BLOG

Veröffentlicht 29. Juni 2012

Was man in Lindau über Forschungspolitik lernen kann

Dass Nobelpreisträger fast immer würdige ältere Damen und Herren sind, liegt keineswegs daran, dass die bedeutenden Entdeckungen von älteren Forschern gemacht werden. Im Gegenteil. Richard Feynman veröffentlichte seine Arbeiten zur Quantenelektrodynamik, da war er 29. Charles Darwin betrat das Deck der Beagle im Alter von 22 Jahren, und die bahnbrechenden Arbeiten von Gerhard Ertl begannen bereits mit seiner Dissertation. Als sie die Grundsteine zu ihren Entdeckungen legten, waren viele der Laureaten kaum älter als der Nachwuchs, der heute nach Lindau kommt um ihre Vorträge zu hören.

Wenn unter den Jungforschern in Lindau ein zukünftiger Nobelpreisträger ist, dann stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass sie ihre bahnbrechende Entdeckung schon im Laborbuch stehen haben. Deswegen sollte man nicht nur auf die Nobelpreisträger schauen, wenn man auf der Tagung nach interessanter Wissenschaft sucht – auch und gerade die jungen Forscher haben viel wichtiges zu berichten. Und selten ist die Gelegenheit so günstig wie auf der Nobelpreisträgertagung, deren einzigartige Atmosphäre als Resonanzkörper dient, der die wichtigsten Untertöne der Wissenschaftsszene bündelt und verstärkt. Die Entdeckungen, die die Zukunft der Menschheit prägen werden, machen diejenigen, die vor dem Podium sitzen – und das nicht etwa in zehn Jahren, sondern schon jetzt.

alt

Nachwuchsforscher. Bild: Lucien Chavan

Für die Forschungspolitik bedeutet das: Wer beim Besetzen von Stellen nur die bereits erreichten Meriten honoriert, verpasst möglicherweise das Beste. Natürlich ist es einerseits sinnvoll, auf bereits Geleistetes zu schauen, und auf Forschungsgebiete die als aussichtsreich gelten. Aber das kann nicht alles sein, denn oft kommen die bedeutendsten Entdeckungen von ungewohnter Seite, zum Beispiel aus einem Schweizer Patentamt. Und vor allem, zu allererst von der jungen Forschergeneration.

Deswegen fördert eine sinnvolle Forschungspolitik systematisch den Nachwuchs, und das darf sich eben nicht darauf beschränken, den paar Besten der Besten möglichst viel Geld nachzuwerfen. Es müssen auch auf breiter Front Strukturen vorhanden sein, die ganzen Generationen von Forschern ein Auskommen und Planungssicherheit für ihre Forschung bieten.

Von den 500 Jungforschern in Lindau werden nicht mehr als ein halbes Dutzend wirklich weltbewegende innovative Ergebnisse produzieren, die das Wissen der Menschheit nicht nur erweitern, sondern in ihrem jeweiligen Gebiet auf einen völlig neuen Level heben. Doch wer wollte jetzt im Voraus sagen, welche das sind? Keine Evaluation wird das je prophezeihen können. Eine andere Vorhersage jedoch ist ohne Weiteres möglich: Wer nur auf ein halbes Dutzend ausgesiebter Talente setzt und die große Mehrzahl des Nachwuchses auf befristeten und perspektivlosen Stellen darben lässt, der wird diese weltbewegenden Ergebnisse nie bekommen.