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Veröffentlicht 20. Juni 2016 von Philip Willke

Doppelt forscht besser – Wie man zwei Nobelpreise miteinander verbindet

Die Freude über einen Nobelpreis ist sicherlich deutlich höher, aber ein Vorgeschmack davon ließ sich mir erahnen, als ich die Zusage für die diesjährige Lindauer Nobelpreisträgertagung erhielt. Für einen jungen Nachwuchsforscher ist dies nicht nur eine große Ehre, sondern auch eine unvergleichbare Möglichkeit des wissenschaftlichen Ideenaustausches, bei dem einige der brillantesten Geister unserer Zeit mitmischen. Stellen sie sich vor, sie wären eingeladen mit ihrer Lieblingsband zu spielen. Die Rolling Stones, Nirvana, die Backstreet Boys, egal wer! Also ein Woodstock der Physik, wenn man so mag.

Als Festkörperphysiker beschäftige ich mich mit den Eigenschaften und Wechselwirkungen von kondensierter Materie. Wie fließt der Strom durch ein Metall? Wie verbessere ich eine Solarzelle? Wie funktioniert ein Supraleiter?

Oft fangen die entscheidenden Prozesse, welche die Eigenschaften von Materialien bestimmen auf der Skala von wenigen Nanometern an (ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter!). Hier kommen die Wechselwirkungen einzelner Atome ins Spiel. Allerdings ist es unmöglich, diese direkt mit optischen Mikroskopen zu untersuchen. 1986 wurden jedoch zwei Techniken mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet, die mittels Elektronen Bilder auf der atomaren Skala erstellen können. Eine davon ist die Rastertunnelmikroskopie, welche Gerd Binnig und Heinrich Rohrer in den IBM Labs Zürich Anfang der 80iger Jahre entwickelten.

Mit dieser Technik beschäftige ich mich an der Universität Göttingen im Rahmen meiner Doktorarbeit. Das Funktionsprinzip kann man sich so ähnlich vorstellen wie das Lesen von Blindenschrift. Anstatt direkt die Schrift „optisch“ zu lesen, bewegt man den Finger darüber und ertastet die Oberfläche. Der Finger ist in unserem Fall eine sehr scharfe Metallspitze; die Schrift unsere Probenoberfläche. Wenn wir die beiden nun sehr, sehr nah (~1 Nanometer) aneinander bringen, so können die Elektronen der Probe auf die Spitze herüberhüpfen (sie „tunneln“, weil sie dabei den quantenmechanischen Tunneleffekt ausnutzen). Der dadurch entstehende Strom ist messbar und gibt uns Aufschluss über die lokale Struktur unserer Probe. Denn salopp gesagt, da wo Atome sind, fließt mehr Strom als da wo keine sind. Und auf diese Weise können wir durch Abrastern unserer Oberfläche Stromkarten erzeugen und so Atome „sehen“.

 

Rastertunnelmikroskopie-Aufnahme von Graphen. Photo: T. Druga/ P. Willke
Rastertunnelmikroskopie-Aufnahme von Graphen. Photo: T. Druga/ P. Willke

Aber ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte: Abbildung 1 zeigt eine Rastertunnelmikroskop-Aufnahme (Bildgröße 8 Nanometer). Das honigwabenförmige Gitter ist die atomare Struktur einer Graphit-Lage, das Material, welches wir abreiben, wenn wir einen Bleistift benutzen. Jedoch hat eine atomare Lage von Graphit ganz besondere Eigenschaften und wird Graphen genannt. Doch dazu später mehr.

Das Rastertunnelmikroskop gibt uns nämlich nicht nur die einmalige, faszinierende Möglichkeit, die Struktur und elektronischen Eigenschaften eines Materials zu erforschen. Wir sind nicht nur passive Beobachter: Unsere Spitze kann auch genutzt werden, um gezielt die Oberfläche der Probe zu verändern, zum Beispiel um einzelne Atome zu bewegen. Die IBM Arbeitsgruppe um Dr. Andreas Heinrich, bei der ich das letzte halbe Jahr forschen durfte, hat dies soweit perfektioniert, dass sie einen Film damit gemacht haben.

