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Veröffentlicht 19. Oktober 2017 von Susanne Dambeck

Antibiotika und multiresistente Erreger: ein erbitterter Wettlauf

Antibiotika sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen Medizin, und zwar nicht nur zur Behandlung hartnäckiger Hals- oder Ohrenentzündungen – sie spielen auch eine wichtige Rolle bei Routineoperationen wie Kaiserschnitten und Blinddarmoperationen, ebenso im Rahmen von Chemotherapien.

Wenn heute ein Antibiotikum verschrieben wird, ist es meist ein Präparat aus dem 20. Jahrhundert. Und da „Bakterien leben wollen, aber klüger sind als wir“, wie Nobelpreisträgerin Ada Yonath so treffend bemerkt, haben viele Krankheitserreger bereits Resistenzen gegen die häufigsten Antibiotika entwickelt. Im September wandte sich deshalb die Weltgesundheitsorganisation WHO mit einem eindringlichen Appell an Regierungen und Pharmahersteller, sie sollten dringend die Ausgaben für die Antibiotikaforschung erhöhen: Es gäbe einfach zu wenig neue Mittel, an denen zurzeit geforscht würde, um die wachsende Zahl multiresistenter Keime zu bekämpfen. Jedes Jahr sterben geschätzte 700 000 Patienten an den Folgen einer Infektion mit einem solchen Keim, und diese Zahl wird eher wachsen als schrumpfen.

Allein eine Viertelmillion Todesfälle gehen auf multiresistente Tuberkulose-Erreger zurück, weshalb diese Erreger den Experten besonders viele Sorgen bereiten. Wenn man einen solchen Erreger mit den verfügbaren Mitteln besiegen möchte, muss die Therapie konsequent über bis zu 20 Monate durchgehalten werden – in ärmeren Ländern oder auch in Haftanstalten wird die Behandlung aber häufig abgebrochen. Das Ergebnis sind neue Resistenzen (siehe Grafik am Ende des Artikels).

Kopfzerbrechen bereitet den Experten auch das mulitresistente Bakterium Neisseria gonorrhoea, das die Geschlechtskrankheit Gonorrhoe verursacht. Diese Bakterien sind gramnegativ, das bedeutet, dass ihre Oberflächen keine Gram-Färbung annehmen. Diese widerspenstige Oberfläche ist auch der Hauptgrund, weshalb solche Bakterien schwer zu behandeln sind, auch ohne Resistenzen. In den letzten Monaten gab es weltweit mehrere Gonorrhoe-Ausbrüche, für die resistente Keime verantwortlich sind.

 

Antibiotikaresistenz-Tests: Ein Bakterienstamm wird in ein Kulturmedium eingebracht. Die Bakterienkultur in der linken Schale ist gegenüber allen getesteten Antibiotika empfindlich, während die Kultur in der rechten Schale nur gegenüber drei der sieben getesteten Antibiotika empfindlich ist. Foto: Dr. Graham Beards, 2011, CC BY-SA 4.0
Antibiotikaresistenz-Tests: Ein Bakterienstamm wird in ein Kulturmedium eingebracht. Die Bakterienkultur in der linken Schale ist gegenüber allen getesteten Antibiotika empfindlich, während die Kultur auf der rechten Seite nur gegenüber drei der sieben getesteten Antibiotika empfindlich ist. Foto: Dr. Graham Beards, 2011, CC BY-SA 4.0

 

Solche Ausbrüche beleuchten ein weiteres Problem: Resistente Keime reisen schnell. Ganz egal, wo auf der Erde sich die Resistenzen entwickeln, durch moderne Verkehrsmittel wie Langstreckenflüge kann sich ein resistentes Bakterium innerhalb weniger Tage weltweit verbreiten. Die WHO hat eine aktuelle Liste mit 12 resistenten Bakterienstämmen erstellt, die als besonders gefährlich gelten. Diese Liste enthält nicht nur die Gonorrhoe-Erreger, sondern auch den gefürchteten Krankenhauskeim MRSA (die Abkürzung steht für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus).

 

Abhilfe durch bildgebende Verfahren?

Lösungsvorschläge werden möglicherweise von unerwarteter Seite kommen, zum Beispiel von Forschern, die mit Kryo-Elektronenmikroskopie arbeiten, kurz Kryo-EM. Der Chemienobelpreis 2017 würdigt diese Entwicklung. Mit Hilfe dieser Methode erhalten die Forscher eine derart hohe Auflösung des Zellgeschehens, dass sie sogar diejenigen Proteine beobachten können, die Resistenzen gegen Antibiotika weitergeben. Kryo-EM baut auf den Erfahrungen der Kristallstrukturanalyse auf, sowie auf der Methode der klassischen Elektronenmikroskopie.

