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Veröffentlicht 22. Oktober 2014 von Matthias Müller

Buchrezension: Ökonomie für Neugierige

Der Vorwurf an Ökonomen lautet oft, ihr Fach und ihr Denken seien eindimensional. Wie falsch diese Kritik ist, zeigt ein Buch mit Beiträgen von zwölf Wirtschaftsnobelpreisträgern.

  • Autoren: Robert M. Solow & Janice Murray
  • Titel: Economics for the Curious
  • Verlag: Palgrave Macmillan

Über Ökonomen wird zwar gerne gespottet, weil viele von ihnen die 2007 ihren Lauf nehmende Finanz- und Wirtschaftskrise nicht vorhergesehen hatten. Doch die Lehre daraus sollte sein, dass es künftig – noch – besser ausgebildete Wirtschaftswissenschafter geben sollte, welche die immer komplexer werdenden Zusammenhänge verstehen und auf Fehlentwicklungen hinweisen können. Insofern müssen nicht nur Lehre und Forschung auf den Prüfstand gestellt werden, sondern junge Menschen sollten für das facettenreiche Fach frühzeitig begeistert werden.

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Geistiger Vater aus St. Gallen

Ein Versuch in diese Richtung wird mit dem Buch «Economics for the Curious» gewagt, in dem sich zwölf Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften an Jugendliche, die vor ihrem Studium stehen, wenden und ihnen ihre Forschungsschwerpunkte möglichst einfach zu erklären versuchen. Die Publikation ist dem St. Galler Wolfgang Schürer gewidmet, auf den das seit 2004 alle drei Jahre stattfindende Treffen der Ökonomienobelpreisträger in Lindau zurückgeht und den das Buchprojekt schon seit längerem umgetrieben hat.

Das nun vorliegende Werk ist als Fundament für weitere künftige Auflagen anzusehen, denn viele spannende volkswirtschaftliche Bereiche wie die Entwicklungspolitik oder der internationale Handel werden nur am Rande gestreift, obwohl es dafür mit den Preisträgern des Jahres 1998, Amartya Sen, sowie von 2008, Paul R. Krugman, ausgewiesene Experten gibt.

Letzterer geht dagegen gleich im ersten Kapitel des Buches der Frage nach, inwiefern wirtschaftliche Depressionen sich von Rezessionen unterscheiden. Laut Krugman produziert die gesamte Wirtschaft über einen längeren Zeitraum weniger, als sie eigentlich könnte – sie bleibt also unterhalb der Kapazitätsgrenze -, und die Geldpolitik ist wegen des bereits nahe null liegenden Leitzinssatzes handlungsunfähig – im Gegensatz zu Rezessionen, bei denen die Notenbanken noch über Spielraum verfügen, um Zinsen zu senken. Wenig überraschend schlägt Krugman eine expansive Fiskalpolitik vor, um die Krise – in Form einer Depression – wirkungsvoll zu bekämpfen. Der erste Artikel bietet jedoch einen wenig gelungenen Einstieg in die Thematik, denn die Zeilen wirken schnell niedergeschrieben und nur bedingt durchdacht.

Denken in kausalen Ketten

Weitaus aufschlussreicher wäre es für den neugierigen Leser gewesen, mit dem brillanten Aufsatz von dem Anfang dieses Jahres verstorbenen Dale T. Mortensen in das Buch einzusteigen. Der Preisträger des Jahres 2010 geht der bisher wenig behandelten Frage nach, wie Bankenkrisen und Arbeitslosigkeit zusammenhängen. In diesen Zeilen erfährt der Leser, wie es zur Finanz- und Wirtschaftskrise kam und wie sie ihren Lauf nahm; zudem lernt er schnell, dass Ökonomen in kausalen Zusammenhängen denken.

Ein weiterer lesenswerter Beitrag ist jener von A. Michael Spence über eine sich wandelnde Weltwirtschaft und die Folgen des Bedeutungsverlusts der Industrieländer. Zum Nachdenken regen auch der Artikel von Finn E. Kydland über eine zeitkonsistente und damit glaubwürdige Wirtschaftspolitik sowie jener von William F. Sharpe an, der Antworten auf die Frage sucht, wie man für das Alter vorsorgen sollte.

«Economics for the Curious» bildet einen in weiten Teilen gelungenen Einstieg in die mannigfaltige Welt der Ökonomie und zeigt auf, dass es sich tatsächlich um eine Sozialwissenschaft handelt, in deren Mittelpunkt menschliche Entscheidungen stehen.


Diese Rezension erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 1. Oktober 2014.

Die Slidergrafik enthält Auszüge aus Shutterhacks @ FlickR (lizensiert unter Creative Commons).

 

Matthias Müller

Geboren 1969 in Ebingen auf der Schwäbischen Alb. Nach dem Abitur in Spaichingen Studium der Volkswirtschaftslehre in Tübingen, unterbrochen durch einen Besuch der Universität von Guadalajara in Mexiko. Anschliessend wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Bernhard Herz an der Universität Bayreuth. Nach der ohne fremde Hilfe geschriebenen Promotion («Kosten und Nutzen von Inflation») Eintritt in die Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zudem noch VWL-Dozent an zwei Fachhochschulen in Berlin. Ab Januar 2009 folgte dann eine Odyssee durch die deutsche Verbändelandschaft. Seit Dezember 2010 nun bei der NZZ. Verantwortlich für die Seite «Mensch und Arbeit», den Schweizer Arbeitsmarkt, Bildungsökonomie, Telekommunikation und Logistik.