig, während andere gemeinhin verwendete Metalle meist teuer und selten sind.

Obwohl es in der Fachliteratur im Laufe der Jahre bereits vereinzelte Berichte über organische, nicht-metallische Katalysatoren gab, erschienen im Jahr 2000 zwei bahnbrechende Forschungsarbeiten – eine von List und die andere von MacMillan. Sie zeigten, dass kleine organische und im Wesentlichen ungiftige Moleküle verwendet werden können, um die Funktionen von Biokatalysatoren (häufig von Enzymen) nachzuahmen und so wichtige chemische Reaktionen anzutreiben.

Neue Wege zur Katalyse chemischer Reaktionen

Obwohl beide zum Zeitpunkt ihres Durchbruchs in Kalifornien ansässig waren, arbeiteten sowohl List als auch MacMillan unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Ausgangspunkten an dem Thema. Viele Entdeckungen in der Geschichte der Wissenschaft entstanden zufällig, aber in diesem Fall waren die beiden Forscher von dem Wunsch getrieben, einfachere und effizientere Wege zur Katalyse chemischer Reaktionen zu finden. List, der in einem Labor im südkalifornischen La Jolla katalytische Antikörper untersuchte, stellte fest, dass Enzyme, die ohne Metalle funktionieren, genauso wirksam sind wie solche mit Metallen.

Als Proteine sind Enzyme aus Aminosäuren aufgebaut. List fragte sich daher, ob Aminosäuren ausreichen würden, um eigenständig als Katalysator zu wirken. Seine sehr frühen Experimente waren von eindeutigem Erfolg gekrönt. Etwa zur gleichen Zeit ging MacMillan, damals noch in Berkley, der Frage auf den Grund, ob einfache organische Moleküle, die wie Metalle vorübergehend Elektronen aufnehmen oder abgeben, ebenfalls als Katalysatoren fungieren können. „Wir schätzten die Erfolgswahrscheinlichkeit als sehr gering ein“, erinnerte sich MacMillan später. Er stellte jedoch fest, dass mehrere der von ihm entworfenen Moleküle tatsächlich sehr wirkungsvoll die Synthese von Kohlenstoffringen in der Diels-Alder-Reaktion begünstigten, einer von Chemiker*innen häufig verwendeten Methode zur Herstellung neuer Materialien, die 1950 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet worden war. Dies war die Geburtsstunde eines neuen Forschungsgebiets, das von MacMillan als Organokatalyse bezeichnet wurde. Beide Forscher sind bis heute sehr aktiv auf diesem Gebiet.

Asymmetrische Reaktionen

Two hands
Bei vielen chemischen Reaktionen entstehen zwei Produkte, die spiegelbildlich zueinander sind, wie eine Hand zur anderen. Photo/Credit: Suphansa Subruayying/iStockphoto

Die reduzierte Toxizität ist ein großer Vorteil der Organokatalyse. Ein weiterer wichtiger Nutzen ist die Fähigkeit, chemische Reaktionen in die gewünschte Richtung zu lenken. Viele chemische Reaktionen führen zu zwei Produkten, die Enantiomere oder Spiegelbilder voneinander sind. Dies ist nicht nur aus Sicht von Chemiker*innen ineffizient (da oft nur eines der Enantiomere gewünscht ist), sondern kann auch gefährlich sein: Das Beruhigungsmittel Thalidomid musste vom Markt genommen werden, da es bei Neugeborenen schwere Missbildungen verursachte. Ein Enantiomer war für die beruhigende Wirkung verantwortlich, wohingegen das andere, das in gleicher Menge bei der Reaktion zur Synthese von Thalidomid entstand, Missbildungen verursachte. Durch den Einsatz asymmetrischer Reaktionen können Chemiker*innen die Produktion auf das benötigte Enantiomer lenken.

Ein junges Gebiet mit explosionsartigem Wachstum

Diese beiden herausragenden Vorteile der asymmetrischen Organokatalyse sind es auch, die dieses Verfahren sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis so leistungsfähig machen. Durch den Verzicht auf ungiftige Schwermetalle kann der ökologische Fußabdruck der Synthesereaktionen, die Chemiker*innen tagtäglich im Labor durchführen, erheblich verringert werden. Auch die Herstellung von Arzneimitteln und der Aufbau von Substanzbibliotheken für das Wirkstoffscreening sind wesentlich effizienter geworden. Ein konkretes Beispiel für den Einsatz der asymmetrischen Organokatalyse bei der Arzneimittelherstellung ist DPC 083, ein Medikament gegen HIV.

Das Gebiet der Organokatalyse ist vergleichsweise jung. Es hat sich aber seit der Veröffentlichung der richtungsweisenden Forschungsarbeiten von List und MacMillan um die Jahrtausendwende bereits explosionsartig entwickelt. Was motiviert die beiden Träger des diesjährigen Chemie-Nobelpreises, wenn sie in die Zukunft ihres Fachgebietes blicken? Für MacMillan ist es die große unerforschte Vielfalt organischer Moleküle, die geschaffen werden kann. List ist durch die Schlüsselrolle motiviert, die die chemische Katalyse bei der Bewältigung wichtiger globaler Herausforderungen wie der Ernährungssicherheit und umweltfreundlichem Transport gespielt hat und weiterhin spielen wird.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.