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Veröffentlicht 4. Mai 2017 von Susanne Dambeck

Tomas Lindahl, Entdecker der DNA-Reparatur

Heute wissen wir, dass unsere DNA jeden Tag durch UV-Strahlung, freie Radikale und andere schädliche Substanzen beschädigt wird. Und selbst ohne äußere Einflüsse unterliegt das Erbgut in unseren Zellen ständigen Veränderungen, beispielsweise während der Zellteilung. Doch in den 1960er Jahren dachte man, die DNA-Doppelhelix sei extrem stabil – ihre Struktur war erst ein Jahrzehnt zuvor entdeckt worden.

 

Tomas Lindahl bei der Nobelpressekonferenz in Stockholm im Dezember 2015. Er arbeitete viele Jahrzehnte in Großbritannien und jetzt emeritierter Direktor von Cancer Research UK/Clare Hall Laboratory. Foto: Holger Motzkau, CC BY-SA 3.0
Tomas Lindahl bei der Nobelpreis-Pressekonferenz in Stockholm im Dezember 2015. Er forschte viele Jahrzehnte in Großbritannien und ist jetzt emeritierter Direktor von Cancer Research UK/Clare Hall Laboratory. Foto: Holger Motzkau, CC BY-SA 3.0

Im Jahr 1969 machte sich Tomas Lindahl nun daran, die Stabilität oder Instabilität der menschlichen DNA experimentell zu erforschen. Diese Fragestellung galt damals als derartig abwegig, dass er sich nicht traute, Forschungsgelder hierfür zu beantragen. Stattdessen verwendete er andere Gelder, die bereits bewilligt waren.

Schon als Postdoc in den USA hatte er festgestellt, dass tRNA unter bestimmten Bedingungen erstaunlich instabil sein kann. Das widersprach zwar der herrschenden Vorstellung, dass DNA sehr stabil ist, doch da RNA in der Regel einsträngig vorkommt, könnte der fehlende Strang eine Erklärung hierfür liefern. Seine Kollegen vermuteten sogar, er hätte die Probe mit seinen Fingern verunreinigt und so unwissentlich die Ergebnisse verfälscht. Trotz aller Zweifel konnte Lindahl diese Entdeckung nicht vergessen, ebenso wenig die Frage, ob DNA nun stabil ist oder nicht.

In den USA hatte er als Erster die bis dahin unbekannten Enzyme DNA-Ligase und DNA-Exonuclease beschrieben, beide sind wichtige Komponenten der DNA-Reparatur. Doch damals „hatten wir nicht die Technik, die wir gebraucht hätten, um zu versuchen, ihre genaue Rolle in den Vorgängen im Zellinnern zu entschlüsseln“, schreibt Tomas Lindahl in seiner Autobiografie auf Nobelprize.org.

Zurück in Stockholm begann Lindahl nun ernsthaft mit der Suche nach DNA-Abbauprozessen, er hatte mittlerweile sein eigenes kleines Labor. Zunächst führte er ein paar Vorversuche durch, und „wenn diese nicht aussagekräftig gewesen wären, dann hätte ich das Projekt sang- und klanglos beerdigt“, erklärt er in seiner Nobel Lecture in Stockholm Ende 2015. Diese Versuche stellten sich jedoch als sehr vielversprechend heraus, daher plante er als nächstes eine aufwändige Versuchsreihe „um die langsame Zersetzung von DNA unter physiologischen Bedingungen zu charakterisieren und zu quantifizieren“.

Er stellte fest, dass tatsächlich einige Bausteine der DNA-Basen sich in seinen Proben von der DNA lösten. Als Konsequenz davon veränderten sich auch die verbliebenen Basen; „die wichtigste Veränderung stellt hierbei die Desaminierung von Cytosin zu Urasil dar“. Dieser Prozess wird in der Grafik unten beschrieben. ‚Desaminierung‘ beschreibt den Verlust einer Aminogruppe.

Als sich Lindahl nun daran machte, die gefundenen Veränderungen zu quantifizieren, stellte er fest, dass es in jeder Säugetierzelle jeden Tag tausende DNA-Veränderungen gibt – eine Größenordnung, die die Entwicklung von Leben auf der Erde eigentlich hätte verhindern müssen. Die zwingende Schlussfolgerung war: Es muss ausgefeilte DNA-Reparaturmechanismen geben, die rund um die Uhr Fehler aufstöbern und beseitigen.

 

Base excision repair

 

Schritt für Schritt gelang es Lindahl nun, den DNA-Reparaturweg zu beschreiben, der heute als Basen-Exzisionsreparatur (base excision repair) bekannt ist. Damit das Finden, Entfernen und Ersetzen von beschädigten Nukleotiden funktionieren, müssen viele verschiedene Enzyme zusammenarbeiten. Wie bereits erwähnt, neigt das Nukleotid Cytosin dazu, eine Aminogruppe zu verlieren, das Ergebnis ist eine Base namens Uracil. Nur leider kann Uracil mit dem gegenüberliegenden Guanin keine Wasserstoffbrücken bilden. Das Enzym DNA-Glykolase entdeckt diesen Defekt und entfernt das Uracil. Weitere Enzyme beseitigen die letzten Basenreste. Das Enzym DNA-Polymerase füllt nun die Lücke mit Cytosin und DNA-Ligase verschließt am Ende den Strang: Endlich konnte Lindahl die Funktion jenes Enzyms beschreiben, das er Jahre zuvor entdeckt hatte.

