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Veröffentlicht 21. April 2017 von Neysan Donnelly

Akademische Freiheit in Gefahr

Mittel- und osteuropäische Länder haben sich in den letzten Jahren als ernst zu nehmende Akteure in der wissenschaftlichen Forschungslandschaft etabliert. Erst letztes Jahr nannte das Wissenschaftsmagazin Nature einige dieser Länder, darunter Polen, Russland und die Türkei, „Aufsteiger”. Allerdings ist der Bildungssektor dieser Länder in den letzten Monaten aus eher entmutigenden Gründen in die Schlagzeilen geraten: Von Budapest bis zum Bosporus ist die wissenschaftliche Freiheit in der Region gefährdet. Im Fokus steht dabei der Druck, den die ungarische Regierung auf die Central European University (CEU) ausübt. Doch dies ist nur ein Beispiel für eine allgemeinere Welle der Schikanierung und Unterdrückung von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Institutionen. Inzwischen finden sich besorgte Bürger zusammen, die die Wissenschaftsfreiheit gefährdet sehen.

 

Die drohende Schließung der Central European University in Budapest, Ungarn, hat viel Aufsehen erregt und auf die Bedrohung der akademischen Freiheit in Europa und darüber hinaus aufmerksam gemacht. Photo: By Gphgrd01 (CEU) [CC BY-SA 3.0] über Wikimedia Commons.
Die drohende Schließung der Central European University in Budapest, Ungarn, hat viel Aufsehen erregt und auf die Bedrohung der akademischen Freiheit in Europa und darüber hinaus aufmerksam gemacht. Photo: By Gphgrd01 (CEU) [CC BY-SA 3.0] über Wikimedia Commons.

 

Nationalismus versus Wissenschaft: Wenn akademische Welt und nationales Interesse kollidieren

Wenn die verschiedenen aktuellen Ereignissen etwas gemeinsam haben, dann ist es wohl Folgendes: Regierungen befürchten vermeintliche Bedrohungen durch „ausländische Agenten” und sind der Meinung, dass ihre eigenen Wissenschaftler und wissenschaftlichen Institutionen gegen nationale Interessen handeln. Wie ist es zu dieser Situation gekommen?

Die Existenz der CEU wird von einem neuen Gesetz bedroht, nach dem alle in Ungarn tätigen ausländischen Hochschulen in ihrem Herkunftsland ebenfalls aktiv sein müssen. Die CEU ist zwar auch in den USA offiziell anerkannt, aber hat dort keinen Campus. Deshalb müsste die Universität ihren Betrieb in Ungarn nach dem neuen Gesetz einstellen. Aber das ist nicht die ganze Geschichte: Die CEU wurde 1991 in Budapest von dem ungarisch-amerikanischen Investor und Philanthropen George Soros mit dem Ziel gegründet, den Einfluss amerikanischer, europäischer und internationaler Traditionen als Grundlage für die Förderung einer offeneren und transparenteren Gesellschaft zu nutzen. Und genau diese Offenheit scheint den Kollisionskurs der Hochschule mit der Regierung von Premierminister Viktor Orban zu begründen. Sein erklärtes Ziel ist es, Ungarn zu einer „illiberalen Demokratie” zu machen. Er lehnt die Vorstellung ab, dass sein Land im Kern liberal demokratische Werte trage. Das neue Gesetz der Regierung kann als das letzte Kapitel im Konflikt um die Vorherrschaft von zwei entgegengesetzten Ideologien betrachtet werden: Weltoffenheit und Internationalität gegenüber der Vormachtstellung einzelner Nationalstaaten.

 

Tausende Ungarn sind auf die Straße gegangen, um gegen ein neues Gesetz zu protestieren, das die Existenz der Central European University in Budapest bedroht. Photo: By Syp (privat) [CC0], über Wikimedia Commons
Tausende Ungarn sind auf die Straße gegangen, um gegen ein neues Gesetz zu protestieren, das die Existenz der Central European University in Budapest bedroht. Photo: By Syp (privat) [CC0], über Wikimedia Commons

 

Wie ist die Lage in anderen Ländern der Region? Polen hat in der letzten Zeit besonderes Lob für seine zunehmende Wettbewerbsfähigkeit in der Forschung erhalten. Allerdings spüren inzwischen einige Wissenschaftler des Landes ebenfalls einen kühlen Wind und befürchten, dass die derzeitige Regierung der Wissenschaft und evidenzbasierten Erkenntnissen den Rücken zukehrt. So hat die Regierung beispielsweise geplant, in einem der ältesten Wälder Europas riesige Baumbestände zu fällen, um den dortigen Käferbefall zu bekämpfen. Umweltschützer argumentieren, dass die Vernichtung so vieler Bäume unnötig sei und das Ökosystem des Waldes dadurch empfindlich gestört würde. Zudem plant die regierende Partei Prawo i Sprawiedliwość Bildungsreformen, um Geschichte und traditionelle Werte im polnischen Schulunterricht stärker zu betonen, und gleichzeitig den naturwissenschaftliche Unterricht zu reduzieren. Besorgniserregend ist auch das laufende öffentliche Ermittlungsverfahren gegen den polnisch-amerikanischen Historiker Jan Tomasz Gross. Im letzten Jahr wurde Gross von einem polnischen Staatsanwalt wegen kontroverser Behauptungen zur polnischen Gewalt gegen Juden während des Zweiten Weltkriegs vernommen. Angeblich stellen die Äußerungen von Gross eine öffentliche Beleidigung des polnischen Volkes dar und ihm wurde angedroht, ihm einen polnischen Verdienstorden abzuerkennen.

