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Veröffentlicht 20. Juli 2012 von Markus Pössel

Lindau-Bilanz 2012

Die Lindauer Tagung 2012 ist nun bereits zwei Wochen her. Zeit für meinen Rückblick: Wie war’s?

Von den Vorträgen her war durchaus ein gewisses Crescendo zu bemerken. Begonnen hatte es mit einem soliden und schönen, aber eben eher konventionellen Vortrag zur Dunklen Energie von „Frischling“ Brian Schmidt. Rumoren, aber auch Stirnrunzeln, gab dann in der zweiten montäglichen Vormittagssitzung: Dort hielt Ivar Giaever, vom eigenen Fachgebiet her Festkörperphysiker mit Schwerpunkt Supraleitung, einen aus meiner Sicht recht tendenziösen Vortrag zum Klimawandel – „Pseudowissenschaft“, so sein Schluss -, der zu der interessanten Situation führte, dass Mario Molina, Chemiker und Mitentdecker des Ozonlochs, gegen Ende seines eigenen, direkt vorangehenden Vortrags bereits vorab auf die (ihm aus vorangehenden Äußerungen Giaevers bekannten) Argumente Giaevers einging. Aus Reihen der Veranstalter war später zu hören, hätten sie gewusst, was dort ablaufen würde, hätten sie gleich eine Diskussion angesetzt. Das wäre sicher interessant gewesen – allerdings müsste man da wahrscheinlich ein geeignetes Format finden: Zwischen den Diskutanten ein „Fact-checker vom Dienst“, der die Behauptungen dort, wo zumindest auf der Bühne Aussage gegen Aussage steht, direkt online nachprüfen kann?

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Ein Großteil des Reizes der Lindauer Vorträge liegt darin, dass die Nobelpreisträger persönlich werden, von ihrem eigenen Werdegang berichten und Fragen behandeln, die man sonst in dieser Form auf herkömmlichen wissenschaftlichen Konferenzen nicht findet: Wie werden bahnbrechende Entdeckungen gemacht? Was sollte man als junger Wissenschaftler beachten, wenn man wirklich an die Spitze möchte? Dieser Themenstrang kam, soweit ich sehen kann, erst am Mittwoch, mit dem Vortrag von Douglas Osheroff „How Advances in Science are Made“ in Fahrt. Zur Teilfrage, wie man als Wissenschaftler Familie und Beruf vereinbaren kann (oder eben nicht) bekam ich später dann noch im Interview mit Brian Schmidt einiges Interessantes zu hören.

Dann war da natürlich noch der Wirbel um das Higgs-Teilchen (oder vielleicht doch ein anderes Boson?). Wir saßen in Lindau zwar nicht direkt an der Quelle, waren aber doch wahrscheinlich so nah dran wie man es außerhalb des CERN-Geländes sein konnte, als am Mittwoch, den 4. Juli die Entdeckung eines neuen Bosons mit einer Masse von 125 GeV bekannt gegeben wurde – da gab es die Möglichkeit, vorab mit einigen derjenigen Physikern zu sprechen, die am Standardmodell der Elementarteilchen mitgestrickt haben – auch, aber nicht nur über das Higgs – um dann bei Pressekonferenz, Liveschaltung zum CERN und Podiumsdiskussion eine geballte Ladung Fakten und Hintergründe.

Furios war der Donnerstag, mit einem hochspannenden Erstlings-Vortrag von Dan Shechtman, mit dem überzeugend geführten Nachweis, dass Chemie in der Praxis eben doch kein Untergebiet der Physik ist, von Dudley Herschbach und mit einer offenbar typischen rasanten Präsentation von Harry Kroto, in der von Meccano und Logo-Design bis zu Grundfragen der Wissenschaftlichkeit so ziemlich alles vorkam.

