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Published 23 November 2018 by Neysan Donnelly

Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2018 – Bewaffnung des eigenen Immunsystems im Kampf gegen den Krebs

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer Reihe von Artikeln über die Forschungen, die in diesem Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Die offizielle Nobelpreiszeremonie wird am 10. Dezember in Stockholm stattfinden.

Der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin wurde James P. Allison und Tasuku Honjo verliehen. Ihre Durchbrüche in der Krebsforschung haben es Wissenschaftlern ermöglicht, hochwirksame Medikamente herzustellen, die die körpereigenen Abwehrkräfte gegen Krebszellen reaktivieren.

Als Kampf zwischen Wissenschaftlern und Ärzten auf der einen Seite, bewaffnet mit Chemotherapeutika, Strahlentherapie oder anderen Verfahren, und den malignen Zellen auf der anderen Seite – so stellen wir uns den Krieg gegen den Krebs im Allgemeinen vor und so wird er meist auch dargestellt. Doch was wäre, wenn der Fokus einer Krebsbehandlung nicht auf der direkten Ansteuerung der Tumoren läge – eine Vorgehensweise, die in der Realität oftmals schwierig und ungenau ist –, sondern sie stattdessen die im Körper schlummernde Fähigkeit, Krebszellen zu erkennen und auszuschalten, reaktivieren würde?

Wir Menschen verfügen über ein hochentwickeltes und komplexes Immunsystem, das uns vor äußeren Eindringlingen wie Bakterien und Viren, aber auch vor dem Feind im Inneren, dem Krebs, schützt. Wissenschaftlern ist schon lange bekannt, dass eine enge Verbindung zwischen Krebs und dem Immunsystem besteht. Bereits Paul Ehrlich, der 1908 gemeinsam mit Ilja Iljitsch Metschnikow für die Erforschung der Grundlagen der Immunität den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt, hatte die Hypothese aufgestellt, dass Krebszellen vom Immunsystem erkannt und ausgeschaltet werden können. In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelten Lewis Thomas und die Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin des Jahres 1960, Frank MacFarlane Burnet und Peter Brian Medawar, aufbauend auf dieser Idee das Konzept der Krebs-Immunüberwachung. Danach exprimieren Krebszellen spezielle Proteine auf ihrer Oberfläche, die von zirkulierenden Zellen des Immunsystems erkannt werden können, wodurch es zu einer Zunahme starker Immunreaktionen gegen die Tumorzellen kommt.

Aufgrund des destruktiven Potentials des Immunsystems muss seine Funktion jedoch strikt reguliert werden, um zu gewährleisten, dass dabei keine körpereigenen Zellen geschädigt werden. Darüber hinaus supprimieren Krebszellen aktiv das Immunsystem, um ihr Überleben und ihre Ausbreitung zu sichern. Indem sie die Bremsmechanismen, die auf T-Zellen – spezialisierte Zellen des Immunsystems, die äußere Eindringlinge sowie Krebszellen angreifen und zerstören – wirken, auf der molekularen Ebene zu verstehen versuchten, entdeckten James P. Allison und Tasuku Honjo Möglichkeiten, diese Bremsmechanismen außer Kraft zu setzen, damit das Immunsystem Krebszellen abtöten kann.

Wie bei vielen bedeutenden wissenschaftlichen Entdeckungen war der Weg zum Erfolg lang, und das Konzept, das Immunsystem zur Bekämpfung und Eliminierung von Krebs zu stimulieren, führte, obgleich es vielen attraktiv erschien, viele Jahre lang ein zwangloses Nischendasein in der Forschung. Bereits in den 1970er Jahren hatten Allison und Kollegen einen Mechanismus entdeckt, der das Immunsystem hemmt, wirksam gegen Krebszellen vorzugehen. Dieser Mechanismus basierte auf der Wechselwirkung von Tumorproteinen mit anderen Proteinen. In den späten 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dann ein neuartiges Protein namens CTLA-4 auf der Oberfläche von T-Zellen entdeckt. James Allison und sein Laborteam konnten zeigen, dass dieses Protein das Immunsystem in Schach hält, indem es die T-Zell-Response einschränkt. Allison stellte daraufhin die Hypothese auf, dass die Bremse, die das Immunsystem von der Eliminierung von Krebszellen abhält, für den Fall, dass sich die Funktion des CTLA-4-Proteins blockieren ließe, gelöst werden könne. Zu diesem Zweck blockierte er die CTLA-4-Funktion bei Mäusen mit Krebs durch Antikörper, wodurch die T-Zell-Funktion reaktiviert und eine vollständige Eradikation der Krebserkrankung bei den Mäusen erzielt wurde.