Das Beobachten von Vorgängen ist in der Wissenschaft häufig der erste Schritt zu einem tiefgreifenden Verständnis, das erklärt die große Bedeutung von bildgebenden Verfahren für die Lebenswissenschaften. Wenn nämlich die Forscher Proteine ’sehen‘ können, die Resistenzen weitergeben, dann kann dies der Startpunkt für die Entwicklung von Medikamenten sein, die dieses Geschehen unterdrücken. Nun eignet sich die Kryo-EM besonders gut für Oberflächenproteine, sie stellt also genau jene Orte gut dar, an denen Infektionen oder Gentransfers ihren Anfang nehmen.

Gleichzeitig entwickelt sich auch die optische Mikroskopie immer weiter, mittlerweile kann man ‚live‘ beobachten, wie Proteine in einer Zelle synthetisiert werden. Der Chemienobelpreis 2014 war ganz der Überwindung der Auflösungsgrenze in der Lichtmikroskopie gewidmet: Stefan Hell erhielt ihn für die Entwicklung seiner STED-Mikroskopie, der amerikanische Physiker Eric Betzig entwickelte die PALM-Methode, William E. Moerner war der dritte Preisträger 2014. Kurz nachdem er den Nobelpreis erhalten hatte, erfand Hell die MINFLUX-Mikroskopie, eine Kombination aus STED und PALM. Damit kann er nun erstmals kleine Filme erstellen, die zeigen, wie Proteine tatsächlich innerhalb von Zellen gebildet werden.
Alle diese Methoden zusammen führen zu einer „Auflösungs-Revolution“, die helfen wird, neue Antibiotika zu entwickeln.

 

Chemienobelpreisträgerin Ada Yonath bei einer Diskussionsveranstaltung mit Nachwuchsforschern auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung 2016. Yonath erforscht seit Jahren die Ribosomen resistenter Bakterien. Foto: LNLM/Christian Flemming
Chemienobelpreisträgerin Ada Yonath bei einer Diskussionsveranstaltung mit Nachwuchsforschern auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung 2016. Yonath erforscht seit Jahren die Ribosomen resistenter Bakterien. Foto: LNLM/Christian Flemming

 

Die Nobelpreisträgerin Ada Yonath, die den Chemienobelpreis 2009 für die Struktur des Ribosoms herhalten hatte, arbeitet bereits an neuartigen Antibiotika, und zwar an solchen, die nur gegen jeweils einen bestimmten Bakterienstamm wirken sollen, das nennt man ’speziesspezifisch‘. Ihr Ansatzpunkt sind die Ribosomen, also „die zellulären Maschinen, die Gene in Proteine umsetzen“, weil viele der bekannten Antibiotika die Aktivität der Ribosomen unterbinden. Zunächst studierte sie die Ribosomen ‚guter‘, also harmloser Bakterien, inzwischen arbeitet sie mit MRSA-Keimen. Würde es gelingen, auf diesem Weg einen Wirkstoff zu finden, der alle Krankheitserreger abtötet, aber alle anderen Bakterien schont, wäre nicht nur die Behandlung wesentlich verträglicher – es würden auch deutlich weniger Resistenzen entstehen, unter anderem, weil deutlich weniger Bakterien überhaupt von einem solchen Wirkstoff betroffen wären.

 

Wirkstoff wird resistenter gegen Resistenzen

Eine weitere Strategie ist, an Orten nach neuen Wirkstoffklassen zu suchen, die in der Vergangenheit wenig aussichtsreich erschienen. Am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena wurde beispielsweise ein Stoff isoliert, der sich im Labor bereits erfolgreich bei der Bekämpfung von MRSA erwies, weshalb Closthioamid 2014 zum Leibniz-Wirkstoff des Jahres gewählt wurde. Der Wirkstoff stammt von einem anaeroben Bakterium, nämlich Clostridium cellulolyticum. Diese Kategorie ist bei der Suche nach neuen Antibiotika bislang eher vernachlässigt worden. „Durch unsere Arbeit wird klar, dass das Potential einer riesigen Organismengruppe bislang völlig übersehen wurde“, so Christian Hertweck, stellvertretender Direktor des Leibniz-Instituts und Arbeitsgruppenleiter. Erst kürzlich konnten Forscher des Imperial College London, zusammen mit einem Team der ‚London School of Hygiene and Tropical Medicine‘, mulitresistente Gonorrhoe-Bakterien mit Hilfe von Closthioamid abtöten. In der Petrischale reichten bereits kleine Mengen, klinische Studien sollen folgen.