Am Donnerstag nachmittag dann das für mich neue, für Lindau wohl bereits ein Jahr alte Format „Master class“. In meinem Falle war es George Smoot,  der in seinem Meisterkurs vier der jungen Wissenschaftler ihre Arbeit präsentieren ließ und dann (u.a. mit Hilfe des Publikums) hilfreiche Tipps dazu gab, was an der Präsentation gut und was noch verbesserungswürdig sei. Sowohl von den Anwesenden als auch von jungen Forschern, denen ich nachträglich von diesem Format erzählte, habe ich nur positive Einschätzungen gehört – mehr davon!

Die Bootsfahrt litt, wie übrigens die ganze Lindau-Woche, unter dem grauen, stellenweise auch regnerischen Wetter.alt

Da ich 2010 schon einmal blogger-in-residence der Lindauer Tagung war, stellt sich für mich natürlich auch die Frage: Was war 2012 anders als 2010?

Zunächst einmal war 2012 eine Physik-Tagung und damit thematisch enger eingegrenzt als die interdisziplinäre Tagung 2010. Für mich persönlich waren 2010 gerade einige der fachfremden Vorträge mit am spannendsten; insofern fand ich es löblich, dass die Organisatoren das Oberthema Physik nicht allzu streng sehen und auch einige Vorträge zu ganz anderen Themen vorkamen. Vielleicht könnte man das ja noch etwas weiter forcieren, und gezielt weitere spannende hauptfachfremde Laureaten einladen? Weiterhin hatte sich die Interdisziplinarität in Verbindung mit dem runden 60. Jubiläum natürlich auch bei der Zahl der anwesenden Nobelpreisträger niedergeschlagen (diesmal 27, damals 59). Das hatte einige ganz praktische Auswirkungen – die Aufmerksamkeit der Jungwissenschaftler, samt Wünschen gemeinsame Fotos oder Autogramme betreffend, verteilt sich bei doppelt sovielen anwesenden Laureaten um einen Faktor 2 breiter, und auch dafür, als Blogger (oder Journalist, nehme ich an), interessante Nebengespräche mit Laureaten zu führen, ergab sich damit eine entspanntere Atmosphäre.

Last but not least ist da immer noch die Organisation der Treffen, die sich über Jahre hinweg offenbar so eingespielt hat, dass sie zum Großteil unmerklich im Hintergrund mitläuft.

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Ich habe seit meiner letzten Lindau-Teilnahme auch einige (ungleich kleinere!) Veranstaltungen mit organisiert und finde deswegen noch beeindruckender als letztes Mal, wie glatt das Lindau-Getriebe läuft – bei all den verschiedenen Veranstaltungsräumen, einem Verkehrsstrom-Gewirr an chauffierten Laureaten, der großen Masse an Jungwissenschaftlern, die auch noch gefüttert werden müssen, den Umbauten der Festhalle für die verschiedenen Veranstaltungen: all das nötigt mir großen Respekt ab. Mit einem Wermutstropfen allerdings: war das drahtlose Netzwerk im Vortragsaal 2010 schon sehr langsam und blieb oft ganz stecken, war es dieses Jahr sogar noch schlimmer. Dass das Lindauer Treffen mit einem eigenen Blog, mit Facebook-Präsenz und Twitter-Konto vielen anderen Veranstaltungen in punkto Social Media weit voraus ist, die Blogger/Facebooker/Twitterer dann aber ausgerechnet dort, wo sie unmittelbar am Geschehen sind, auf dem Trockenen sitzen lässt, ist schlicht absurd.

Aber das darf das Gesamtbild nicht trüben. Es gilt, was ich schon 2010 als Schlussatz unter meine damalige Lindau-Bilanz setzte: Insgesamt bleibt ein guter Eindruck zurück, von einer Veranstaltung mit einem tollen Konzept, professionell und engagiert umgesetzt, die den Hauptpersonen, also den Laureaten und Young Researchers, aber auch uns weiteren Besuchern, den Gästen, Bloggern und anderen Medienvertretern, nicht nur viel Spaß gemacht, sondern auch nachhaltig etwas gebracht hat.

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Markus Pössel