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Veröffentlicht 31. Juli 2020 von Ben Skuse

Dem Klimawandel ein Gesicht geben

Ernste Gesichter beim Gespräch über den Klimawandel.

Man kann durchaus behaupten, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer an den Online Science Days 2020 der Ansicht ist, dass ein unkontrollierter, von Menschen verursachter Klimawandel eine Katastrophe für die Menschheit und das uns vertraute Leben auf der Erde darstellt. Obwohl diese Ansicht von immer mehr Menschen vertreten wird, bleiben Maßnahmen und Interventionen zur Begrenzung der globalen Erwärmung wenig systematisch und unzureichend – alle Anzeichen deuten auf einen Temperaturanstieg von 3 bis 4 °C bis zum Jahr 2100 hin, sofern keine radikalen Maßnahmen ergriffen werden.

Wie können Wissenschaftler mit dem Wissen, dass dringend Klimaschutzmaßnahmen erforderlich sind, politische Entscheidungsträger, wirtschaftliche Branchen und Einzelpersonen besser beeinflussen, um sicherzustellen, dass in den Medien beschworenen apokalyptischen Zukunftsvisionen niemals eintreten werden?

Meinungen beeinflussen

Während der Diskussion über die Politik des Klimawandels, ließen Steven Chu (Nobelpreis für Physik 1997) und Brian P. Schmidt (Nobelpreis für Physik 2011) das Publikum an ihren Ansichten bezüglich verschiedener Herangehensweisen und Technologien, die die Auswirkungen des Klimawandels umkehren könnten, teilhaben. Außerdem tauschten sie sich zu der Frage aus, wie die Gesellschaft die Perspektive der politischen Entscheidungsträger beeinflussen kann. In ihrer anschließenden Live-Session mit Fragen und Antworten gaben sie ganz praktische Ratschläge zur Beeinflussung der öffentlichen und politischen Meinung für Wissenschaftler.

„Die einzigen Menschen, die die Bürger dazu bringen können, ihr Verhalten zu ändern, sind Leitfiguren mit einer großen öffentlichen Wahrnehmung“, sagte Schmidt. „Wir müssen mit ihnen arbeiten und die Menschen so von der Dringlichkeit überzeugen (…), egal ob mit Beyoncé, Präsident Obama, Angela Merkel oder Präsident Trump – diese Meinungsführer legen die Agenda fest, nach der Menschen handeln.“

„Können Wissenschaftler diese Position einnehmen?“, wollte ein junger Wissenschaftler wissen. Chu war von 2009 bis 2013 als 12. US-Energieminister tätig und verfügt somit über einen einzigartigen persönlichen Einblick. „Es ist notwendig, praktizierende Wissenschaftler direkt in den Zentren der Macht zu positionieren“, begann er. „Als ich für Präsident Obama arbeitete, wusste er, dass ich Wissenschaftler bin und er übergab mir Angelegenheiten, die weit außerhalb der Zuständigkeit des Energieministeriums lagen. Es ärgerte die anderen Kabinettsmitglieder ohne Ende, aber er sagte: ‚Nein, nein, nein, wir gehen zu den Wissenschaftlern, ich vertraue ihnen.‘ Er war aber auch ein außergewöhnlicher Präsident.“

Auch Schmidt nutzte seine Plattform, um Klima-Influencer zu werden. Er war der Urheber und die treibende Kraft hinter der Mainau Declaration 2015 zum Klimawandel, die von den Preisträgern während der 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung unterzeichnet wurde. Die weithin bekannte Mainau Declaration machte vor einem weltweiten Publikum deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Forscher der festen Überzeugung ist, dass der Klimawandel eine echte und tiefgreifende existenzielle Bedrohung darstellt, die angegangen werden muss.

Sowohl Schmidt als auch Chu betonten die Notwendigkeit, die Narrative zum Klimawandel auf die Motivationen des jeweiligen Publikums auszurichten. Unabhängig davon, ob es sich um die Wiederwahlhoffnungen eines Politikers oder um die Auswirkungen auf den Lebensunterhalt eines Einzelnen handelt, argumentierten sie, dass der Klimawandel von den Menschen durch den Austausch echter und persönlicher Erfahrungen und Geschichten realisiert werden muss.

Chu zeigte Parallelen zu jüngsten Ereignissen auf und führte an, wie Statistiken und Studien zu systemischer Ungleichheit und Polizeibrutalität gegen Afroamerikaner schon lange vor 2020 existent waren. Aber erst die rasche Verbreitung einer einfachen und tragischen Geschichte – der brutalen Ermordung von George Floyd – löste viele „Black Live Matter“-Proteste rund um den Globus aus und hat politische Auseinandersetzungen in etlichen US-amerikanischen Städten angestoßen.

Breite Öffentlichkeit oder gezielte Ansprache von Entscheidungsträgern?

Im weiteren Verlauf des Programmes hatten Chu und Schmidt die Gelegenheit, in Begleitung von Mario J. Molina (Nobelpreis für Chemie 1995) mit 2019 Lindau Alumna Levke Caesar vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Georg Schütte, Generalsekretär der Volkswagen Stiftung, in einer Debatte über den Klimawandel auch auf diese Punkte einzugehen.