In einer weiteren Strategie versucht man, existierende Antibiotika im Labor so zu verändern, dass sie ‚resistenter‘ gegen Resistenzbildung werden. So brauchten Bakterien erstaunliche 60 Jahre, um gegen das Antibiotikum Vancomycin resistent zu werden. Nun haben Forscher am Scripps Research Institut (TSRI) eine verbesserte Variante dieses Wirkstoffs entwickelt, der nun Bakterien von drei Seiten gleichzeitig angreift. Das verbesserte Mittel wurde bereits erfolgreich an Enterokokken getestet, die gegen das klassische Vancomycin resistent waren. Studienleiter Dale Boger kommentiert, dass diese TSRI-Entwicklung das erste Antbiotikum sei, dass drei unabhängige Wirkmechanismen hätte, um Bakterien auszuschalten. „Dieses Merkmal wird dazu führen, die Lebensdauer des Wirkstoffs deutlich zu verlängern“, gemeint ist die Zeitspanne, in der das Mittel erfolgreich eingesetzt werden kann. „Mikroorganismen schaffen es einfach nicht, sich gleichzeitig an drei verschiedenen Fronten zu wehren. Selbst wenn sie es schnell schaffen, einen Wirkmechanismus auszuschalten, bleiben immer noch zwei übrig, die sie schließlich abtöten werden.“

 

Resistenzen ’springen‘ von einem Erreger zum anderen

Leider sind an diesem fulminanten Wettlauf nicht nur Forscher und Erreger beteiligt – eine solche Konstellation wäre noch halbwegs überschaubar. Doch die Tatsache, dass mulitresistente Keime heute sowohl unsere Umwelt als auch unsere Nahrung besiedeln, macht die Lage erst bedrohlich. Ein Beispiel hierfür ist das Antibiotikum Colistin: Bereits in den 1950er Jahren entwickelt, wurde es nie auf breiter Front gegen Infektionen beim Menschen eingesetzt, weil es zu starke Nebenwirkungen hat. Doch in den letzten Jahren ist es genau aus diesem Grund als Reserveantibiotikum interessant geworden. Da es sich aber um einen alten Wirkstoff handelt, ist der Patentschutz lange abgelaufen, die Produktion ist also preiswert – und deshalb wird es in China in großen Mengen in der Schweinemast eingesetzt.

Wie nicht anders zu erwarten, haben sich in diesen Schweinen Colistin-resistente Bakterienstämme entwickelt, deren Entdeckung erst 2015 publiziert wurde. Diese speziellen Resistenzen haben es in sich: Weil sich die Resistenz-Gene in einem Plasmid befinden, Bakterien jedoch sehr leicht Plasmide untereinander austauschen können, sind sie somit auch ein der Lage, praktisch mühelos Resistenzen auszutauschen, auch von einem Bakterienstamm zum nächsten. Bereits 2015 wurde das verantwortliche Gen namens mcr-1 in chinesischen Supermärkten entdeckt, ebenso in vereinzelten Patientenproben von dortigen Krankenhäusern. Nur 18 Monate später konnten in einem Viertel aller Krankenhauspatienten in bestimmten Regionen Chinas nun Bakterien mit diesem Resistenz-Gen nachgewiesen werden. Das Fazit lautet: Resistenzen breiten sich mittlerweile in einem beispiellosen Tempo aus.

Ein weiteres Beispiel für die Umweltverschmutzung sind große Mengen moderner Antibiotika und Antimykotika, also Anti-Pilzmittel, die in den Abwässern indischer Pharmahersteller gefunden wurden. In warmen Abwässern finden Bakterien ideale Lebensbedingungen – und wenn es dort Antibiotika gibt, werden sie sich anpassen und Resistenzen entwickeln. Schon heute haben Indienreisende bei ihrer Rückkehr häufig mulitresistente Keime im Gepäck, von denen sie meist nichts wissen, die ihnen jedoch bei einer späteren Erkrankung zum Verhängnis werden können – oder anderen Patienten.

Der erbitterte Kampf zwischen Bakterien auf der einen und Antibiotika auf der anderen Seite tobt jetzt seit 90 Jahren, seitdem Nobelpreisträger Alexander Fleming das Penicillin entdeckte. Dieser Kampf wird in Krankenhäusern, Forschungslaboren und Arztpraxen geführt. Die erwähnten Beispiele der Schweinemastbetriebe und der Abwässer von Pharmaherstellern stellen die Verantwortlichen jedoch vor völlig neue Herausforderungen, denen mit innovativen und vielseitigen Strategien begegnet werden muss. Erst vergangene Woche traf sich eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen in Berlin, um diese Fragen zu erörtern. Denn eins ist klar: Die meisten von uns leben zwar nicht an indischen Abwasserkanälen, aber die Mikroben von dort erreichen uns alle.

 

Schautafel der US-Gesundheitsbehörde CDC über die Entstehung von Resistenzen. Das Problem der verseuchten Abwässer ist hier nicht berücksichtigt. Copyright: Centers for Disease Control and Prevention, 2013 Public Domain
Schautafel der US-Gesundheitsbehörde CDC über die Entstehung von Resistenzen. Das Problem der verseuchten Abwässer ist hier allerdings nicht berücksichtigt. Copyright: Centers for Disease Control and Prevention, 2013 Public Domain

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.