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Published 4 February 2016 by Susanne Dambeck

Weltkrebstag 2016: Kinder bekommen zweite Chance

“Ihr Kind hat Krebs” – für Eltern gibt es kaum einen schlimmeren Satz. Für Eltern allerdings, deren Kind schon eine Krebsbehandlung hinter sich hat, gibt es eine noch schlechtere Nachricht: “Der Krebs ist zurück.” Krebs bei Kindern ist zum Glück relativ selten, pro Jahr gibt es in Deutschland ungefähr 2.000 neue Fälle, im Gegensatz zu einer halben Millionen neuen Krebserkrankungen bei Erwachsenen. Aber bis zu 500 Elternpaare hören jedes Jahr die zweite Hiobsbotschaft, nämlich dass der Krebs wiedergekehrt ist.

In entwickelten Ländern sind mittlerweile achtzig Prozent der kindlichen Krebserkrankungen heilbar, das heißt die kleinen Patienten sind nach fünf Jahren noch krebsfrei, und viele bleiben es auch. Noch vor fünfzig Jahren bedeutete eine Krebsdiagnose bei einem Kind beinahe ein Todesurteil, die Überlebensraten waren sehr gering. Die Behandlung hat also Riesenfortschritte gemacht. “Doch aktuell haben wir bei den Überlebensraten ein Plateau erreicht”, erklärt Professor Olaf Witt, Sektionsleiter Pädiatrische Hirntumore am NCT in Heidelberg. “Mehr Behandlung mit den gängigen Methoden führt nicht mehr automatisch zu einer höheren Heilungsrate.” Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg ist sozusagen der klinische Zweig des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ, an dem Patienten nach den neuesten Erkenntnissen der Krebsforschung behandelt werden, in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Heidelberg.

Ein Säugling erhält eine Chemotherapie. Krebserkrankungen bei Kindern unterscheiden sich von denjenigen bei Erwachsenen: Darm- oder Lungenkrebs kommen kaum vor, im Vordergrund stehen Leukämien, Hirntumoren, sowie Krebse Foto: iStockphoto
Ein Säugling erhält eine Chemotherapie. Krebserkrankungen bei Kindern unterscheiden sich von denjenigen bei Erwachsenen: Im Vordergrund stehen Leukämien, Hirntumoren sowie Krebse der Weichteile, der Knochen oder des Nervensystems. Darm- oder Lungenkrebse kommen kaum vor. Foto: myrrha

Wenn nun ein behandeltes Kind einen Rückfall erleidet, dann greifen die Medikamente der ersten Behandlung meist nicht mehr. Die Überlebensraten sinken auf ein so geringes Niveau wie bei Ersterkrankungen vor einem halben Jahrhundert. Und ungefähr jeder fünfte kleine Krebspatient erleidet einen solchen Rückfall. Deshalb gelten diese Rückfälle heute als größte Herausforderung in der Kinderonkologie. Mit dem INFORM-Projekt stellt sich das DKFZ dieser Aufgabe, zusammen mit dem NCT, der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH), und dem DKTK in Heidelberg. Neben seiner Arbeit am NCT und dem Universitätsklinikum Heidelberg ist Professor Witt auch Klinischer Leiter von INFORM.

Der Grundgedanke der sogenannten Registerstudie ist schnell erklärt: Das Erbgut eines neu aufgetretenen Tumors wird komplett entschlüsselt, um auf diese Weise Angriffspunkte für innovative Behandlungen zu finden. Häufig haben diese Tumoren Genmutationen, die dazu führen, dass Signalwege innerhalb der Zelle gestört sind. Diese Störungen führen beipspielsweise zu einem unkontrollierten Zellwachstum. Wenn diese Störungen aber mit neuen Medikamenten ausgeschaltet werden können, dann wird im Idealfall das Tumorwachstum gestoppt.

Prof. Olaf Witt arbeitet als Kinderonkologe am Universitätsklinikum Heidelberg und als Krebsforscher am DKFZ. Er ist Klinischer Leiter des INFORM-Projekts und stellte es anlässlich des Weltkrebstags 2016 in einem Presseworkshop vor. Foto: NCT
Prof. Olaf Witt ist Leiter der Sektionen ‘Kindliche Hirntumore’ sowohl am Universitätsklinikum Heidelberg als auch am NCT. Zudem ist er Klinischer Leiter des INFORM-Projekts und stellte dieses anlässlich des Weltkrebstags 2016 in einem Presseworkshop vor. Foto: NCT

