Veröffentlicht 20. März 2015 von Stephanie Hanel
Ada Yonath – die Pionierin
Was haben der Polarbär, ein Lockenkopf und das Ribosom miteinander zu tun? Eine Nobelpreis-Story.
Nichts deutete auf diese Karriere hin – Ada Yonath wurde am 22. Juni 1939 in eine arme Familie zionistischer Auswanderer in Jerusalem geboren. Bereits mit 11 Jahren war sie Halbwaise und versuchte mit Aushilfsarbeiten ihre Mutter zu unterstützen und zum Familienunterhalt beizutragen. Die Mutter zog dann mit Ada und der kleinen Schwester nach Tel Aviv, in die Nähe ihrer Schwestern. Und sie unterstützte trotz der widrigen Umstände die Wissbegierde ihrer Tochter, was nicht immer leicht zu ertragen gewesen sein dürfte: Zum Beispiel, als Ada Yonath mit fünf Jahren, um Höhenmessungen zu machen, Möbel aufeinander stapelte, selbst ihren Turm bestieg, prompt abstürzte und sich den Arm brach.
Aber solche Missgeschicke scheinen Ada Yonath zeitlebens eher angespornt zu haben. Und so war es auch ein schwerer Fahrrad-Unfall, der sie als Erwachsene ans Bett fesselte, aber durch spannende wissenschaftliche Lektüre eine entscheidende Idee beflügelte – die Sache mit dem Polarbären, der seine Ribosomen während des Winterschlafes praktisch komprimieren und ‚bewahren’ kann. Wenn ein Polarbär seine Ribosomen manipulieren konnte, warum sollte ich das dann nicht auch können? So oder so ähnlich ging es der ehrgeizigen Wissenschaftlerin durch den Kopf. Ada Yonath suchte nach einer Möglichkeit, ein Ribosom zu kristallisieren und gleichzeitig weder die Struktur noch die Funktionalität zu zerstören. Wohlmeinende Menschen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen: Wie kann man sich nur etwas vornehmen, von dem alle wissenschaftlichen Experten sagen, dass es nicht machbar wäre? Die Struktur des Ribosoms durch Röntgenkristallographie sichtbar machen – angesichts der Größe und fehlenden inneren Symmetrie des Protein-RNA-Komplexes wurde dies für aussichtslos gehalten.
Ada Yonath hat alles für das Ribosomen in die Waagschale geworfen und gewonnen: Die Struktur entschlüsselt und 2009 den Nobelpreis erhalten. Was wir heute über diese ‚zellulären Maschinen’ wissen, verdanken wir ihr und den beiden mit ihr ausgezeichneten Wissenschaftlern Thoma A. Steitz und Venkatraman Ramakrishnan. Ribosomen sind aus zwei unterschiedlich großen Untereinheiten aufgebaute riesige Zellorganellen, die aus Ribonukleinsäuren und vielen verschiedenen Proteinen bestehen. Die beiden Untereinheiten sind gemeinsam in der Lage Proteine herzustellen. Mittels Boten-RNA (mRNA) aus dem Zellkern, die als genetisch kodierter Produktionsplan fungiert, wird Aminosäure um Aminosäure so zusammengefügt, dass das gewünschte Protein entsteht. Das fertige Endprodukt wird dann durch einen Tunnel entlassen.
„The ribosome is a machine that gets instructions from the genetic code and operates chemically in order to produce the product. During the work – they work very fast and very well and very accurately – and during their work they have to proof read the results and to protect the product until the product is capable of protecting itself. The product is a protein and if you think about the kangaroo in a pocket, the product goes first into a pocket which is actually in the ribosomal tunnel. And this way you can look at it as a machine and we call it the cellular machine.“
Allen, die diesen Vorgang noch nie visualisiert gesehen haben, sei das Video in der Lindauer Mediatheque empfohlen – eine Aufzeichnung von Ada Yonaths Lecture („Curiosity and its Fruits: From Basic Science to Advanced Medicine“) während der Lindauer Nobelpreisträgertagung 2013, die entsprechende Filmsequenzen enthält. Soweit in die Mikroebenen des Lebens sehen zu können, kann genauso faszinieren, wie in die Weite des Universums zu blicken! Ada Yonath ist nach wie vor authentisch begeistert und selbstironisch zugleich – keine Frage, sie ist die ideale Botschafterin ihres Arbeitsgebietes. „Das ist die ganze Geschichte, wir haben 20 Jahre gebraucht, um das herauszufinden“, sagt sie und schüttet sich aus vor Lachen. Wenn man die Geschichte dahinter kennt und weiß, dass Ada Yonath bis zu den ersten Erfolgen ihr ganzes wissenschaftliches Leben lang als verrückte Träumerin bezeichnet und der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, wird deutlich, welch eine große Persönlichkeit hinter diesem Lachen steht.
Ada Yonath studierte ab 1959 an der Hebräischen Universität zu Jerusalem, machte ihren Bachelor in Chemie, ihren Master dann 1962 in Biochemie und promovierte am Weizman-Institut für Wissenschaften in Rehovot mit einer Arbeit über Röntgenkristallographie. Nach Forschungsaufenthalten in den USA am Mello Institut in Pittsburgh und am MIT in Cambridge kehrte sie 1970 an das Weizman-Institut zurück, an dem sie übrigens auch heute noch als Professorin für Strukturbiologie lehrt. Damals konnte sie dort das erste Proteinkristallographie-Labor in Israel aufbauen. Als sehr wichtig für ihren Weg nennt Ada Yonath ihre Arbeit als Gruppenleiterin am MPI für Molekulare Genetik in Berlin (1979-1983) und die Arbeit mit ihrer Forschungsgruppe am DESY in Hamburg ( 1976-2004). 1989 übernahm Yonath zusätzlich die Leitung des neu geschaffenen Kimmelmann Center for Biomolecular Assemblies am Weizman-Institut.
Unbestritten ist Ada Yonath eine Pionierin auf ihrem Gebiet. Sie fand eine Methode besonders robuste Bakterien aus dem Toten Meer zu kristallisieren. Sie verwendete neue Techniken wie zum Beispiel die Cryo-Kristallographie (Kristallisation in flüssigem Stickstoff bei -185°C), bei der die dynamischen Strukturen zur Ruhe kommen und verband immer wieder die richtigen Fragen und Ideen mit neuen Forschungsmethoden. Die Entschlüsselung der Struktur des Ribosoms ließ sie nicht zur Ruhe kommen – sofort war das nächste Ziel ausgemacht, und so konnten weitere Forschungsarbeiten von Yonath die Wirkungsweise von über 20 Antibiotika aufzeigen und den Grundstein für die Entwicklung neuer, auf der Ribosomen-Struktur basierender Antibiotika legen. In den letzten Jahren widmete sich Ada Yonath besonders der Fragen rund um Antibiotika-Resistenzen (Video „New drugs für old bugs“) und geht forschungstechnisch noch einmal mehr in die Tiefe – wer war zu erst da, die Henne oder das Ei? Ada Yonath beantwortet diese Frage so: Weder noch. Am Anfang war das Proto-Ribosom!
Die Lindauer Nobelpreisträgertagung kann sich auch in diesem Jahr auf Ada Yonaths Besuch freuen. Die Scientific Community kann stolz auf eine unermüdliche Pionierin sein. Für die Geschichtsbücher ist Ada Yonath die vierte Chemienobelpreisträgerin und würdige Nachfolgerin Dorothy Hodgkins.