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Veröffentlicht 4. Mai 2018 von Jude Dineley

Der Faktencheck – eine wirksame Waffe gegen Fehlinformationen?

Picture/Credit: Anne-Marie Miller/iStock.comIn meinen Anfängen als Wissenschaftsjournalistin gehörte es zu meinen Aufgaben, die Fakten in den Artikeln eines populären Wissenschaftsmagazins zu überprüfen. Die sorgfältige Durchsicht und Kontrolle aller Namen, Daten und Grundaussagen des jeweiligen Textes reichte für die Gewissheit, dass der Leser im Magazin Fakten statt Fiktion vorfinden würde. Unbemerkt von den Lesern wird diese Form des journalistischen Faktenchecks von Magazinen wie dem TIME Magazine oder The New Yorker bereits seit den 1920er Jahren praktiziert.

Heutzutage hat wahrscheinlich jeder, der Nachrichten liest, auch schon eine andere Art von Faktencheck kennengelernt: Artikel und Medienberichterstattungen, die die Richtigkeit von gemeldeten Behauptungen oder Gerüchten überprüfen, die sich meistens auf Politiker beziehen. Solche unabhängigen Kontrollen sind eine Möglichkeit, gegen Fehlinformationen vorzugehen.

Die Faktencheck-Aktivität hat im letzten Jahrzehnt drastisch zugenommen – bereits lange, bevor Begriffe wie ‘Fake News’ oder ‘post-faktisch’ die Schlagzeilen erobert haben. Eine kürzlich durchgeführte Erhebung nennt 149 aktive Faktencheck-Projekte in 53 Ländern. Dazu zählen Gruppen innerhalb der traditionellen Medien wie der britischen BBC ebenso wie unabhängige Wohltätigkeitsorganisationen und NGOs wie Correct!v’s Echtjetzt in Deutschland. Wenig überraschend ist dabei die Tatsache, dass Politik und Wirtschaft dieses Feld dominieren. Eine Handvoll Projekte wie SciCheck oder Détecteur de Rumeurs konzentriert sich aber auch auf den Wissenschaftssektor.

Die zunehmende Bedeutung von Faktenchecks ist zum Teil eine Reaktion auf die Flut von Fehlinformationen, die sich mit der Ausbreitung des Internets und der Social Media entwickelt hat: Nie zuvor ließen sich zweifelhafte Behauptungen so problemlos, weitreichend und schnell in Umlauf bringen.

Faktenchecks bieten aber darüber hinaus auch eine Möglichkeit, Themenkomplexe gründlicher zu dokumentieren, als dies im Rahmen einer routinemäßigen Nachrichtenberichterstattung möglich ist. Um Unparteilichkeit zu wahren, wollen Journalisten möglichst alle Gesichtspunkte berücksichtigen. Dieses Anliegen kann allerdings in Kombination mit der Situation zunehmend unterbesetzter Nachrichtenredaktionen und enger Fristen paradoxerweise zu einer falschen Ausgewogenheit und irreführender Berichterstattung führen. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Medienberichte über den Klimawandel.

„Es hat einen wachsenden Druck auf Journalisten gegeben, falsche Behauptungen von Politikern oder anderen Interessengruppen in ihrer Berichterstattung zu veröffentlichen”, sagt Lucas Graves, Faktenchecker beim Reuters Institute for the Study of Journalism in Großbritannien und früherer Journalist.

Viele Faktenchecker sehen es als hohe Priorität an, die Öffentlichkeit im Hinblick auf zu treffende politische Entscheidungen zu unterstützen, da die Überprüfung von Fakten den öffentlichen politischen Diskurs stärkt und Politiker stärker in die Pflicht nimmt.

So gibt es laut Graves viele Beispiele dafür, dass Faktenchecks Politiker zur Änderung ihrer Rhetorik bewegt haben. Der britische Channel 4 actCheck zwang beispielsweise im letzten Jahr den damaligen Gesundheitsminister Jeremy Hunt, Parlamentsprotokolle zu korrigieren, nachdem dieser behauptet hatte, dass sich die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen seit der Amtsübernahme seiner Regierung um 30.000 erhöht habe. In Wirklichkeit lag diese Zahl bei 692.

In einer bemerkenswerten experimentellen Studie in den USA wurde sogar nachgewiesen, dass sich die Anzahl negativ bewerteter Faktenchecks für Politiker reduzierte, wenn man sie an drohende Faktenchecks erinnerte.

Abgesehen davon sind solche ‚positiven Effekte‘ aber durchaus nicht allgemeingültig. Während es Hinweise darauf gibt, dass politische Parteien Faktenchecks in den Medien verfolgen, nehmen viele Politiker kritische Überprüfungen ihre Behauptungen oft einfach gar nicht zur Kenntnis.

Wie aber reagiert die Öffentlichkeit auf Faktenchecks? Insgesamt lässt ein enormer Bestand an Literatur zum Thema vermuten, dass solche Tatsachenüberprüfungen eine eher bescheidene Korrektivwirkung haben, so Graves. Aber die Sache ist kompliziert.

