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Veröffentlicht 13. April 2017 von Neysan Donnelly

Können Superpflanzen unser Hungerproblem lösen?

Unter den vielen Herausforderungen der Menschheit wird das Nahrungsmittelproblem zuweilen fast übersehen. Fakt ist jedoch, dass die Nachfrage nach Nahrungsmitteln weltweit ständig zunimmt und sie bis zum Jahr 2050 doppelt so hoch sein könnte wie 2005. Was noch alarmierender ist: Wenn die Dinge so weiterlaufen wie bisher, werden wir diese steigende Nachfrage – so die Berechnungen der UN-Welternährungsorganisation – nicht mehr befriedigen können. Könnten wir dieses Problem lösen, indem wir die chemische Reaktion beschleunigen, die Pflanzen für ihr Wachstum nutzen?

Die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass die Weltbevölkerung stetig wächst: Bis 2050 dürften auf dem Planeten Erde noch einmal zwei Milliarden mehr Menschen leben als heute. Ein weiterer Grund ist der weltweit steigende Lebensstandard. Denn mit ihm steigt gleichzeitig die Nachfrage nach höherwertigen Lebensmitteln (und größeren Mengen davon). Zudem ist in den Industrieländern der Verbrauch von Getreide für die Herstellung von Biokraftstoffen in den letzten zehn Jahren explosionsartig angestiegen – Getreide, das somit nicht als Nahrungsmittel dienen kann. Wie also können wir mehr Lebensmittel produzieren, um diesen Mangel auszugleichen? Und wie können wir dies tun ohne die bereits bestehenden Probleme wie Wasserknappheit oder Klimawandel nicht noch zu verschärfen?

 

Zwar hat die Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen, allerdings sieht es so aus, als wenn die heutigen Ernteerträge kaum noch steigerungsfähig sind. Um den stetig wachsenden Bedarf befriedigen zu können, müssen dringend neuartige Lösungen her. Credit: valio84sl/iStock.com
Zwar hat die Effizienz der landwirtschaftlichen Produktion in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen, allerdings sieht es so aus, als wenn die heutigen Ernteerträge kaum noch steigerungsfähig sind. Um den stetig wachsenden Bedarf befriedigen zu können, müssen dringend neuartige Lösungen her. Credit: valio84sl/iStock.com

 

Um höhere Ernteerträge zu erzielen, setzte die Landwirtschaft bisher vor allem auf zwei Strategien: Entweder werden größere Flächen Land bewirtschaftet oder auf den bereits genutzten Flächen werden größere Mengen angebaut. Allerdings gehen viele Experten davon aus, dass diese konventionellen Konzepte, die auf einer effizienteren Wasser- und Düngemittelnutzung basieren, sowie anderen Ansätzen nun erschöpft sind. So haben sich die Ernteerträge unserer Hauptnahrungsmittel, einschließlich Reis und Weizen, in den letzten Jahren bereits auf hohem Niveau eingependelt. Welche Optionen bleiben noch? Dies war eine der Fragen, denen auch die Teilnehmer einer Diskussion während der 63. Lindauer Nobelpreisträgertagung im Jahr 2013 nachgingen.

Eine mögliche Lösung könnte die transgene Technologie bieten. Bei dieser übertragen Wissenschaftler ein für eine bestimmte Eigenschaft verantwortliches Gen von einem Organismus auf eine andere Spezies. Allerdings wird diese Methode sehr kontrovers diskutiert – nicht zuletzt, weil sie häufig dazu genutzt wird, gentechnisch veränderte (GM) Varianten zu erzeugen, die besonders widerstandsfähig gegen raue Umweltbedingungen, Krankheiten und vor allem auch Antibiotika sind. Eine Hauptsorge dabei ist, dass diese Gene leicht auf Schädlinge übertragen werden könnten. Auf diese Weise könnten „Superunkräuter“ heranwachsen, die sich nicht so leicht wieder vernichten lassen. Doch in den letzten 20 Jahren hat sich eine weitere mögliche Strategie herausgebildet: Anstatt Pflanzen widerstandsfähiger zu machen, soll der Prozess, der ihrem Wachstum zugrunde liegt, angekurbelt werden.