Wie in Ungarn befürchtet derzeit auch in Russland eine Hochschule, dass sie geschlossen werden könnte: die Europa-Universität in St. Petersburg (EUSP). Die EUSP gilt, was die Forschungsproduktivität betrifft, als ranghöchste Universität des Landes. Jetzt kämpft sie um ihre Existenzberechtigung. Die Hochschule hat mutmaßlich gegen eine Reihe von Vorschriften verstoßen. Einer der Knackpunkte dabei ist wohl, dass in den Augen von Rosobrnadzor, dem föderalen Dienst für Aufsicht in Bildung und Wissenschaft in der Russischen Förderation, der Anteil der praktischen Arbeit der Hochschule zu gering ist. Allerdings haben die EUSP sowie viele ihrer russischen und internationalen Unterstützer den Eindruck, dass hinter diesen Rechtsstreitigkeiten ernstere Absichten stecken. Sie sind davon überzeugt, dass das Geschlechterforschungsprogramm der Universität die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen hat. Laut der Universität wurden die Ermittlungen wegen angeblicher Verstöße gegen russisches Recht durch Beschwerden angestoßen, die ein Vertreter der Gesetzgebenden Versammlung von St. Petersburg vorgebracht hat. Und dieser Vertreter ist ein Gegner der von der EUSP angebotenen Lehrveranstaltungen zur Geschlechterforschung. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Eine Gerichtsentscheidung soll am 16. Mai 2017 fallen.

Die größte Unterdrückungswelle erleben aber derzeit zweifelsohne Wissenschaftler in der Türkei. Der Ausnahmezustand, der nach dem versuchten Staatsputsch im vergangenen Juli ausgerufen wurde, hat die wissenschaftlichen Institutionen des Landes in nicht nachlassende Turbulenzen gestürzt. Tausende Wissenschaftler sind bereits entlassen worden, weil ihnen eine Beteiligung am Putschversuch unterstellt wird. Allein seit Anfang dieses Jahres hat der Academic Freedom Monitor 16 einzelne Fälle registriert, in denen die wissenschaftliche Freiheit beschnitten wurde. Das reicht von Entlassungen bis hin zu Strafverfolgung, Inhaftierung oder Gewaltanwendung. Im Rahmen eines einzigen Vorfalls dieser Art wurde allein am 7. Februar 2017 per Erlass die Amtsenthebung von 330 wissenschaftlichen Mitarbeitern angeordnet, denen eine Mitwirkung am Putschversuch im Juli letzten Jahres unterstellt wird. Und jetzt, da Präsident Recep Tayyip Erdoğan – wenn auch nur mit knapper Mehrheit – die Zustimmung für eine Reihe von Reformen erhalten hat, die alle Macht in seinem Amt konzentrieren sollen, scheint eine Verbesserung der Situation in absehbarer Zeit noch unwahrscheinlicher.

 

Mehr als 600 Gründe, optimistisch zu sein

Die Idee zu einem „March for Science” wurde ursprünglich durch die wissenschaftsfeindliche Haltung von US-Präsident Donald Trump sowie den von ihm und seiner Administration vorgeschlagenen Maßnahmen ausgelöst. Schnell hat das Ziel dieser Bewegung, die „wichtige Rolle zu schützen, die die Wissenschaft für unsere Gesundheit, Sicherheit, Wirtschaft und Regierungen spielt” großen Anklang bei Menschen in aller Welt gefunden: In mehr als 600 Städten, viele davon in Europa, gingen tausende Menschen am 22. April 2017 für die Wissenschaft auf die Straße. Allein in Deutschland fanden 19 Märsche statt.

 

Maria Kronfeldner, Professorin an der CEU, sprach am 22. April 2017 beim March for Science in Münche über die Bedrohungen für die CEU. Photo: Lindau Nobel Laureate Meetings.
Maria Kronfeldner, Professorin an der CEU, sprach am 22. April 2017 beim March for Science in München über die Bedrohungen für die CEU. Photo: Lindau Nobel Laureate Meetings.

 

Warum finden auch Demonstrationen in Ländern statt, in denen die akademische Freiheit nicht direkt bedroht ist? Claus Martin, Mitveranstalter der deutschen Märsche, hat das kurz vor dem Marsch in einem veröffentlichten Interview so erklärt: „Gerade weil bei uns die Meinungs- und die Wissenschaftsfreiheit nicht direkt bedroht sind, können und müssen wir uns solidarisch mit den Ländern zeigen, wo Wissenschaftler unter Druck geraten sind, in den USA, aber vor allem auch in der Türkei, Ungarn und anderswo.“  

Die existenzielle Bedrohung für die CEU in Ungarn hat eine Reihe von massiven Protestveranstaltungen ausgelöst. Über 70.000 Menschen nahmen an den Demonstrationen am 9. April 2017 in Budapest teil. Bekannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie wissenschaftliche Institutionen haben der CEU ihre Unterstützung angeboten und die Haltung der ungarischen Regierung kritisiert. Ob sich die Regierung dem internationalen Druck letztlich beugen wird, ist abzuwarten. Doch eines ist klar: Die Wissenschaft braucht Vorkämpfer und Unterstützer mehr denn je. Der Marsch muss weitergehen.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.