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Veröffentlicht 25. Juni 2014 von Martin Ballaschk

Zeit für Wissenschaft und Familie?

Blogger, Doktorand und Familienvater Martin Ballaschk über das schwierige Verhältnis zwischen akademischer Karriere und Familienglück.

Es ist ein viel diskutiertes Thema, die sogenannte Work-Life Balance. Der Tag hat eine begrenzte Zahl von Stunden, und man muss sie zwischen Familie und Karriere aufteilen. Das ist in der Wissenschaft nicht anders, als in anderen Karriereberufen. Nicht erst seit ich selbst Kinder habe, frage ich mich, ob sich ein gutes Familienleben und eine erfolgreiche akademische Karriere wirklich ausschließen? Inzwischen bin ich der Meinung, dass die Antwort „Ja“ lautet. Das hängt aber natürlich davon ab, was man unter einem „guten Familienleben“ und unter einer „erfolgreichen akademischen Karriere“ versteht.

Das Standard-Karrieremodell…

Die meist männlichen Professoren und aufstrebenden Wissenschaftler leben mir auch im 21. Jahrhundert das wohl einzig realisierbare akademische Karriere-Modell für Eltern vor: Das immer noch in den Köpfen verhaftete traditionelle Rollenbild, bei dem sich die Partnerin um die Familie kümmert und maximal in Teilzeit arbeitet, während sich der männliche Part die Nächte in Büro und Labor um die Ohren schlägt. Ganz ähnlich läuft es auch bei mir zu Hause. Meine Frau hatte nie Interesse an einer akademischen Karriere und arbeitet als technische Arbeitskraft in der Industrie auf einer Teilzeitstelle. Strebt auch die Partnerin eine Vollzeitkarriere an, bedeutet das außerdem ein Outsourcing der Kinderbetreuung an eine Langzeit-Kita und später Ganztagsschule. Die Konsequenz für den Forscher ist, dass dieser seine Familie nur schlafend, am Wochenende oder im Jahresurlaub erlebt. So etwas wie ein „Teilzeit-Professor“ ist einfach undenkbar.

…ein gutes Familienleben?

Ist das aber ein wirklich „gutes“ Familienleben? Und ist es umgekehrt wirklich Luxus, wenn man täglich Zeit mit den eigenen Kindern verbringen will, wenn man wenigstens zwei gemeinsame Mahlzeiten am Tag mit ihnen zu sich nehmen will? Wie viel Familie jeder braucht, ist sicher individuell. Wie viel Familie verträgt aber das „System Wissenschaft“? Solange von Postdocs erwartet wird, 14 Stunden pro Tag zu arbeiten und jede Frage nach Urlaub beim kinderlosen oder traditionell orientierten Gruppenleiter ein Stirnrunzeln und Schlimmeres auslöst, sehe ich schwarz für ein „System Familie und Wissenschaft“. Ich hatte viel Glück und bin für meine Promotion in ein sehr familienfreundliches Umfeld geraten. Ich glaube, in meiner Arbeitsgruppe zählt Leistung und Motivation mehr als die Zahl der geopferten Wochenenden, was aber immer noch die Ausnahme zu sein scheint.

Ein Tagungsteilnehmer mit Baby bei der 60. Nobelpreisträgertagung im Jahr 2010. Bild LNLM/C. Flemming
Ein Tagungsteilnehmer mit Baby bei der 60. Nobelpreisträgertagung im Jahr 2010. Bild LNLM/C. Flemming

Zeitfaktor: Produktivität und Kreativität

Wir jungen Eltern im Wissenschaftsbetrieb brüsten uns gern damit, dass wir konzentrierter, produktiver und einfach effizienter arbeiten müssen, um in weniger Zeit das gleiche zu schaffen, wie unsere kinderlosen Kolleg/innen. Die Sache hat natürlich den Haken, dass wir die Kinderlosen nicht daran hindern können, ihre Arbeitsabläufe ebenso zu optimieren und auch die Wochenenden voll für die Selbstausbeutung auszuschöpfen. Deshalb ist der experimentelle Output von Kinderlosen letztlich doch höher.

Erschwerend kommt hinzu, dass Produktivität und Fleiß nicht alles sind, was Wissenschaft ausmacht. Man braucht auch kreativen, unproduktiven Leerlauf, um neue Ideen zu bekommen und über die eigene Arbeit zu reflektieren. Im Hamsterrad bekommt man keine revolutionären Einfälle. Ich kann – wie wahrscheinlich jeder Mensch mit Familie – bestätigen, dass man die ersten Jahre mit Kindern kaum noch entspannten Leerlauf hat.