Die Evolution der Photosynthese, der Reaktion, in der Pflanzen Kohlendioxid mit Hilfe von Sonnenlicht in Zucker und Wasser verwandeln, ist für die Entwicklung des Lebens auf der Erde von entscheidender Bedeutung. Da verwundert es nicht, dass gleich mehrere Nobelpreise Wissenschaftler ehren, welche die Grundmechanismen der Photosynthese aufgeklärt haben. So wurde 1988 der Nobelpreis für Chemie Hartmut Michel, Robert Huber und Johannes Deisenhofer „für die Erforschung der dreidimensionalen Struktur des Reaktionszentrums der Photosynthese“ zuerkannt. Diese chemische Reaktion, die so viel zur Förderung des Lebens und zur Evolution immer komplexerer Lebensformen auf diesem Planeten beigetragen hat, könnte der Schlüssel zur Erfüllung des zunehmenden Nahrungsmittelbedarfs der Menschen sein. Wenn die Photosynthese und damit die Produktion von Zucker weiterentwickelt und zielführend geregelt werden könnte, so der Ansatz, führt das zu größeren Pflanzen, höheren Erträgen und letztendlich mehr Nahrungsmitteln.

 

Johann Deisenhofer während seines Vortrags bei der 66. Lindauer Tagung im Jahr 2016. Wir freuen uns auf seinen Vortrag bei der #LiNo17! Credit: Christian Flemming/LNLM
Johann Deisenhofer während seines Vortrags bei der 66. Lindauer Tagung im Jahr 2016. Wir freuen uns auf seinen Vortrag bei der #LiNo17! Credit: Christian Flemming/LNLM

 

Es mag überraschen, aber tatsächlich ist die chemische Reaktion, die sich über die letzten 3,5 Milliarden Jahre entwickelt hat und dem gesamten Leben auf der Erde zugrunde liegt, in vielerlei Hinsicht relativ ineffizient. Effizienz bedeutet in diesem Fall, welcher Prozentsatz an Lichtenergie in chemische Energie in Form von Glukose umgewandelt wird. Eine Ineffizienz ist schon allein dadurch gegeben, dass die Photosynthese überhaupt nur einen Bruchteil des Sonnenlichtspektrums verwertet. Chlorophyll, das grüne Pigment, das Blättern ihre Farbe verleiht, ist am effizientesten bei der Aufnahme des für uns sichtbaren Lichts – des roten und blauen Lichts, das weniger als die Hälfte des Gesamtsonnenlichtes ausmacht, das unseren Planeten erreicht. Zusätzlich wird die Ineffizienz noch durch die Tatsache verstärkt, dass Pflanzen nur einen Teil der Energie, die sie über das Sonnenlicht aufnehmen, verwerten können. Um Schäden an Komponenten der Photosynthese und auch an der gesamten Pflanze zu vermeiden, wird überschüssige Energie in Hitze umgewandelt und von der Pflanze abgegeben. Dieser bedeutende Schutzmechanismus wird als „non-photochemical quenching“ bezeichnet (eine Fluoreszenzlöschung auf nichtphotochemischem Wege, dazu später mehr).

Wie kann die Photosynthese effizienter werden? Dies ließe sich mit verschiedenen Strategien erreichen. Ein entscheidendes Enzym namens RuBisCo (Abkürzung für Ribulose-1,5-Bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase) arbeitet relativ langsam und ineffizient. Deshalb versuchen weltweit mehrere Forscherteams, das Enzym effizienter zu machen. Auch die Kohlendioxid-Konzentration ist ein wichtiger Faktor in der Photosynthese. Weitere Optimierungsstrategien sind es daher, die Kohlendioxid-Konzentrationen in der unmittelbaren Umgebung der Pflanzen zu erhöhen und dafür zu sorgen, dass Pflanzen Kohlendioxid besser aufnehmen und nutzen können.

Bis vor kurzem beruhten Einschätzungen der Praktikabilität solcher Strategien jedoch hauptsächlich auf Vorstudien. Und so blieben die Ideen oft lediglich Ideen. Genau den Prozess anzukurbeln, auf dem das gesamte Pflanzenwachstum basiert, ist unbestreitbar ein attraktives Konzept – aber kann es tatsächlich funktionieren?

