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Published 2 July 2011

Zur Abschlussdiskussion – Roslings Kreise und die Verbindung zwischen Gesundheit und Geld

Ich bin ja nicht so der Freund von öffentlichen Podiumsdiskussionen, aber was ich auf dieser Nobelpreisträgertagung gesehen habe war ziemlich gut. Vielleicht habe ich die schlechten auch einfach verpasst. Auf jeden Fall hatte das Abschlusspanel auf der Blumeninsel Mainau, unter anderem mit Harald zur Hausen, Hans Rosling und Unni Karunakara, dem Präsidenten von Ärzte ohne Grenzen, einigen Erkenntniswert.

Das lag natürlich zu einem ganz beträchtlichen Teil an Hans Rosling, dem Großmeister der Visualisierung, und dem von ihm initiierten Tool Gapminder. Es hat sich mal wieder gezeigt, wie viel ein gut gemachter Einstiegsvortrag zum Gelingen einer solchen Veranstaltung beitragen kann. Mit seinen ebenso einfachen wie ausgefeilten Kreisdiagrammen fasste Rosling den gegenwärtigen Stand der globalen Entwicklung zusammen: Einerseits die großen Fortschritte, die gerade die ärmeren Länder in Sachen Lebenserwartung, Kinderzahl und Einkommen gemacht haben, andererseits die nach wie vor große Ungleichheit, die noch auf der Welt herrscht.

Besonders tragisch ist nach wie vor die Lage Afrikas südlich der Sahara, verkörpert durch eine Wolke blauer Punkte, die in nahezu jedem Diagramm dem Koordinatenursprung am nächsten ist – die Schlusslichter in Sachen Lebenserwartung, Pro-Kopf-Einkommen und staatlicher Gesundheitsausgaben kommen ebenso vom "schwarzen" Kontinent wie die Länder mit den höchsten Kinderzahlen und entsprechend geringen Investitionen in deren Zukunft. Warum mit Afrika ein ganzer Kontinent nach wie vor hinterherhinkt, während man die einst ebenso bettelarmen Staaten Südostasiens heute als "Tigerstaaten" bezeichnet, ist bis heute eines der größten Rätsel der Entwicklungspolitik. Die Schwellenländer dagegen, das betont Rosling zu Recht, stehen heute viel, viel besser da als noch vor Jahrzehnten. Dass es keinen Fortschritt gebe ist blanker Unsinn, im Gegenteil, nie wurde auf so breiter Front so viel erreicht wie im 20. Jahrhundert.


Screenshot aus gapminder.org: Lebenserwartung und Pro-Kopf-Einkommen

Das hat natürlich mit wachsendem Wohlstand zu tun. Einkommen ist nach wie vor der Parameter, der den bei weitem stärksten Einfluss auf die Gesundheit hat. Die Lebenserwartung korreliert positiv mit dem Pro-Kopf-Einkommen und den staatlichen Gesundheitsausgaben. Auf der anderen Seite stellte Rosling einen interessanten Unterschied zwischen den westlichen Industrieländern und dem Rest der Welt heraus: Europa und Amerika wurden erst reich, nämlich durch die Industrielle Revolution Ende des 19. Jahrunderts, um dann ein paar Jahrzehnte später bei der Lebenserwartung massiv zuzulegen. Die Staaten, die im Laufe des 20. Jahrhunderts zum Westen aufgeschlossen haben, machten es weitgehend umgekehrt. Sie ließen erst durch medizinische Versorgung und Ernährungssicherheit die Lebenserwartung trotz relativer Armut massiv steigen, bevor sie – Beispiel China – vergleichsweise schnell zu Wohlstand gelangten.

Sind wir also auf einem guten Weg, was die Weltgesundheit angeht? Zum Teil ja. Allerdings besteht ein weiterer, gefährlicher Zusammenhang zwischen Gesundheit und Wohlstand: In vielen Ländern ist Krankheit nach wie vor ein großes Armutsrisiko – die Behandlungen sind so teuer, dass Familien Hab und Gut aufgeben müssen, um einen kranken Angehörigen behandeln zu lassen. Das ist keineswegs nur ein Problem der Schwellenländer, inzwischen kennt man dieses Phänomen auch aus den USA. Überall dort wo sich der Staat, getrieben vom derzeit grassierenden Privatisierungs-Aberglauben, aus der Gesundheitsversorgung zurückzieht, steigt das Risiko von Armut durch Krankheit, mit allen negativen volkswirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen für die Gesellschaft. Im Gesundheitssystem ist freier Markt bestenfalls ein notwendiges Übel und sicher nicht die Lösung aller Probleme – medizinische Versorgung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Wer das vergisst, riskiert die Früchte von Jahrzehnten Entwicklung, nicht nur in der Gesundheitsversorgung.