Im Jahr 2015 erhielten Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar den Chemienobelpreis für ihre Studien zur DNA-Reparatur. Während sich Lindahl vor allem mit dem Austausch einzelner Basen befasste, untersuchte Sancar den Austausch von größeren DNA-Abschnitten von bis zu 30 Basenpaaren. Nötig wird dieser Austausch vor allem bei typischen UV-Schäden. Modrich wiederum studierte den Prozess der Zellteilung, hierbei vor allem Basenfehlpaarungen und wie diese repariert werden können (mismatch repair).

Die von Lindahl entschlüsselte ‚Basen-Exzisionsreparatur‘ ist also nicht der einzige DNA-Reparaturweg: Er ist einer unter vielen, wenn auch ein sehr wichtiger. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass noch nicht alle Reparaturwege bekannt sind. Wenn es also zahlreiche Reparaturwege gibt, dann benötigen diese eine noch unbekannte Anzahl von Enzymen, damit sie funktionieren. Und jedes dieser Enzyme stellt wiederum einen vielversprechenden Ansatzpunkt für neue Krebstherapien dar, denn wer die Bildung eines dieser Enzyme unterdrücken kann, der unterdrückt damit oft auch die DNA-Reparatur. Da Krebszellen ebenfalls auf solche Reparaturwege angewiesen sind, kann dies als Ansatzpunkt zur Entwicklung neuer Medikamente genutzt werden, die weniger Nebenwirkungen haben, das ist zumindest die Hoffnung. Tomas Lindahl selbst bezeichnet die DNA-Reparatur als ein ‚zweischneidiges Schwert‘: Einerseits brauchen gesunde Zellen diese Reparaturwege um gesund zu bleiben, andererseits benutzen Krebszelle dieselben Mechanismen, um weiterhin Schaden anrichten zu können.

 

Schauspielerin Angelina Jolie im Mai 2012. Ein Jahr später machte sie ihre Entscheidung öffentlich, sich aufgrund einer BRCA-Mutation mehreren Operationen zu unterziehen, um ihr Krebsrisiko zu senken. Foreign and Commonwealth Office, Open Government Licence v1.0 (OGL)
Schauspielerin Angelina Jolie im Mai 2012. Ein Jahr später machte sie ihre Entscheidung öffentlich, sich aufgrund einer BRCA-Mutation mehreren Operationen zu unterziehen um ihr Krebsrisiko zu senken. Foto: Foreign and Commonwealth Office, Open Government Licence v1.0 (OGL)

Auf Grundlage dieser Forschung werden nun konkrete Krebsmedikamente entwickelt, die möglichst die Reparatur von Krebszellen verhindern und gleichzeitig gesunde Zellen so wenig wie nötig belasten sollen. Ein solches Medikament wird in dem wissenschaftlichen Begleitmaterial der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften genannt: Olaparib, ein sogenannter PARP-Inhibitor, der ein bestimmtes Enzym der DNA-Reparatur hemmt. Es ist zugelassen zur Behandlung von Eierstockkrebs, wenn eine der beiden Genmutationen BRCA1 oder BRCA2 vorliegt.

Frauen mit einer dieser Mutationen haben im Durchschnitt ein fünffach erhöhtes Brustkrebsrisiko und ein bis zu 30-fach erhöhtes Risiko an Eierstockkrebs zu erkranken. Die BRCA-Mutationen wurden weltweit bekannt, als die berühmte Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie im Jahr 2013 öffentlich machte, dass sie selbst Trägerin der Mutation BRCA1 ist und sich deshalb präventiv das Brustgewebe und später auch die Eierstöcke entfernen ließ. Nach dieser öffentlichen Erklärung stieg weltweit die Nachfrage nach solchen Tests, mit denen vor allem Frauen aus Risikogruppen oder -familien Klarheit über ihren Genstatus bekommen können.

In seiner Nobel Lecture erklärte Tomas Lindahl, dass es wahrscheinlich viele kleine Moleküle gibt, die unsere DNA schädigen können, die aber noch gar nicht als dafür bekannt sind. „Deshalb gibt es auch noch zahlreiche DNA-Reparaturwege, die darauf warten entdeckt zu werden.“ Und jeder einzelne neu entdeckte Reparaturprozess kann als neue Chance für Krebspatienten gesehen werden. Lindahls Hoffnung für die Zukunft ist, dass Krebs „eine Alterskrankheit wird, ähnlich wie Typ-2-Diabetes“: Man muss Medikamente dagegen nehmen, aber man kann mit der Erkrankung leben und sich dabei einer hohen Lebensqualität erfreuen.

Diesen Sommer wird Tomas Lindahl zum ersten Mal die Lindauer Nobelpreisträgertagung besuchen. Wir freuen uns sehr darauf, ihn in Lindau begrüßen zu dürfen, und freuen uns auf seinen Vortrag über DNA-Reparatur.

 

Die Helix-Brücke in Singapur. Ihr Design wurde von der DNA-Doppelhelix inspiriert. Das sieht man besonders gut bei Nacht, wenn die vier Buchstaben G, C, A und T in verschiedenen Farben leuchten. Sie stehen für Cytosin, Guanin, Adenin und Thymin, die vier Grundbausteine der DNA. Foto: joyt/iStock.com
Das Design der Helix-Brücke in Singapur wurde von der DNA-Doppelhelix inspiriert. Das sieht man besonders gut bei Nacht, wenn die vier Buchstaben G, C, A und T in verschiedenen Farben leuchten. Sie stehen für Cytosin, Guanin, Adenin und Thymin, die vier Grundbausteine der DNA. Foto: joyt/iStock.com

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.