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Veröffentlicht 5. Juli 2012 von Markus Pössel

Laser, Präzisionsuhren und ein Wasserstoffrätsel

Die Grenzen des physikalisch Bekannten kann man in verschiedene Richtungen erweitern. Aktuell steht natürlich (Higgs-Teilchen!) erst einmal die Energie im Vordergrund, denn die neuen Ergebnisse verdanken wir den hohen Kollisionsenergien zusammenprallender Teilchen, die vor dem LHC noch nie ein Teilchenbeschleuniger erreicht hat. Bei zwei weiteren hochinteressanten Vorträgen gestern, denen von John L. Hall (Bild unten) und Theodor Hänsch, wird der Fortschritt vornehmlich in eine andere Richtung gemessen: Es geht darum, immer höhere Messgenauigkeiten zu erreichen.

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In den Physik-Praktika und erst recht bei Schulversuchen kommt dieser Aspekt der Physik meiner Erfahrung nach zu kurz. Bei Demonstrationsversuchen ist man schon zufrieden, wenn nur einigermaßen der richtige Wert herauskommt. Bei Praktika macht man die übliche statistische Datenauswertung; Zeit, sich über Fehler Gedanken zu machen oder sich gar immer weitere Variationen des experimentellen Aufbaus auszudenken, die bestimmte Fehlerquellen immer weiter zurückdrängen, blieb dabei zumindest in meiner Studienzeit nicht.

Das ist jammerschade, denn ein Gefühl dafür, wie Leute wie Hall und Hänsch und viele weitere Experimentalphysiker ihre Zeit verbringen, immer neue Fehlerquellen zu unterdrücken, sich geniale Konstellationen auszudenken, in denen bestimmte Fehler gar nicht erst auftreten, und einen riesigen Aufwand zu treiben, um sowohl die von ihnen untersuchten Modellsysteme als auch die zur Messung verwendeten physikalischen Systeme immer besser zu verstehen, bekommt man auf diese Weise natürlich gerade nicht.

Dabei gehören die Ergebnisse von Hall, Hänsch und Kollegen mit zum Grundlegendsten, was die Physik zu bieten hat. Dass dank Laserphysik die Atomuhren immer genauer werden, festigt die Basis für alle unsere Zeit- und Frequenzmessungen – eine Entwicklung, die Hall in einer Folie übersichtlich zeigte:

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Mit meinem großen Interesse an allem, was mit der Allgemeinen Relativitätstheorie zusammenhängt, hat mich natürlich besonders gefreut, dass sich auf diese Weise die so genannte Gravitations-Rotverschiebung – der Umstand, dass Uhren umso langsamer gehen, je tiefer in einem Gravitationsfeld sie sitzen – bereits für einen Höhenunterschied von 10 cm messen lässt! Früher war man bereits froh, dass man diesen Effekt mit Hilfe von Verkehrsflugzeugen (nicht sooo genau) oder Raketen (sehr genau, Gravity Probe A, maximale Flughöhe 10.000 Kilometer) messen konnte. Mit den neuen, hochgenauen Uhren geht’s bereits auf einem Labortisch.

Laser schaffen es eben nicht nur, Energie beeindruckend zu konzentrieren (Zitat Hall: „[Als typischer Physiker, der mit gepulsten Lasern arbeitet] bestünde das Ziel ihres ganzen Berufsleben dann z.B. darin, sich mit ihrem Laser durch 137 Rasierklingen hindurchzubrennen“). Sie lassen sich auch vorzüglich stabilisieren. Über die sogenannten Frequenzkämme, die wesentlich für die Nobelpreise von Hänsch und Hall verantwortlich sind, hatte ich vor zwei Jahren an dieser Stelle bereits berichtet.

altNeu war bei diesem Vortrag für mich aber z.B. die Aussage Hänschs (rechts im Bild), es würde ihn nicht überraschen, wenn wir eines Tages solche Frequenzkämme in unseren Armbanduhren tragen würden – basierend auf „toroidal microcavities“, die sich für solche Frequenzkämme nutzen ließen.

