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Published 10 July 2015 by Harald Martenstein

Harald Martenstein unter Nobelpreisträgern: Eine Hassrede gegen die “geistige Sklaverei” des Islamismus

Literatur-Nobelpreisträger machen sich in Lindau rar, aber diesmal ist Wole Soyinka gekommen, ein 80jähriger Nigerianer. Der erste Afrikaner, der den Preis bekommen hat, 1986. Der Eintritt zu seinem Vortrag ist frei, aber es sind fast keine Lindauer im Stadttheater. Der Saal ist trotzdem voll. Die jungen Wissenschaftler sind da. Am Ende  gibt es eine stehende Ovation.

Soyinka hat in Nigeria fast zwei Jahre im Gefängnis gesessen, wegen Friedensaktivitäten im Biafrakrieg. Er hat ein Anliegen, und er trägt es in einer hinreißenden Mischung aus Pathos, Ironie und Sarkasmus vor. Seine Rede ist eine Hassrede, das kann man so sagen. Sie richtet sich gegen den Islamismus, gegen den Terror der Gruppe Boko Haram, die in ihrem Herrschaftsgebiet in Nigeria die Sklaverei wieder eingeführt hat. Geistige Sklaverei, das ist sein Wort für den Islamismus. Soyinka spricht über Islamschulen, an denen es nur ein Buch gibt, nur den Koran, wo absoluter Gehorsam gelehrt wird, wo der Zweifel, die Diskussion, die Kreativität und jedes Verständnis für eine andere Weltsicht verboten sind. Und er zieht eine Parallele zum Marxismus, der ja, wie der Islam, eine mörderische Variante hervorgebracht hat.

Die verbreitetste Übersetzung von „Boko Haram“ lautet „Bücher sind Sünde“. Es geht solchen Bewegungen immer darum, dass bestimmte Texte für unantastbar erklärt werden, und andere für verboten. Und es geht immer um Erleuchtung. Wenn man einen prototypischen Namen finden müsste, sagt Soyinka, einen Namen, der für alle Terrorgruppen passt, dann hieße dieser Name „Leuchtender Pfad“.

 

Image: Ch. Flemming/Lindau Nobel Laureate Meeting
Image: Ch. Flemming/Lindau Nobel Laureate Meeting

Wer das Paradies verspricht, der bringt die Hölle. Das ist Soyinkas Botschaft. Ich kenne keinen deutschen Intellektuellen, der in diesem Ton über den Islamismus spricht, dessen Ziel die Wiedereinführung einer Art Sklaverei und die Zerstörung der Kultur ist. Als ich wieder im Hotel bin, googele ich „Islamismus“ und „Berliner Akademie der Künste“. Ich finde einen Appell „Rettet die Kultur!“, relativ neu, vor etwa einem Jahr. Er richtet sich gegen das Freihandelsabkommen mit den USA.

Ein paar Stunden vor Soyinkas Auftritt war ich wieder einmal auf dem Zukunftstrip. Die Veranstalter hatten einige Nobelpreisträger gebeten, sich über die Welt in 50 Jahren Gedanken zu machen, 50 Jahre, diese Zeitperspektive taucht in Lindau sehr oft auf. Vielleicht, weil viele das noch erleben können. Die alten Nobelpreisträger und ein junger Wissenschaftler saßen vor Journalisten und erzählten, was in 50 Jahren ihrer Meinung nach möglich sein wird, garantiert oder zumindest sehr wahrscheinlich. Sie waren vorsichtig, man will sich ja nicht lächerlich machen. „Na ja“, sagte einer, „wir werden dann nicht mehr da sein, also, was soll`s.“

Die Menschen werden Leben erschaffen können, sie werden neue Geschöpfe erfinden und herstellen. Wir werden das Gehirn sehr genau verstehen, wir werden Gehirne programmieren können wie Computer. Krebs wird wahrscheinlich besiegt sein. Es gibt irgendeine neue Art der Energieversorgung. Wir können Ersatzorgane züchten und transplantieren. Am schwierigsten wird es wohl bei den Augen.

Frage an die Preisträger: Wovon sollte die Wissenschaft besser die Finger lassen? Tödliche Viren, das kann ganz, ganz übel werden. Wer weiß, was es in den Geheimlaboren der Militärs alles schon gibt. Eine Atomkatastrophe ist nichts, gar nichts gegen so einen Virus. Und intelligente Roboter, an sich wird deren Herstellung irgendwann kein Problem mehr sein. Aber diese Kerle können wirklich eine Menge Ärger machen.

Letzte Frage: Welches Problem wird nicht gelöst werden können, niemals? Die Nobelpreisträger überlegen. „Angst“, sagt jemand. Der Inder Venki Ramakrishnan glaubt, dass alle Wissenschaft vergeblich ist, wenn nicht irgendwie das Wachstum der Weltbevölkerung gestoppt wird.  Dann ergreift Arieh Warshel das Wort, ein 75jähriger Israeli, der in den USA lebt und 2013 den Preis für Chemie bekommen hat. „Kriege“, sagt er. „Es wird immer Kriege geben.“

Harald Martenstein

Harald Martenstein, geboren 1953 in Mainz, studierte Geschichte und Romanistik in Freiburg. Er ist Redakteur beim Tagesspiegel in Berlin. Seit 2002 schreibt Martenstein Kolumnen für die ,,Zeit", die auch in Buchform erscheinen.Zuletzt erschien die Kolumnensammlung "Die neuen Leiden des alten M.". Daneben veröffentlichte er die Romane "Heimweg" (2007) und "Gefühlte Nähe" (2010) sowie den Reportagenband "Romantische Nächte im Zoo" (2013). Für seine journalistische Arbeit erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den Henri-Nannen-Preis und den Theodor-Wolff-Preis, für seine Romane unter anderem den Georg K. Glaser-Preis. Martenstein lebt in der Uckermark und in Berlin.