Ärzte und Patienten profitieren hier von einer Besonderheit der kindlichen Krebserkrankungen: Bei einem Rückfall weist ein Tumor hier im Schnitt nur eine bis fünf neue Mutationen auf, bei dem Tumor eines erwachsenen Patienten können hingegen bis zu tausend neue Mutationen auftreten. Das erleichtert das Finden von effektiven Angriffspunkten enorm. Wird nun bei einem Patienten in einem der teilnehmenden 50 Kinderonkologischen Zentren oder Abteilungen in ganz Deutschland ein Rückfall festgestellt, dann wird eine Probe des Tumorgewebes nach Heidelberg geschickt; außerdem beteiligen sich noch 11 Studiengruppen. Mittlerweile haben die Spezialisten vor Ort die anfänglichen Analysezeiten von mehreren Monaten auf erstaunliche 21 Tage reduziert, denn die Zeit drängt: Die betroffenen Kinder können nicht mehrere Monate auf eine innovative Therapie warten. Die Spezialisten von INFORM sequenzieren nun das komlette Erbgut des Tumors, hierbei profitieren sie von dem neuen Hochdurchsatzsequenzierer am DKTK in Heidelberg (Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung). Hier arbeiten nicht nur Ärzte, sondern auch Molekularbiologen und Bioinformatiker.

Innerhalb dieser 21 Tagen werden außerdem medizinische Datenbanken nach neuen Wirkstoffen durchsucht, die genau diejenigen Signalwege oder Proteinsynthesen unterbinden, die durch die neuen Mutationen angestoßen werden. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle werden sie fünding. “Nun muss aber dieser Signalweg wichtig für das Überleben des Tumors sein”, ergänzt Professor Witt. Sonst kann ein Patient zwar behandelt werden, der Tumor wächst aber weiter. Die Rückfallpatienten werden nicht am NCT, sondern vor Ort mit den neuen Wirkstoffen therapiert, vorausgesetzt, die behandelnden Ärzte halten das für sinnvoll und die Eltern stimmen zu. In jedem Fall handelt es sich um eine experimentelle Therapie: Die Erfolgsaussichten können nicht exakt beziffert werden, weil es meist noch keine klinischen Studien mit genau diesem Wirkstoff bei einem Kind und mit jenem Tumor gibt. Und da alle diese innovativen Wirkstoffe nur für Erwachsene zugelassen sind, und meist für völlig andersartige Krebserkrankungen, bezahlen die Krankenkassen die Behandlung nicht ohne Weiteres. Nach einem längeren Antragsverfahren übernehmen einige Krankenkassen die Behandlung dann doch – aber diese Zeit steht den Kindern meist nicht zur Verfügung.

ein fast zweijähriges Mädchen sucht sich einen Hut aus, weil sie ihre Haare durch eine Chemotherapie verloren hat. Sie litt an einem Nierentumor, der nur bei Kindern vorkommt und sehr gut behandelbar ist. Das Bild entstand im Militärkrankenhaus von San Antonio, Texas. Foto: U.S. Air Force photo/Master Sgt. Lance Cheung, Public Domain
Ein fast zweijähriges Mädchen sucht sich einen Hut aus, weil ihre Haare durch eine Chemotherapie ausgefallen sind. Sie litt an einem bösartigen Nierentumor, der meist nur bei Kindern auftritt und sehr gut behandelbar ist. Das Bild entstand im Militärkrankenhaus von San Antonio, Texas. Foto: U.S. Air Force photo/Master Sgt. Lance Cheung, Public Domain

Hier springt die Hilfsorganisation ‘Ein Herz für Kinder’ ein und bezahlt die Medikamente, meist handelt es sich um Kosten zwischen 5.000 und 10.000 Euro pro Monat, damit jedes betroffene Kind auf jeden Fall und so schnell wie möglich behandelt werden kann. Und die Deutsche Krebshilfe unterstützt zusammen mit der Deutschen Kinderkrebsstiftung die Kosten für die vorangegangene Genanalyse.

Professor Olaf Witt berichtet von einem kleinen Patienten, der im Alter von drei Monaten an einem Hirntumor erkrankte, mit Chemotherapie und Bestrahlung erfolgreich behandelt wurde – und nach wenigen Jahren einen Rückfall erlitt. Im Rahmen des INFORM-Projekts, das vor einem Jahr begann und ca. 130 Kinder pro Jahr betreut, wurde der neue Tumor analysiert und als Ergebnis dieser Analyse mit einem Medikament behandelt, das nur eine Zulassung gegen Hautkrebs bei Erwachsenen hatte. Der Kleine konnte nach dreimonatiger Behandlung vor kurzem als geheilt entlassen werden.

Die INFORM-Registerstudie leistet darüber hinaus Vorarbeiten für künftige klinische Studien, in dieser Form endet das Projekt in einem Jahr. Geplant sind Studien, um die Erfolgsaussichten verschiedener innovativer Krebstherapien bei Kindern beziffern zu können, zusätzlich haben weitere Länder Interesse bekundet: neben den skandinavischen Ländern noch Holland, Großbritannien und sogar Australien. Mit dieser Erweiterung kann einer noch größeren Zahl schwer kranker Kinder – und verzweifelter Eltern – geholfen werden.

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.