Last but not least können sich bei stetig zunehmender Präzision auch Überraschungen ergeben. Eine davon hatte Hänsch in seinem Vortrag 2010 nur andeuten können, denn der Veröffentlichungstermin des entsprechenden Nature-Artikels lag damals noch ein paar Tage in der Zukunft. In diesem Vortrag kam das Rätsel nun prominent vor. Der Ausgangspunkt ist dabei Schulstoff: Schickt man Licht, das genau die richtige Energie hat, auf ein Wasserstoffatom, dann kann man das Elektron dazu bringen, in einen höheren Energiezustand zu springen, aus dem es anschließend unter Aussendung von Licht wieder zurückspringt. Das solche Sprünge von einem gebundenen Zustand in einen anderen nur bei ganz bestimmten Lichtenergien klappen, war einer der Ausgangspunkte bei der Entwicklung des quantenmechanischen Modells des Atoms. Die Energieverhältnisse kann man mithilfe der von Hänsch und Kollegen entwickelten Technik sehr viel genauer aufklären als je zuvor: Die Energie hängt bei Licht direkt mit der Frequenz zusammen. Und Lichtfrequenzen kann man nun einmal sehr genau bestimmen, indem man einen Frequenzkamm als Vergleichssystem heranzieht.

Die typische Energieskala für diese Elektronensprünge wird unter anderem dadurch beeinflusst, dass das Proton kein punktartiges Teilchen ist, sondern eine Ausdehnung besitzt – seine elektrische Ladung ist über eine kleine Raumregion verteilt. Man kann berechnen, wie dieser Protonenradius (genauer: der mittlere Radius der Ladungsverteilung) die Energieverhältnisse beeinflusst – und dann im Gegenzug aus den Messwerten der Elektronensprung-Energien

Stellt man künstliche Wasserstoffatome her, die statt eines Elektrons ein so genanntes Myon enthalten, so etwas wie einen schwereren Cousin des Elektrons, der dem Proton aufgrund seiner größeren Masse auf seiner Bahn näher kommt als das Elektron und die Ausdehnung des Protons deswegen noch stärker fühlen sollte, dann kann man den Protonenradius mit beeindruckender Genauigkeit messen.

Bei solchen Messungen haben die beteiligten Physiker (ein internationales Team, an dem auch Hänschs mit seiner Gruppe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik beteiligt ist) allerdings ein Problem entdeckt – und das war die Überraschung, die Hänsch damals nur angedeutet hatte (siehe z.B. diese Pressemitteilung):
 
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Der neu gemessene Wert für den Radius ist deutlich kleiner als der zur Zeit allgemein akzeptierte, der vor allem auf der Spektroskopie von normalem Wasserstoff (ohne Myon) beruht. Die Fehlergrenzen sind bei beiden Messwerten so gering, dass es sich nicht einfach um einen Messfehler handeln kann. Irgendetwas ist da merkwürdig und harrt einer Erklärung. Derzeit ist noch nicht klar, wie diese Erklärung letztlich aussehen wird.

Sowohl Hall als auch Hänsch hatten noch viele weitere schöne Ergebnisse zu bieten: Optische Fasern mit Mikrostruktur und ihren Einfluss auf hindurchgeschicktes Licht etwa, oder den direkten Vergleich der neuartigen Frequenzkammuhren über 920 Kilometer hinweg (MPQ in Garching und Physikalische Bundesanstalt Braunschweig, wo die offizielle Zeit für Deutschland gemacht wird). Aber mich hat die Protonenradius-Anomalie am meisten beeindruckt. Nicht nur, aber auch, weil sie zeigt, dass grundlegende Teilchenphysik eben nicht nur in Teilchenbeschleunigern gemacht wird.

Markus Pössel