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Veröffentlicht 29. Juni 2010

Robert Laughlin: Alles wird gut!

Unter all den Zukunftsoptimisten, die ich bis jetzt gesehen habe, ist der Physik-Nobelpreisträger Robert B. Laughlin zweifellos einer der unbekümmertsten. Er ignoriert einfach mal die leidige Klima- und Ressourcenpolitik des frühen 21. Jahrhunderts und springt sechs Generationen in die Zukunft, ins Jahr 2210. In eine Welt ohne Kohle oder Erdöl.

Das sind die Rahmenbedingungen für das gestern Nachmittag entworfene Szenario, in dem sich Laughlin über Ressourcenkonflikte keine Gedanken macht – „Eine Eurer Aufgaben wird sein, zu verhindern, dass aus diesen Konflikten Kriege entstehen“ ruft er dem Nachwuchs im Publikum zu. Erfolgreich delegieren für Fortgeschrittene.

Der Nobelpreisträger von 1998 jedenfalls beschäftigt sich lieber mit der Frage, welche grundsätzlichen Rahmenbedingungen das Leben unserer Ur-Ur-Ur-Urenkel dereinst bestimmen wird, und er hat da ganz pragmatische Prioritäten. Die erste Frage, die er in den Raum stellt ist die, ob unsere entfernten Nachfahren Autos fahren werden. Ganz klare Sache, finden alle Anwesenden, das wird wohl so sein. Und da sich alle so einig sind, ist die nächste Frage auch gleich etwas heimtückischer: Warum?

Kohle und Öl sind derzeit unangefochten die wichtigsten Energieträger der Menschheit, und es gibt nicht unendlich viel von ihnen. Wie lange die Vorräte noch halten werden ist offen, aber mit Öl wird in den nächsten 100 Jahren Schluss sein – das zusätzliche Öl aus unkonventionellen Quellen schlucken die chinesischen Autos, sagt Laughlin – und mit Kohle vielleicht 100 Jahre später.

Warum also werden die Menschen im Jahr 2210 noch Auto fahren? Mit der Antwort kann man eigentlich Laughlins gesamten Vortrag zusammenfassen: Die Leute wollen Auto fahren, also wird es irgendwie so kommen. Hier geht es wie gesagt nicht um praktische Erwägungen – sondern darum, dass sich auch ohne Kohle und Öl an unserer technischen Konsumkultur bitte nicht allzu viel ändern soll, und Laughlin überlegt sich, wie das möglicherweise physikalisch möglich sein könnte.

Laughlin sieht durchaus das Problem, dass das GDP von Staaten und der ganzen Welt ziemlich proportional zum Energieverbrauch ist und niemand nennenswert weniger Energie verbrauchen kann, ohne die Wirtschaft kollabieren zu lassen. Seine Lösung: Der Energieverbrauch bleibt einfach so wie er ist, nur halt besser. Energie gibt es genug, in Sonne, Wind und Wasser, das ist die Idee.

Also machen wir uns keine Sorgen, ob es möglicherweise die eine oder andere prinzipielle Schwierigkeit mit den „Erneuerbaren“ geben könnte, und konzentrieren uns auf die nächste entscheidende Frage: Werden die Menschen im Jahr 2210 noch fliegen? Hier ist das Publikum deutlich kritischer, denn während Elektroautos ohne weiteres möglich sind, wird kein Verkehrsflugzeug je mit Strom fliegen. Dazu ist die Energiedichte der Batterien zu gering. Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem, das Laughlin bei der Energieversorgung der Zukunft sieht: Kohlenstoffknappheit.

Ein Flugzeugtreibstoff nämlich muss zuerst per Masse genug Energie enthalten, um sich selbst vom Boden zu heben, erst dann kann der Überschuss verwendet werden, um den Rest des Flugzeugs fliegen zu lassen. Gibt es einen Energieträger mit höherer Energiedichte als Flugbenzin? Nein, und zwar aus theoretischen Gründen. Wenn Öl und Kohle verbraucht sind, werden wir extrem energiereiche Kohlenwasserstoffe wie Kerosin synthetisch herstellen müssen – oder auf Luftreisen verzichten.

Jeder Chemiker weiß jetzt natürlich, wo die Reise hin geht, und der Nobelpreisträger erklärt konsequenterweise Franz Fischer zum „Man of the 21st century“. In seiner Vision wird zuerst das Öl aufgebraucht, dann kommt die Kohle (weil es teurer ist, hochwertigen Kraftstoff daraus herzustellen), und wenn die Kohle aufgebraucht ist, werden die erneuerbaren Energiequellen abheben. Denn ohne sie werden wir nicht in der Lage sein, Kohlenstoff im großen Stil aus der Atmosphäre zurückzugewinnen, um auf die Kanaren in Urlaub zu fliegen.

Die dritte Frage, die er an diesem Tag stellt, ist die nach der Elektrizität der Zukunft. Für ihn ist es keine Frage, dass es auch nach der fossilen Ära nicht nur Strom in großen Mengen geben wird sondern auch noch billiger denn je. Denn nicht Energieknappheit ist für ihn das Problem, sondern all der gute Kohlenstoff, dessen Ernte aus der Atmosphäre das größte technische Problem in Laughlins Jahr 2210 zu sein scheint.

Laughlins Argumentation hat etwas rührend naives: Die billige Energie wird kommen, weil wir sie brauchen – dass eine allgemeine Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen möhlicherweise etwas teurer und etwas weniger universell verfügbar sein könnte (worauf einiges hindeutet), diese Möglichkeit kommt bei Laughlin nicht vor. Alles wird gut, sagt er. Und damit wissen wir auch, warum er auf eine Zeit sechs Generationen in die Zukunft guckt. In den nächsten zwei Generationen, die sich mit all dem rumschlagen müssen, das Laughlin praktischerweise in seinem Vortrag beiseite gelassen hat, wird nämlich alles ganz und gar nicht gut. Und wer will das schon erzählen, bei dem schönen Wetter?