Zunächst einmal muss man einen Faktencheck überhaupt wahrnehmen, damit er irgendeine Wirkung ausüben kann, was bereits einen erheblichen Stolperstein darstellt. Bisher gibt es zu diesem Thema wenige Untersuchungen. Problemverschärfend wirken sich auch die Medienvorlieben Einzelner mit speziellen politischen Überzeugungen aus. „In den USA werden Menschen viel weniger wahrscheinlich einen von PolitiFact durchgefügten Faktencheck über Donald Trump sehen, wenn sie Fox News schauen”, meint Graves.

 

Faktenchecks erleben in den letzten zehn Jahren einen Boom. In der neuesten Erhebung wurden weltweit 149 aktive Projekt verzeichnet.  Credit: Duke Reporters’ Lab

 

Und können wir überhaupt davon ausgehen, dass jemand, nachdem er einen Faktencheck gesehen hat, unangebrachte Überzeugungen tatsächlich korrigiert? Das ist nämlich die Grundannahme des Deficit Model, einem von Wissenschaftskommunikatoren in den 1980er Jahren geprägten Begriff.

In Wirklichkeit sind Menschen komplexere Geschöpfe mit ideologischen Einstellungen, Emotionen und Identitäten. Belege über den Nutzen von Impfungen werden beispielsweise wohl kaum eine Mutter oder einen Vater mit einem stark entwickelten Misstrauen gegenüber der konventionellen Medizin davon überzeugen, das eigene Kind nun doch gegen Masern impfen zu lassen.

Ein bestimmtes Phänomen, der Bestätigungsfehler, besagt, dass Menschen Informationen bevorzugen, die besser zu ihren bestehenden Überzeugungen passen als Informationen, bei denen das nicht der Fall ist. Ein Impfgegner ist deshalb weniger empfänglich für Informationen von Impfbefürwortern.

Und ein ähnliches Phänomen, der Backfire-Effekt, kann deplatzierte Vorstellungen sogar noch verstärken. Wie eine Studie aus dem Jahr 2010 zeigt, waren Freiwillige stärker davon überzeugt, dass es im Vorfeld des zweiten Golfkrieges Waffenvernichtungswaffen (WMDs) im Irak gegeben hat, nachdem sie einen Artikel gelesen hatten, der beschrieb, wie keine Beweise dafür gefunden wurden.

Spätere Untersuchungen kamen jedoch zu dem Schluss, dass der Effekt selten auftritt und deshalb weniger besorgniserregend für Faktenchecker ist. Die Politikwissenschaftler Ethan Porter und Thomas Wood untersuchten die Reaktionen von Einzelpersonen mit einem Spektrum verschiedener politischer Überzeugungen auf faktische Korrekturen der Äußerungen von Politikern. „Im Großen und Ganzen nehmen Bürger faktische Informationen ernst, und zwar auch dann, wenn solche Informationen eine Herausforderung für ihre eigene ideologische Orientierung darstellen”, schlussfolgerten sie.

Dieselbe Studie wies aber dennoch nach, dass Menschen die Korrektur einer Aussage, die ihre Überzeugungen unterstützt, leichter annehmen. Dieses Resultat stimmte mit früheren Forschungsergebnissen überein. Ebenfalls entscheidend: Selbst wenn jemand akzeptiert, dass ein Politiker eine falsche Behauptung aufgestellt hat, bedeutet das nicht automatisch, dass er seine grundsätzlichen politischen Einstellungen ändert. Desgleichen wurde in einer separaten Studie nachgewiesen, dass sich dadurch nicht automatisch sein Wahlverhalten ändert.

Insgesamt sind die Reaktionen der Gesellschaft auf Faktenchecks nuanciert und komplex. Die den Wissenschaftlern so wichtigen Fakten bilden dabei nur einen Teil des Puzzles. Eines wird dennoch deutlich: Die sozialwissenschaftliche Forschung spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, konkret zu belegen, was funktioniert und was nicht. Vor diesem Hintergrund können Faktenchecker höchst effektiv agieren und einen konstruktiven Dialog über die großen Themen anstoßen, die uns alle betreffen – einschließlich denen, die mit der Wissenschaft zu tun haben.

 

The Conversation ist eine von 149 Organisationen, die derzeit vom International Fact-Checking Network anerkannt sind. Eine der Zulassungsvoraussetzungen ist die Transparenz in den gehandhabten Verfahren, der Verwaltung und der Finanzierung.

 

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Jude Dineley

Jude Dineley is a science writer based in Bavaria, Germany. She has a PhD in medical ultrasound physics from the University of Edinburgh and has worked in clinical radiotherapy in the UK, Ireland and Australia. She enjoys writing on a variety of topics, from the physical sciences to issues affecting scientists, and has been a contributor to Physics World and former sister site medicalphysicsweb since 2008.