 

Seit Jahrzehnten versucht die Forschung die Mechanismen der Photosynthese aufzuklären. Forscher nutzen diese Erkenntnisse jetzt, um Ernteerträge zu steigern und so die Zukunft unserer Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten. Credit: alvarez/iStock.com
Seit Jahrzehnten versucht die Forschung die Mechanismen der Photosynthese aufzuklären. Forscher nutzen diese Erkenntnisse jetzt, um Ernteerträge zu steigern und so die Zukunft unserer Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten. Credit: alvarez/iStock.com

 

Im Herbst letzten Jahres zeigte eine neue Studie, dass eine effizientere Photosynthese tatsächlich zu spürbar höheren Ernteerträgen führt – zumindest bei der Tabakpflanze. Die Autoren, ein Team von Wissenschaftlern aus den USA, Großbritannien und Polen unter der Leitung von Krishna K. Niyogi und Stephen P. Long, verfolgten einen strikt systematischen Ansatz: Zunächst simulierten sie den chemischen Prozesses der Photosynthese in seiner Gesamtheit, um potentielle Schritte zu identifizieren, an denen sich die Reaktion durch Interventionen möglicherweise optimieren ließe. Den Forschern fiel dabei auf, dass Pflanzen wesentlich mehr Energie aus der Sonne aufnehmen, als sie nutzen können. Als Reaktion auf eine direkte starke Sonneneinstrahlung aktivieren Pflanzen einen Mechanismus, um sich selbst und ihre Photosynthese-Enzyme zu schützen: die nicht-photochemische Fluoreszenzlöschung. Wenn dieser Mechanismus dann aber wieder abgeschaltet werden soll, arbeiten sie nicht gerade effizient. So kann die Photosyntheseaktivität ganze 30 Minuten lang heruntergedrosselt sein. Die Autoren haben berechnet, dass die Gesamtausbeute unter schwankenden Lichtverhältnissen um bis zu 30 Prozent abnehmen könnte. Um dieser Frage weiter nachzugehen und eine schnellere Reaktivierung der Photosynthese bei Sonnenlichtexposition zu fördern, züchtete das Team von Niyogi und Long gentechnisch veränderte Tabakpflanzen. Diese Pflanzen produzierten drei Schlüsselproteine, die die Wiederaufnahme der Photosynthese unter schwankenden Lichtverhältnissen beschleunigen, in größeren Mengen. Mit dieser Strategie erzielten sie spektakuläre Ergebnisse: Die gentechnisch veränderten Pflanzen erbrachten Erträge, die durchschnittlich 15 Prozent über dem unveränderten Tabak lagen. Jetzt wenden die Forscher ihr Konzept auf Reis und andere bedeutende Nahrungspflanzen an.

Wissenschaftlern des Rothamsted Research in Großbritannien, dem weltweit ältesten Agrarforschungsinstitut, berichteten kürzlich von weiteren bahnbrechenden Entwicklungen. Sie verfolgen einen anderen Ansatz zur Effizienzsteigerung der Photosynthese: Sie züchten Pflanzen, die größere Mengen des Enzyms Sedoheptulose-1,7-Bisphosphatase (SBPase) herstellen. Es gelang ihnen wohl bereits, so den Ertrag von Weizen unter Gewächshausbedingungen erhebliche zu steigern. Jetzt testen die Forscher, ob dies auch beim Weizenanbau auf dem Acker möglich ist.

Jahrzehntelange Forschungsbemühungen wurden in die Aufklärung der Photosyntheseakteure und -mechanismen investiert – und mit einigen Nobelpreisen gekrönt. Mit gutem Grund: Wenn wir besser verstehen, wie die Photosynthese funktioniert, könnten wir so womöglich unsere Nahrungsmittelversorgung sichern. Die aktuellen Erfolge, mit Hilfe dieses Grundlagenwissens deutlich höhere Ernteerträge zu erzielen, lassen darauf hoffen, dass wir schon bald die Früchte dieser Strategie ernten können. Es bleibt spannend.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.