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Veröffentlicht 15. Juli 2010 von Markus Pössel

Lindau-Bilanz einer Jungforscherin

Als ich am Sonntag nachmittag mit Rike Müller-Werkmeister auf der gleichen Bank gesessen hatte wie jetzt, war es noch um ihre Erwartungen an das Lindauer Treffen gegangen. Jetzt, am Donnerstag, ist schon fast wieder alles vorbei. Rikes Eindrücke? Diese Veranstaltung hätte ruhig noch mindestens eine Woche länger dauern können! (Rike ist sich allerdings durchaus bewusst, dass das dabei angesammelte Schlafdefizit dann wahrscheinlich deutlich zu groß würde.)

Rike Müller-Werkmeister

Mit Richard Ernst, auf den sie sich vorab besonders gefreut hatte, konnte Rike am Mittwoch direkt nach dessen Vortrag sprechen — vor allem über Wissenschaft und darüber, inwieweit Ernst verfolgt, ob sich eine seiner Prognosen bewahrheitet, die Rike auch selbst betrifft: Ernst hatte vorhergesagt, multidimensionale Verfahren, die er für die Kernspinresonanz entwickelt hatte, würden sich auch bei anderen Arten der Spektroskopie durchsetzen (unter anderem bei der zeitaufgelösten 2D-IR-Spektroskopie, die Rike betreibt). Antwort: Er tut es, und hatte auch gleich eine passende Rückfrage.

Außer Ernst hat sie jetzt noch einen neuen Laureaten-Favoriten: Harry Kroto (Chemie 1996), in dessen Nachmittagsvortrag es vor allem um Krotos Outreach-Aktivitäten gegangen war — von Online-Projekten bis zu Turnhallen voll Fullerene nachbauender Kinder. Von diesem Vortrag war Rike begeistert, und fand vor allem toll, dass auch Nobelpreisträger diese Art von Aktivitäten — Rike selbst ist, ich erwähnte es, im Jungforschernetzwerk juFORUM aktiv — so wichtig nehmen. Auf Rikes Nachfrage erzählte Kroto, dass er bereits seit seiner Studienzeit mit seiner Forschung in die Öffentlichkeit gegangen sei. Rike selbst hatte sich in der Vergangenheit doch bisweilen gefragt, ob sie sich zwischen Wissenschaft und Outreach würde entscheiden müssen — und fühlt sich durch Krotos Beispiel, dass sich beides vereinbaren lässt, sehr ermutigt.

Krotos Vortrag hatte dann sogar Jugend forscht-Bezug: Kroto hatte sich vorher länger mit Ben Heuer unterhalten, einem der Jugend forscht-Sieger (2. Platz Mathematik, Bundeswettbewerb 2010), die am diesjährigen Lindauer Treffen teilnehmen, übrigens eine der ersten Arbeiten, die Rike selbst als Jury-Mitglied bei Jugend forscht begutachtet hat. Prompt fand sich Ben mit seiner Arbeit, einem mathematischen Modell für die räumliche Struktur bestimmter chemischer Verbindungen ("Chelatkomplexe"), in Krotos Vortrag wieder: in illustrer Gesellschaft, als Kroto zum Thema "in welchem Alter machen Wissenschaftler ihre bahnbrechenden Entdeckungen" auf einer Folie neben dem jungen Einstein eben auch den jetzt sechzehnjährigen Ben Heuer zeigte.

Bei den Diskussionen kam regelmäßig die Sprache auf die Begeisterung und die Hartnäckigkeit, die für eine Forscherkarriere wichtig sind — die Themen, die sich ja bereits als roter Faden durch mein erstes Gespräch mit Rike gezogen hatten.

Auch was die Kontakte mit anderen Young Researchers angeht, ist Rike auf ihre Kosten gekommen — sie hat zwar niemanden gefunden, der, wie sie, mit unnatürlichen Aminosäuren arbeitet, aber durchaus Forscher, die in eine ähnliche Richtung gehen. Und Kollegen, die mit den selben Werkzeugen arbeiten wie sie: etwa dem Lasersystem, über dessen Tücken und Eigenheiten sich einige angeregte Gespräche ergaben. Dazu kamen: Einblicke in einer Vielzahl anderer, neuer Forschungsthemen; Diskussionen, die eher in Richtung Wissenschaftsphilosophie gingen und, wo wir schon bei den fachübergreifenden Themen sind: Erfahrungsaustauch in Bezug auf die wissenschaftliche Karriereplanung und grundlegende Fragen wie: Forschung vs. Industrie? Und wie wird man eigentlich Professor?

Bei soviel Begeisterung habe ich natürlich gleich nachgefragt: Hat ihr auch etwas an der Tagung nicht so gut gefallen? Auch von der Organisation der Tagung war Rike sehr angetan, hatte dann schließlich aber doch zwei kleine Verbesserungsvorschläge: Ihr und einigen anderen sei eine gewisse Grüppchenbildung aufgefallen, Deutsche mit deutschen Teilnehmern, Amerikaner mit Amerikanern, Chinesen mit Chinesen, Inder mit Indern — klar habe es Kontakte gegeben, aber so manche seien halt unter sich geblieben. Aus ihrer Erfahrung mit der Organisation des International Summer and Science Camps empfiehlt sie den Lindauer Veranstaltern, am ersten Tag einen Kennenlernabend nur für die Young Researcher zu veranstalten, ohne Laureaten, Presse und Gäste, dafür aber so organisiert, dass die Durchmischung gefördert wird (nicht mehr als einer aus jedem Land an einem Tisch!). 

Ach ja, und: Die Busse könnten länger fahren. Gerade weil die Young Researchers sich so gut verstehen und auch abends bis spät in die Nacht zusammensitzen. Rike hatte das Glück, jede Nacht jemanden gefunden zu haben, der sie auf dem 25-minütigen Fußweg zum Hotel begleitet hat — aber es gab eben auch Leute, die deutlich weiter weg wohnen, und bei aller Beschaulichkeit Lindaus: man kann verstehen, wenn die weiblichen Teilnehmer nicht alleine durch die Dunkelheit stapfen mögen, zumal das Taxiangebot in Lindau wohl doch etwas begrenzt ist. Sprich: Busse, die z.B. nachts um 1 Uhr noch einmal verkehren, wären einer ganzen Reihe von Teilnehmern zupass gekommen. 

Rikes Tip für zukünftige Young Researcher, die die Chance haben, nach Lindau zu kommen? Gute Vorbereitung. Rike hatte zwar die Portraits der anwesenden Laureaten durchgelesen und sich deren nobelpreiswürdige Arbeiten noch einmal angeschaut. Sie hat hier aber gemerkt, dass sie noch etwas mehr hätte tun können: Sich bei denjenigen Laureaten, die ihrem Fachgebiet nahe sind, auch noch einmal online zu schauen, woran diese Wissenschaftler denn eigentlich jetzt, aktuell, forschen. Die preiswürdige Forschung liegt eben doch meist etwas zurück, und viele Laureaten sind seither längst bei anderen Themen gelandet.

 


In diesem Kurzbericht bei WDR 5 kommt Rike auch kurz zu Wort.

 

Markus Pössel