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Veröffentlicht 27. Juni 2011

Bekenntnisse eines Bastlers – Oliver Smithies

Es ist wenig überraschend, dass frischgebackene Nobelpreisträger relativ schnell alle möglichen repräsentativen und prestigeträchtigen Chefsessel in der weiteren Forschungslandschaft angetragen bekommen. Es gibt allerdings überraschend viele Laureaten, die sich erfolgreich dagegen gewehrt haben, und Oliver Smithies ist einer von ihnen.

Der Grund dafür ist wohl, dass ihm Forschung im Labor einfach viel zu viel Spaß macht, besonders mit neuen Methoden rumzubasteln. Die waren auch der rote Faden seines Vortrages, all die neuen Verfahren und Geräte, auf die er während seiner Karriere gestoßen ist und nicht zuletzt selbst entwickelt hat. Smithies hat wichtige Beiträge zum Gene Targeting mit Homologer Rekombination geleistet, ein Verfahren, mit dem man Gene in Mäusen gezielt ausschalten und so Hinweise auf ihre Funktion gewinnen kann. Das war alledings im Vortrag nicht Thema, sondern vielmehr, wie immer neue Techniken und Methoden seine Arbeit beeinflusst haben.

Den Anfang machte Svedberg mit seiner Sedimentationszentrifuge, laut Smithies eine rechte Höllenmaschine mit hinlänglich Katastrophenpotential und einem Kontrollstand, der in einem Atom-U-Boot nicht fehl am Platze gewesen wäre. Mit Hilfe dieser Apparatur entdeckten Forscher ein bizarres konzentrationsabhängiges Dissoziationsverhalten bei Blutproteinen, über das Smithies seine Dissertation schrieb. Die ganze Geschichte hat sich später als komplette Fehlinterpretation herausgestellt, aber nicht bevor Smithies ein ausführliches, aber nach seiner eigenen Aussage ziemlich schrottiges Paper darüber publiziert hat.

Dementsprechend ist gar nicht so wichtig, was man in seiner Dissertation macht, so lange man dabei wissenschaftliches Arbeiten lernt. Was dann auch bedeutet, dass man gelegentlich alles selbst machen muss, wie zum Beispiel das eigene Paper nachträglich auseinandernehmen – das hat im Fall von Smithies‘ frühen Experimenten niemand auf sich genommen. Um ein erfolgreich publiziertes Experiment noch mal aufzurollen, braucht man als Wissenschaftler schon eine gewisse Begeisterung – wenn man die für sein Thema nicht aufbringt, sagt Smithies, sollte man sein Thema wechseln. Und wenn der Chef das nicht zulässt, dann eben den Betreuer.

Da hat er natürlich den einen oder anderen Lacher mit eingefangen, aber wahrscheinlich war das zu seiner Zeit – er kokettierte im Vortrag mit dem Alter der Technologien, mit denen er gearbeitet hat – wirklich so. Heute dagegen ist es ein echtes Problem für Nachwuchsforscher, das Thema oder gar den Arbeitskreis zu wechseln. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde eben das Thema kontrovers diskutiert, mit dem Ergebnis dass es im heutigen Klima sehr gute Gründe gibt, die Zähne zusammenzubeißen und eine ungeliebte Arbeit bis zum Ende durchzuziehen.

Bastler bei der Arbeit: Das ist ein selbstgebastelter Thermocycler. Bild: Beatrice Lugger

Die Frage, ob heutige Nachwuchsforscher an ihre Forschungen nicht völlig anders herangehen müssen, stellt sich natürlich grundsätzlich, wenn so ein Nobelpreisträger aus dem Nähkästchen plaudert – aber einiges immerhin scheint sich nicht geändert zu haben. Das Laborjournal von Smithies, aus dem er einige Seiten präsentiert hat, war exakt so kreuz und quer vollgekritzelt wie meins. Das baut mich natürlich auf, und dass die entscheidenden Anmerkungen grundsätzlich unleserlich irgendwo an den Rand geschmiert sind kennt man ja auch.

Zwischen all den Anekdoten über selbstgebaute PCR-Cycler und Starkstrom in der Plastikwanne merkt man eben, dass Oliver Smithies immer ein Bastler war und dann auch immer die Freiheit hatte, einer zu sein. Das ist vielleicht das große Geheimnis vieler Nobelpreisträger, dass sie nicht nur zur rechten Zeit am rechten Ort waren, sondern eben auch genau die richtige Person für dieses Gebiet. Viele Laureaten berichten davon, dass sie ihr Leben mit Forschung, Familie und Hobbies so gelebt haben wie es in dem Moment einfach richtig war, und aus dieser Konstellation ist dann die preisgekrönte Entdeckung hervorgegangen.

Ich als Zyniker habe bei sowas immer den Verdacht, dass die Leute da mit rosarot gefärbter Brille zurückblicken, aber bei dem was Smithies hier heute so vorgetragen hat, könnte man auf die Idee kommen, dass an dem Bild eben doch etwas Wahres dran ist.