Während der Live-Veranstaltung mit Fragen und Antworten fragte ein junger Wissenschaftler, ob der Schwerpunkt von Narrativen, die Emotionen hervorrufen, um den Menschen die Klimaprobleme näher zu bringen, als manipulativ oder sogar als wissenschaftliche Propaganda angesehen werden könnte. Schmidt antwortete: „Ich habe kein Problem damit, die Geschichten so zu erzählen, dass sie bei Menschen einen Eindruck hinterlassen, solange sie tatsächlich auf die Wissenschaft ausgerichtet sind. Wir müssen uns selbst überwachen – es geht um die eigene Moral.“ Schütte zeigte in seiner Antwort einen anderen Weg: „Propaganda scheint eine etwas veraltete Art der Einwegkommunikation zu sein“, argumentierte er. „Wir müssen uns auf Dialoge einlassen, und das muss ehrlich sein, es muss offen sein, es muss auf Beweisen beruhen.“

In der Zwischenzeit stellte Caesar die Frage, ob es der richtige Ansatz sei, verschiedene Narrative zu etablieren, die in allen Bereichen der Gesellschaft Anklang finden würden: „Ist es wirklich notwendig, den größten Teil der Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass wir handeln müssen? Oder ist es nur notwendig, die Politiker zu überzeugen?“, fragte sie. „Wir haben nicht die Zeit, allen eine persönliche Geschichte zu erzählen (…). Ich denke, uns läuft die Zeit davon.“

Molina stimmte zu und berief sich auf seine Erfahrung, die er bei der Bereitstellung der wissenschaftlichen Beweise für das Verbot von FCKW, veranlasst durch das Montrealer Protokoll, gemacht hatte: „Wir müssen uns auf Entscheidungsträger konzentrieren, wie wir es mit der Ozonschicht getan haben“, sagte er. „Das hat sehr gut funktioniert und wir konnten auch die Öffentlichkeit anschließend überzeugen.“

Drei innovative Kommunikationswege

In einer eigenen Session, deren Themen sich mit denen der Podiumsdiskussion überschnitten, stellten die drei Finalisten des Online-Sciathons 2020 – die Gruppen Barreda, Bisztray und Enninful – auf der virtuellen Bühne ihre innovativen und einzigartigen Ansätze für eine wirksame Kommunikation zum Klimawandel vor.

Die Präsentation begann sehr unterhaltsam und die Gruppe Barreda präsentierte mutig ein informatives Stück für Kinder, das die Gruppenmitglieder im Verlauf des 48-stündigen Sciathons vorbereitet hatten. Diese Live-Demonstration sollte das Potenzial für eine bessere Kommunikation aufzeigen, die das Publikum sowohl mit den Problemen als auch mit den Lösungen des Klimawandels verbindet, wie Gruppenleiterin Angela I. Barreda Gómez erklärte: „Wenn ich meiner Mutter, meinem Opa, meinem Freund oder jemand anderem, der kein Wissenschaftler ist, Diagramme, Fakten und Zahlen zeige, sind diese Informationen für sie bedeutungslos (…). Das liegt daran, dass wir tendenziell viel zu viel Fachjargon verwenden und die meisten Menschen somit Schwierigkeiten haben, ihren Alltag mit erhöhten Kohlenstoffemissionen in Verbindung zu bringen.“

Während sich die Gruppe Barreda auf die Botschaft konzentrierte, befasste sich das Projekt von Gruppe Bisztray mit der Verbreitung. Die meisten Netzwerke von Wissenschaftlern und auch Nobelpreisträgern sind begrenzt, argumentierte das Team. Um die Ideen zum Klimawandel breiter zu streuen, ist es sinnvoll, sich mit Prominenten und Influencern in den Medien zu befassen und diese Ideen auf die Agenda zu bringen. Sie schlugen die Verwendung von Big-Data-Analysen vor, um bestimmte Twitter-Nutzer anzusprechen, und die Bildung einer Stiftung, um Social-Media-Aktivitäten zu koordinieren und Botschaften zum Klimawandel über die wissenschaftliche Blase hinaus zu kommunizieren.

Zuletzt war die Gruppe Enninful an der Reihe: „Wir haben uns entschlossen, die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen COVID-19 und dem Klimawandel zu untersuchen“, erklärte Gruppenleiter Henry Enninful. „Und wir haben festgestellt, dass beide ein exponentielles Wachstum und begrenzte Kapazitäten und Ressourcen vorweisen, um sie einzudämmen. Es besteht Dringlichkeit für schnelles Handeln – für langfristig positive Effekte sind kurzfristige Opfer erforderlich.“ Das Team nahm sich ein Beispiel an effektiven Kommunikationsstrategien in Bezug auf COVID-19 und entwickelte anhand dessen umfassende Richtlinien für die Kommunikation zur Klimakrise sowie einen Vorschlag für eine multifunktionale mobile App, die das Bewusstsein der Benutzer für den Klimawandel erhöht und ihnen hilft, sich an relevanten Initiativen zu beteiligen.

Für die 15 Juroren des Sciathon muss es – genau wie bei der Kategorie Capitalism after Corona, bei der am Vortrag die Gruppe Abdelmageed als Sieger hervorgegangen war – nicht einfach gewesen sein, einen Sieger auszuwählen. Am Ende jedenfalls hatte die Gruppe von Márta Bisztray die Nase vorn.

Zum Orginaltext auf Englisch

Ben Skuse

Benjamin Skuse ist professioneller freiberuflicher Autor für vielfältige Wissenschaftsbereiche. Zuvor promovierte er in Angewandter Mathematik an der Universität Edinburgh und erhielt einen MSc in Wissenschaftskommunikation. Heute lebt er in West Country/Großbritannien. Er hat sich zum Ziel gesetzt, verständliche, fesselnde und überzeugende Artikel für alle Leser zu schreiben - unabhängig von der Komplexität der Themen. Seine Artikel sind bereits in New Scientist, Sky & Telescope, BBC Sky at Night Magazine, Physics World und vielen anderen Publikationen erschienen.