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Veröffentlicht 10. Juli 2012 von Markus Pössel

Lindau aus der Sicht des Organisators

altDas Lindauer Treffen als Teilnehmer (oder auch als Blogger) mitzuerleben, ist auf alle Fälle ein ganz besonderes Erlebnis. Es einmal mit anderen Augen zu sehen, ist nicht minder interessant. Bei meinem letzten Lindauer Treffen (2010) war es „Lindau aus Sicht eines Nobelpreisträgers“ gewesen. Diesmal habe ich einen der Organisatoren des Treffens befragen können: Burkhard Fricke, Physikprofessor an der Universität Kassel, einer der beiden Scientific Chairmen des laufenden 62ten Treffens und seit kurzem Vizepräsident des Kuratoriums, das die Treffen ausrichtet.

MP: Herr Fricke, wie lange sind Sie bereits in Lindau dabei?

Fricke: Ich war das erste Mal 1965 bei der Nobelpreisträgertagung dabei – damals noch als Student. Und es war für mich einfach spannend, mit einem Herrn Heisenberg am Tisch zu sitzen und Fragen stellen zu dürfen, einen Otto Hahn zu sehen, einen Hideki Yukawa zu sehen, einen Max Born zu sehen, einen Paul Dirac zu sehen. Und man hat diese großen Leute der Physik auf den Lindauer Treffen eben auch als Menschen kennengelernt. Ich weiß noch, wie Paul Dirac einen Vortrag gehalten hat. Zum Schluss durften Fragen gestellt werden, aber von einem der Teilnehmer kam dann gar keine Frage, sondern eine Feststellung. Paul Dirac stand da und hat gar nichts getan, eine halbe Minute, eine dreiviertel Minute, eine Minute, und dann hat der Chairman ihn gefragt „Don’t you want to answer this question?“ Diracs Antwort war ganz trocken: „No. It wasn’t a question. It was a statement.“ Das sind Dinge, die haben nicht direkt mit der Wissenschaft zu tun, charakterisieren aber sehr, sehr gut den Menschen Dirac. Diese Komponente ist in Lindau sehr wichtig.

MP: Wie sind Sie dann zu einem der Organisatoren der Tagung geworden?

Fricke: Als ich später dann Ordinarius für theoretische Physik geworden war, habe ich das Treffen regelmäßig mit meinen Studenten besucht. Ich habe mir drei, vier Studenten ins Auto geladen und bin einfach hingefahren – das konnte man damals noch so machen. Die Organisatoren damals haben das natürlich zur Kenntnis genommen und gemerkt, dass ich regelmäßig dabei war. Als es dann soweit war, dass ein Nachfolger für Herrn Uhlenbusch gesucht wurde, haben sie mich angerufen und gefragt, ob ich das machen möchte. Das war vor neun Jahren. Vor drei Jahren war ich dann erstmals der Verantwortliche für die Physiktagung, dieses Jahr wieder, und jetzt gerade wird für mich ein Nachfolger gesucht, weil ich aufgerückt und Vizepräsident des Kuratoriums geworden bin.

MP: Was passiert hinter den Kulissen, bevor die Tagung losgeht? Zunächst werden, nehme ich an, die Nobelpreisträger eingeladen?

Fricke: Genau. Die Philosophie ist die, dass dieses Jahr, zur Physiktagung, alle lebenden Physik-Nobelpreisträger eine Einladung bekommen. Aus historischen Gründen bekommen auch alle deutschen Laureaten eine Einladung. Die meisten sagen allerdings ab, wenn es nicht um ihr Fachgebiet geht, aber dieses Jahr sind z.B. Herr zur Hausen und Herr Neher da, die nun wirklich nicht zur Physik gehören. Aber auch das ist gut so! Außerdem habe ich aus der Liste der Chemie-Nobelpreisträger noch alle diejenigen ausgesucht, die der Physik nahe stehen.

Die Einladungen gehen im September heraus und wir bitten die Laureaten, bis Mitte November zuzusagen. Dann kommen viele Zusagen und Absagen. Das endgültige Programm haben wir erst vor vier Wochen fertig gestellt.

Das erste Mal werden die Preisträger übrigens direkt bei der Preisverleihung auf die Lindauer Tagung hingewiesen. Sie werden dann von der Gräfin Bettina Bernadotte oder einem anderen Mitglied des Kuratoriums angesprochen. Erfreulich ist für uns, dass es immer öfter passiert, dass die Nobelpreisträger bereits von der Tagung wissen. Mehr kann man nicht erwarten! Vom letzten Jahr haben dann ja auch ganz spontan zwei der Laureaten zugesagt: der Herr Schmidt für die Physik und Herr Shechtman von der Chemie.

MP: Und dann machen Sie sich an die Auswahl der Jungwissenschaftler?

Fricke: Das Schöne ist ja, dass wir die Auswahl seit ein paar Jahren online machen. Die Young Researchers müssen ihre Daten eintragen, und dann suchen wir uns die richtigen Leute heraus. So subjektiv das auch immer sein mag: ich glaube, insgesamt treffen wir die richtige Auswahl. Das funktioniert ganz gut, da kann man nichts sagen.

Ein paar Feinheiten gibt es dabei noch. Für drei Länder haben wir Quoten: für die Amerikaner, weil die sonst überhand nehmen, für die Inder und für die Chinesen.

