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Veröffentlicht 7. Oktober 2019 von Jude Dineley

Wie man ein Atom wiegt: Der Massenspektrograph von Francis W. Aston

Francis W. Aston mit seinem ersten Massenspektrometer im Cavendish Laboratory an der University of Cambridge, UK, im Jahr 1919.

Francis W. Aston war ein mit vielen Talenten, vom Glasblasen bis zum Klavierspielen, gesegneter Mensch und möglicherweise der einzige surfende Nobelpreisträger – das Wellenreiten hatte er während seines Aufenthalts in Honolulu 1909 gelernt. Besser bekannt ist der Physiker und Chemiker allerdings wohl für seine Leistungen als experimenteller Ausnahmewissenschaftler.

In diesem Jahr ist es genau 100 Jahre her, dass Aston seinen ersten Massenspektrographen, ein Gerät zur Messung der relativen Massen einzelner Atome und Moleküle, gebaut hat. Sein Spektrograph brachte ihm, zusammen mit den damit erzielten Ergebnissen, 1922 den Nobelpreis für Chemie ein und bildete den Auftakt der Massenspektrometrie.

Der 1877 in den englischen Midlands geborene Aston studierte Chemie und Physik am Mason College in Birmingham. Zur damaligen Zeit überschlugen sich die Fortschritte in der Physik und der Student war besonders fasziniert von Röntgens Entdeckung der Röntgenstrahlen mithilfe der Crookesschen Röhre im Jahre 1895.

Diese Entdeckung inspirierte ihn nach Abschluss seines Studiums auch dazu, die elektrische Entladung von Gasen in der Röhre zu untersuchen, eine Entscheidung, die sich als Glücksfall herausstellen sollte. J.J. Thomson, einer der führenden britischen Physiker, hatte über einen gemeinsamen Bekannten von dem talentierten Experimentator Aston gehört. Er teilte dessen Faszination und bot ihm 1909 an, als sein Assistent an der University of Cambridge tätig zu werden.

Francis William Aston (1877-1945)

Thomson hatte bereits 1906 für seine Arbeit über Gasentladungsröhren den Nobelpreis für Physik erhalten. Dabei hatte er nachweisen können, dass Kathodenstrahlen aus einem Strom negativ geladener subatomarer Teilchen – den Elektronen – bestehen. In seiner Arbeit widmete er sich dann den gleichzeitig erzeugten positiven Strahlen und ebnete den Weg für ein neues Feld der Massenspektrometrie.

Thomson nutzte elektrische und magnetische Felder zur Ablenkung der Strahlen und erfasste diese Ablenkungen auf fotografischen Platten, die er in ihrem Strahlengang platzierte. Diese Anordnung erzeugte Spuren in der Form der Parabeln auf den Platten, da die Teilchenstrahlen durch ein Spektrum von Winkeln abgelenkt wurden, das durch die Streubreite ihrer Geschwindigkeiten bedingt war.

Noch entscheidender war jedoch, dass Strahlen unterschiedlicher Elemente an unterschiedlichen Stellen auf die Platten trafen. Ihre eindeutigen Signaturen waren die Folge ihrer Ladung und ihrer Masse – die grundlegenden Merkmale legten fest, wie stark die Ionen, aus denen die Strahlen bestanden, von den Feldern abgelenkt wurden.

Aston steuerte mehrere Beiträge zur Versuchsanordnung bei, die deren Performance erheblich verbesserten. Und so nutzten die beiden Wissenschaftler 1912 diese Voraussetzungen, um natürlich vorkommendes Neon zu untersuchen – mit dem Unterschied, dass das Gas zwei statt einer Parabel erzeugte. Das war der erste Nachweis multipler Isotope in nicht-radioaktiven Elementen. Zum damaligen Zeitpunkt war das Konzept eines Isotops allerdings noch sehr neu, sodass Thomson erhebliche Zweifel hatte, ob es sich hier tatsächlich um das handelte, was sie gemessen hatten.

Aston verfolgte das interessante Ergebnis weiter und versuchte, größtenteils erfolglos, die beiden Spezies zu trennen. Seine Arbeiten wurden dann vom Ersten Weltkrieg unterbrochen und er konnte erst 1919 seine Tätigkeit im Labor wieder aufnehmen. Bis dahin war das Konzept des Isotops weithin anerkannt, was die Vermutung untermauerte, dass es sich bei beiden um Neon handelte.

