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Veröffentlicht 21. Juli 2010 von Markus Pössel

Lindau-Bilanz

Das Lindauer Treffen liegt nun rund zwei Wochen zurück. Zeit für einen letzten Blogbeitrag mit der Frage: Wie war’s denn nun eigentlich? Berufskrankheit der Wissenschaftler ist ja, im Zweifelsfall auch mal zuviel nachzudenken. Aber ganz am Schluss sollte auch ein eher kritisch-analytischer Blick seine Berechtigung haben (siehe auch den vorangehenden Beitrag von Bastian).

Die Vortragssitzung jeden Vormittag im Plenum, Vortragsdauer je 30 Minuten, Rhythmus 3 Vorträge — Pause — 3 Vorträge (mit leichten Variationen) hat sich aus meiner Sicht jedes Mal gelohnt. Am interessanten waren die Vorträge für mich, wenn der Blick über den Tellerrand klappte (z.B. Szostak, Lehn). Bei anderen Vorträgen war die persönliche Note und der Einblick in Arbeit und Alltag des Vortragenden die Hauptattraktion (vgl. Lou im englischsprachigen Blog). Aber auch einen schwungvollen Überblick über ein mir einigermaßen vertrautes Forschungsgebiet (etwa Mather über Kosmologie) habe ich sehr gerne gehört.

Natürlich war die Vortragsqualität nicht einheitlich. Rundumschlag-Vorträge, die eher im Allgemeinen und damit zwangsläufig beim Oberflächlichen bleiben (z.B. ‚t Hooft) haben für mich eher wenig Nährwert. Und Vorträge, bei denen man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dieser Vortrag hätte, winzig kleine Änderungen ausgenommen, auch vor zehn Jahren bereits so gehalten worden sein, wie hier in Lindau im Jahre 2010 (ich hatte diesen Eindruck bei David Gross) – das muss wirklich nicht sein. Probleme mit der Bodenhaftung (siehe Bastians Beitrag Genie und Wahnsinn?) sind gerade in einem Plenarvortrag auch nicht unproblematisch. Doch trotz solcher Qualitätsfluktuationen war das Angebot insgesamt ungleich interessanter, als ich es von Plenarvorträgen ähnlicher großer Tagungen gewohnt bin, wobei es sicher eine Rolle spielt, dass die Laureaten eben nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern auch Einblicke in ihren Werdegang, ihre Arbeitsweise, und ihre Ansichten dazu geben, wie man erfolgreich Wissenschaft betreibt.

Hatten die Lindauer Organisatoren mit den Vortragenden ein glückliches (und mittlerweile wohl schlicht auch erfahrenes) Händchen, war die Qualität der Diskussionsveranstaltungen deutlich gemischter. Nun gut, aus den Problemen, in das große gemeinsame Abendessen noch eine Podiumsdiskussion einzuschieben, haben die Veranstalter hoffentlich gelernt. Dass diese Diskussion, deren Teilnehmer tapfer gegen den allgemeinen Lärmpegel des Essens und der vielen interessanten individuellen Gespräche anredeten und trotzdem kaum zu verstehen waren, ausgerechnet das Thema Wissenschaftskommunikation betraf, wird jeder, der einen Sinn für Ironie besitzt, zu schätzen wissen.

Ein weiteres Fazit der Lindau-Diskussionen zeigt der Vergleich der Diskussion über Dunkle Materie, Dunkle Energie und LHC mit der von Adam Smith souverän und effektiv geleiteten Diskussion On being a scientist: Zu einer fruchtbaren Diskussion gehören mehr als nur interessante Gäste, die etwas zu sagen haben. Soll dieses Veranstaltungsformat zuverlässig funktionieren, dann muss jeweils ein professioneller, erfahrener Moderator her.

Vom Kern des Nachmittagsprogramms, den Diskussionen kann ich, wie gesagt, nur aus zweiter Hand berichten: Auch da Qualitätsfluktuationen, aber ganz allgemein der Eindruck, dass der Funke in den allermeisten Fällen übergesprungen ist und die Young Researchers in interessantem Austausch mit den Laureaten ganz auf ihre Kosten gekommen sind. Die Kontakte zwischen den Young Researchers waren, wenn man nach den vielen vertieften Diskussionsgrüppchen auf der Uferpromenade, dem regen Treiben auf dem Schiff (vom menschlichen Schach bis zum gemeinsamen Musizieren) geht, ebenfalls sehr intensiv (siehe auch mein zweites Interview mit Rike Müller-Werkmeister). In dieser Hinsicht reiht sich Lindau eben in eine Reihe anderer Veranstaltungen ähnlicher Dauer und Intensität ein, von der Orchesterreise bis zur Sommerakademie bis zur Sommerschule, die motivierte Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenbringen.

Für diese Kontakte zwischen den Young Researchers, aber eben auch für die Möglichkeit, nebenbei mit dem einen oder anderen Nobelpreisträger zu reden, unverzichtbar: Die Tatsache, dass das Programm nicht überfrachtet war, sondern dass die Nachmittage eben auch genügend Zeit und Gelegenheit für Gespräche ohne offiziellen Rahmen boten. Aus solch einem Gespräch hat sich ja dann z.B. auch mein Beitrag Lindau aus der Sicht eines Nobelpreisträgers ergeben.

Zum Schluss: Wie war es mit der Organisation? Das ist immer eine gefährliche Frage, denn in Erinnerung bleiben unfairer Weise vornehmlich diejenigen Dinge, die nicht so gut geklappt haben — bei mir sind das z.B. das schneckenlangsame drahtlose Netzwerk in der Inselhalle, das die Bloggertätigkeit deutlich erschwert, oder die Antwort meines offiziellen Interviewpartners George Smoot, als ich ihn frühzeitig auf unsere bevorstehende Verabredung ansprach: "Wie, um die Zeit wollen Sie ein Interview? Haben Sie vor, mich im Taxi zum Flughafen zu begleiten?" (es hat dann ja glücklicherweise doch geklappt: TeilI, TeilII des Interviews). Aber das waren ärgerliche Ausnahmen — dass der Großteil der Organisation reibungslos geklappt hat, merkte man eben gerade daran, dass man vom organisatorischen Räderwerk so gut wie nichts merkte. Und das unter keineswegs einfachen Verhältnissen: Unterkunft und Essen für mehr als 700 Teilnehmer, Veranstaltungen an verschiedenen Orten auf der ganzen Insel, individuelle Planung für die 60 Nobelpreisträger, die zu vielerlei Gelegenheit zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein mussten, größere Ereignisse wie das gemeinsame Abendessen oder der bayerische Abend – dahinter, so etwas reibungslos zu organisieren, steckt Kompetenz und viel, viel Arbeit. Respekt!

Insgesamt bleibt ein guter Eindruck zurück, von einer Veranstaltung mit einem tollen Konzept, professionell und engagiert umgesetzt, die den Hauptpersonen, also den Laureaten und Young Researchers, aber auch uns weiteren Besuchern, den Gästen, Bloggern und anderen Medienvertretern, nicht nur viel Spaß gemacht, sondern auch nachhaltig etwas gebracht hat.

Markus Pössel