Bei den Chinesen haben wir die Zahl auf 25 limitiert, und wir suchen uns die Leute selbst aus. Da hatten wir einige schlechte Erfahrungen mit Bewerbern, die schrieben, ihr Englisch sei großartig, und dann kamen wir hin und die verstanden uns überhaupt nicht. Ich bin diesmal für die Physiker nach Shanghai und nach Peking gefahren und habe mir zusammen mit zwei Kollegen hundert Leute angehört. Dann hören wir ja, ob die uns verstehen oder nicht, und können sie richtig einschätzen. Die besten 25 haben wir uns ausgesucht. Die sind jetzt hier.

Indien ist nicht problematisch, die sprechen Englisch. Die Amerikaner treffen ihre eigene Auswahl, und wir gucken dann nur noch einmal drüber, dass nicht plötzlich bei einer Medizintagung ein Astronom dabei ist.

MP: Beim Lesen des Teilnehmerverzeichnisses fällt auf, dass dort jeweils steht, von wem die Teilnehmer finanziell unterstützt werden. Was hat es damit auf sich?

Fricke: Wir versuchen alles so zu regeln, dass jeder Teilnehmer finanzielle Unterstützung bekommt. Eine ganze Reihe von Stiftungen unterstützen uns, aber z.B. auch Regierungsstellen. Die Zuordnung der Teilnehmer zu den Förderern nimmt das Kuratorium vor. Ich war vor drei Monaten in Ägypten, in Kairo, und habe von elf Leuten zwei ausgesucht, die hierher kommen dürfen. Die ägyptische Regierung hat dann in einem Memorandum of Understanding akzeptiert, dass sie das auch bezahlt. Diesmal haben wir zum ersten Mal geschafft, dass alle in irgendeiner Form gefördert werden.

MP: Nun zum Tagungsprogramm. Wie frühzeitig stellen Sie das zusammen?

Fricke: Die Laureaten geben ungefähr ein halbes Jahr vorher an, worüber sie reden möchten. Dann mache ich daraus das Programm und kann die Vorträge und Diskussionen so zusammenstellen, dass das Ganze eine schlüssige Struktur bekommt. Die Abstracts bekommen wir erst knapp vier Wochen vorher. Dann geht das Programm in Druck.

MP: Mir ist aufgefallen, dass z.B. Brian Schmidt einen guten, aber relativ technischen Vortrag gehalten hat, ohne große persönliche Note. Wissen die Laureaten beim ersten Mal, was sie erwartet?

Fricke: Anfangs noch nicht! Was Schmidt da gemacht hat, ist ganz typisch: Beim ersten Mal halten die Laureaten typischerweise Wissenschaftsvorträge, wie sie es von anderen Tagungen gewohnt sind. In den Diskussionen mit den Studenten bekommen die Laureaten aber sehr schnell mit, dass es zum einen darum geht, verschiedene Studenten aus allen Fachrichtungen der Physik einzubinden, und dass die Studenten vor allem auch die menschliche Seite interessant finden. Wenn die Laureaten dann das zweite oder dritte Mal kommen, haben sie sich darauf eingestellt.

MP: Dass Vorträge mit ganz persönlicher Note zu den spannendsten Lindauer Vorträgen gehören, ist mir 2010 auch aufgefallen. Da war z.B. ein Vortrag von Oliver Smithies, bei dem Smithies anhand von Auszügen aus seinem Laborbuch sein Forscherleben nachvollzog…

Fricke: …das war der spannendste Vortrag von allen! Das war fantastisch! Die beste Rede, die ich in Lindau gehört habe! Da hat Smithies ganz generelle Fragen der Menschheit angesprochen und sie der jungen Generation ins Stammbuch geschrieben.

MP: Eine wirkliche Besonderheit dieses Jahr war die Liveschaltung samt Diskussion zum CERN anlässlich der neuen Ergebnisse bei der Suche nach dem Higgs-Teilchen.

Fricke: Diese Diskussion ist in der Tat eine ganz besondere Sache, und das kam so: Vor zwei Jahren hatten wir schon einmal eine Podiumsdiskussion zum CERN. Ich bin im Vorstand der [internationalen Physikerorganisation] IUPAP und war deswegen am nachfolgenden November in London, wo uns Herr Heuer einen sehr schönen Vortrag über den LHC und über all die Dinge gehalten hat, die dort gemacht werden. Dabei hat er gesagt „Nächstes Jahr ‚liefern‘ wir!“, und ich habe ihn anschließend darauf angesprochen und gesagt: Herr Heuer, wunderbar, dann werde ich bei der nächsten Lindauer Tagung wieder solch eine Diskussion ansetzen. Den Termin für diese Diskussion habe ich dann auf den 4. Juli gelegt, nachmittags um drei Uhr – das war vor einem guten halben Jahr!

Da hatte ich wohl intuitiv die richtige Einschätzung. Wir konnten vier Stunden, nachdem CERN die Entdeckung bekanntgegeben hatte, darüber diskutieren – aktueller können wir nicht sein! Darüber bin ich sehr froh, und darauf bin ich sehr stolz; ich kann zwar nichts dafür, habe aber Glück gehabt.

MP: Danke für dieses Gespräch!

Markus Pössel