Geringe Frauenquote

Die geschilderten Umstände könnte man als gottgegeben hinnehmen. Aber gerade für Frauen ist es in diesem System nahezu unmöglich eine akademische, wissenschaftliche Karriere und Familie zu vereinen. Frauen sind in den Naturwissenschaften immer noch unterrepräsentiert und werden systematisch benachteiligt. Auch bei den Nobelpreisträgern ist die Quote eindeutig: Nur 44 der seit 1901 insgesamt 839 geehrten sind weiblich. Das entspricht fünf Prozent. (fünf Prozent auch in der Medizin, in der Chemie nur zwei und in der Physik sogar nur ein Prozent). Wenigstens steigt die Quote in jüngster Zeit. So ging in den letzten zehn Jahren jeder dritte Preis an eine Frau.

Aber es liegt natürlich weniger an der Preisvergabe als an der Möglichkeit wissenschaftliche Karriere zu machen. So fällt die Familiengründung meist mit der Qualifikationsphase junger Wissenschaftlerinnen zusammen: Zwischen Mitte zwanzig und Ende dreißig stehen Doktorarbeit, Postdoc im Ausland und der Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe an. Das alles kostet viel Zeit und Hingabe, zwei Ressourcen, die man zwischen Familie und Beruf aufteilen muss.

Dabei ist politisch ein höherer Frauenanteil und auch eine bessere Familienvereinbarkeit gewollt. Denn den Wissenschaften gehen völlig unnötig Talente verloren und aus moralischer Perspektive ist das Anstreben einer Chancengleichheit für alle Bereiche der Gesellschaft sowieso gegeben. Immerhin gibt es inzwischen einige Initiativen, die speziell Forscherinnen mit Kindern fördern. In Deutschland macht sich vor allem die Genetikerin und Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard, Medizin-Nobelpreis 1995, für sie stark. So unterstützt sie seit 2004 durch ihre  CNV-Stiftung forschende Frauen ganz pragmatisch mit Hilfsmitteln für etwa eine Babysitterin oder einen Geschirrspüler und sie ist Partnerin der „For Women in Science“ Initiative.

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Die deutsche Genetikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Bild: LNLM/C. Flemming

Nötiger Wertewandel

Solche Initiativen sind notwendig, denn die Bevorteilung von härter arbeitenden, kreativeren und sozial weniger willigeren Männern hat die Maßstäbe des Systems definiert. Damit sich diese Maßstäbe für den wissenschaftlichen Nachwuchs ändern können, ist ein Wertewandel notwendig. Der akademische Betrieb ist ein Hochdruck-Ökosystem, aber „im Labor verbrachte Zeit“ darf kein Maß für Produktivität sein. Gleichzeitig darf schablonenhaft erfasste Produktivität und Kreativität allein nicht der einzige Maßstab sein: Nicht immer ist die Zahl der Drittmittelanträge, Publikationen und verbrannten Doktoranden ein guter Indikator für gute Wissenschaft. Nicht zuletzt sollte jede/r Gruppenleiter/in anerkennen, dass es Menschen gibt, die auch ein Leben außerhalb der Wissenschaft haben, oder sogar Teil ihrer eigenen Familie sein wollen.

Solch ein fundamentaler Wertewandel lässt sich nicht über Nacht herbeiführen, und er muss von innen wie von außerhalb der Wissenschaft gewollt sein. Deswegen sind Verbesserung der Rahmenbedingungen, also eine bessere Kinderbetreuung oder die gezielte Förderung von Wissenschaftlerinnen wichtige Schritte auf dem Weg zu einer familienfreundlichen Wissenschaft.

Ich bin gespannt, wie die Teilnehmer/innen des Lindauer Treffens das sehen. Mit Françoise Barré-Sinoussi, Elizabeth Blackburn und Ada Yonath liegt die Quote bei den Laureaten in diesem Jahr bei drei Frauen versus 34 Männern.

Nobelpreisträger/innen stehen prototypisch für den Erfolg in den Wissenschaften. Und auch die vielen Nachwuchswissenschaftler haben offenbar bereits einen Teil einer erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere gemeistert. Ich werde also meiner These im Verlauf der Lindauer Nobelpreisträgertagung in Gesprächen nachgehen. Mal sehen, ob sie am Ende eher bestätigt oder widerlegt sein wird.

Martin Ballaschk

Martin Ballaschk is a PhD candidate at a Leibniz research institute in Berlin. There he tries to solve a puzzling case of autoimmunity with the help of NMR spectroscopy. In his German SciLogs Blog “Detritus” he comments on topics ranging from plant science and transgenic organisms to pseudoscience and the current scientific publishing system.