Folgerichtig machte sich Aston dann daran, ein präziseres Gerät zu entwickeln, um einen überzeugenden Nachweis für die beiden Isotope liefern zu können – seinen preisgekrönten Massenspektrographen. Es war der erste von drei Spektrographen, die er entwickeln sollte, wobei jeder der drei um eine Größenordnung präziser war als der vorherige.

Sein Spektrograph verwendete nach wie vor elektrostatische und magnetische Felder, aber Aston änderte deren Ausrichtung und wandte sie nacheinander an verschiedenen Stellen an. Das Ergebnis war eine elektromagnetische ‘Linse’, die die von einem bestimmten Element erzeugten Strahlen auf einen einzelnen Punkt statt einer Parabel richtete. Und die intensiveren Punkte ermöglichten präzisere Messungen.

Im Jahr seiner Rückkehr in das Labor begann Aston damit, Experimente mit seinem neuen Spektrographen durchzuführen, und konnte schon bald die Existenz der beiden Neonisotope mit Massen von 20 bzw. 22 mit einer Genauigkeit von eins zu tausend bestätigen. Es waren die ersten von 212 Isotopen, die er im Laufe seiner Tätigkeit identifizieren konnte, und er entwickelte sich zu einem führenden Forscher seines Gebiets.

Aston wies zudem nach, dass Isotopenmassen nur als (ungefähr) ganzzahlige Werte auftreten: die von ihm formulierte Regel der Ganzzahligkeit. Diese Feststellung lieferte einen entscheidenden Beitrag für das Verständnis der Struktur des Atoms und resultierte in einem frühen Modell des Atomkerns, das Elektronen und Protonen enthielt und dessen Masse sich abhängig von der Anzahl der Protonen veränderte. Zum damaligen Zeitpunkt hatte man das Neutron noch nicht entdeckt.

Aber es ging noch weiter: Seine akribischen Messungen zeigten kleine, aber bedeutende Abweichungen von der Ganzzahlregel. Diese hingen mit der Bindungsenergie des Atomkerns zusammen, ein Konzept von grundlegender Bedeutung für Kernenergie und Nuklearwaffen. Mit seinem zweiten Massenspektrographen untersuchte Aston diese Zusammenhänge noch eingehender. Und in seiner Nobelpreisrede in Stockholm 1922 deutete er bereits die nachhaltigen Folgen – im guten wie im schlechten Sinne – für die Menschheit an.

Ob er sich damals bereits vorstellen konnte, wie weit verbreitet die Massenspektrometrie heute eingesetzt wird – in Wissenschaft, Forschung, Industrie und weiteren Bereichen –, ist eine andere Frage. Nachdem Massenspektrometer in den 1940er Jahren verfügbar wurden, entwickelte sich die Massenspektrometrie zu einer grundlegenden Technik der Chemiker zur Identifizierung und Charakterisierung von Molekülen. Seit den 1980er Jahren haben die mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Ionisierungsverfahren Elektrospray-Ionisation (ESI) und Softlaser-Desorption (SLD) auch die Analyse großer Biomoleküle ermöglicht, was die Massenspektroskopie zu einem wertvollen Instrument für Biologen macht.

Zu den unterschiedlichen Einsatzbereichen gehören beispielsweise die Konservierung von Kunstwerken, Drogentests, Explosivstoffmessungen an Flughäfen, die Umweltüberwachung und die Klimabeobachtung, die Arzneimittelentwicklung oder die Paläontologie. Im Gesundheitswesen ist die Massenspektrometrie inzwischen ein Routineinstrument im Neugeborenen-Screening auf Stoffwechselstörungen, während intelligente Skalpelle schon bald Chirurgen dabei unterstützen könnten zu überprüfen, ob sie den gesamten Tumor bei einem Patienten entfernt haben. Die Liste der Anwendungen ließe sich fortsetzen und macht die Massenspektrometrie zu einem weiteren klassischen Beispiel dafür, dass man in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung wohl nie genau wissen kann, wohin sie letztendlich führen wird.

Jude Dineley

Jude Dineley is a science writer based in Bavaria, Germany. She has a PhD in medical ultrasound physics from the University of Edinburgh and has worked in clinical radiotherapy in the UK, Ireland and Australia. She enjoys writing on a variety of topics, from the physical sciences to issues affecting scientists, and has been a contributor to Physics World and former sister site medicalphysicsweb since 2008.