Parallel zu Allisons Forschung hatten Tasuku Honjo und Kollegen in Japan zu Beginn der 1990er Jahre ein anderes auf der Oberfläche von T-Zellen exprimiertes Protein entdeckt, das sie PD-1 tauften. Weitere Experimente zeigten, dass PD-1 die T-Zell-Funktion ebenfalls einschränkt. In Anlehnung an das CTLA-4-Grundprinzip galten die Blockierung der PD-1-Funktion und damit das Lösen der Bremse für die T-Zell-Funktion als Antikrebsstrategie.

 

Darstellung des Wirkmodus auf CTLA-4 bzw. PD-1 abzielender Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Linke Tafel: CTLA-4 fungiert als Bremse für T-Zellen, indem es die Funktion eines für die T-Zell-Aktivierung erforderlichen Beschleunigers hemmt. Antikörper (grün) gegen CTLA-4 lösen die Bremse und bewirken, dass T-Zellen Krebszellen angreifen. Rechte Tafel: Die PD-1-Bremse verhindert ebenfalls eine T-Zell-Aktivierung, und Antikörper gegen PD-1 lösen diese Bremse, so dass T-Zellen Krebszellen wirksam abtöten können. Bildnachweis: Presseinformation: The Nobel Prize in Physiology or Medicine 2018. NobelPrize.org. Nobel Media AB 2018. Mon. 19 Nov 2018.

Es war jedoch nach wie vor unklar, ob auf diese Proteine abzielende Verfahren bei der Behandlung von Krebs beim Menschen wirksam sein können. 2010 zeigte eine klinische Studie mit einem CTLA-4-Inhibitor beeindruckende Ergebnisse bei Melanompatienten, und die Ergebnisse einer 2012 durchgeführten Studie, in der die PD-1-Funktion bei Lungenkrebs und anderen Krebserkrankungen inhibiert wurde, belegten ähnlich dramatische Genesungsraten. Die Ergebnisse dieser und anderer Studien sind insbesondere deswegen spannend, weil eine Aufhebung der Immunblockade auch bei Patienten, die Metastasen aufweisen, d.h. deren Tumor ausgehend von seiner Primärlokation bereits im Körper gestreut hat, eine vollständige Eradikation des Krebses zur Folge haben kann. Solche Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium sind bekanntermaßen mit herkömmlichen Krebstherapien schwierig zu behandeln.

Inzwischen war die Beweislast zu erdrückend, als dass sie hätte ignoriert werden können. Damit war der Weg der Krebs-Immuntherapie aus dem Randbereich der Forschung in deren Mitte abgeschlossen. 2013 kürte sie die Fachzeitschrift Science zum Durchbruch des Jahres, und mittlerweile sind sechs auf CTLA-4, PD-1 und ein weiteres Protein auf der Oberfläche von T-Zellen, PD-L1, abzielende sogenannte Immun-Checkpoint-Therapien zur Anwendung bei Patienten zugelassen. Dass Allison und Honjo der diesjährige Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zu gleichen Teilen verliehen wurde, ist auch aus ganz praktischen Gründen gerechtfertigt: die Wirksamkeit von Immun-Checkpoint-Therapien scheint sich zu verstärken, wenn sie gegen CTLA-4 und PD-1 gleichzeitig vorgehen.

Gibt es einen Haken bei der Sache? Ein großer Vorbehalt im Zusammenhang mit diesen Therapien besteht darin, dass Nebenwirkungen infolge der verstärkten Funktion des Immunsystems, wie zum Beispiel Entzündungen, sorgsam überwacht und kontrolliert werden müssen. Dennoch hat die Krebs-Immuntherapie die Art und Weise, wie wir über Krebs und seine Behandlung denken, revolutioniert und wird in den kommenden Jahren sicherlich noch zahlreiche Leben retten.

Zusatzinformation: Ein spannendes Topic Cluster zur Geschichte der Immunologie befindet sich in unserer Mediathek.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.