 

 

Was auf den ersten Blick wie atemberaubende Spielerei aussieht, hat durchaus eine ernste Fragestellung: Wie viele Atome braucht man beispielsweise um ein Bit (eine 1 oder 0 im Computer) zu speichern. Die aktuelle Antwort hierfür lautet: 12! Bis jetzt!

 

 

An der Universität Göttingen erforsche ich nun die elektronischen Eigenschaften von Graphen (Abbildung 1). Graphen versetzt seit gut einer Dekade die Welt der Physik in Aufruhr. Dies fing bereits damit an, dass es als unmöglich galt, Graphen herzustellen, da es das erste bekannte zweidimensionale Material war. Diese galten bis dato als instabil. Doch zwei Physikern, André Geim und Konstantin Novoselov, ist es dennoch gelungen, wofür sie 2010 mit dem Physik-Nobelpreis belohnt wurden. Und nicht nur das: sie haben auch gezeigt, was für faszinierende Eigenschaften Graphen hat. So ist es unglaublich stabil und trotzdem flexibel, fast vollständig transparent und hat außergewöhnliche elektronische Eigenschaften. Denn aufgrund der elektronischen Struktur von Graphen verhalten sich die Elektronen nicht wie gewöhnlich, nein, sie verhalten sich wie relativistische Teilchen. Solche werden unter anderem in riesigen Teilchenbeschleunigern zum Beispiel am CERN studiert. Graphen ist daher zum einen spannend für die Grundlagenforschung als ein Modellsystem für relativistische Physik; einfach und unkompliziert. Zum anderen ist es auch interessant für die Anwendung, gerade die Kombination der mechanischen, optischen und elektronischen Eigenschaften von Graphen. So werden womöglich schon bald flexible Touchpads und Elektroden auf Graphen-Basis (zusammen mit OLED-Displays) die erste Generation an biegsamen Handys und Tablets liefern.

 

Untersuchung des Stromflusses in Graphen in der Nähe von Defekten. Photo: P. Willke
Untersuchung des Stromflusses in Graphen in der Nähe von Defekten. Photo: P. Willke

In Göttingen beschäftigen wir uns jetzt mit dem Stromfluss in Graphen auf atomarer Skala. Dieser kann ebenso mit unserer Spitze gemessen werden wie in Abbildung 3 illustriert ist. Oft sind Materialien nämlich nicht perfekt auf der atomaren Skala. Sie haben Fehlstellen, atomare Stufen oder Fremdatome, die den Stromfluss behindern können. Den Widerstand, den zum Beispiel der Übergang von zwei zu einer Lage Graphen verursacht, konnten wir mit einer nie dagewesenen Auflösung charakterisieren.  Wofür das gut ist? Nun, ein Transistor in der aktuellen Generation von Computerchips hat momentan eine Größe von gerade mal noch 14 Nanometern und weniger, also gerade mal etwas größer als die Skala von Abbildung 1. Hier stören solche atomaren Defekte und deswegen erforschen wir ihre Eigenschaften.

Auf diese Weise haben wir ganz ungewollt die Resultate zweier Nobelpreise miteinander kombiniert. Die spannende Physik dahinter macht nicht nur Spaß, sondern gibt uns auch tiefe Einblicke in die Welt der Atome und Elektronen. Aber warum mit zwei aufhören? Die Nobelpreisträgertagung in Lindau hat aktuell 31 Nobelpreisträger und 400 Nachwuchswissenschaftler auf der Teilnehmerliste, für kreative Anregung für die Zukunft ist da gesorgt!

Philip Willke

Philip Willke is a PhD student at the department of physics, University of Göttingen. Focusing on solid state physics he is investigating the atomic scale properties of new materials, especially their behavior in local electric transport. In addition he is a successful science slammer advertising science and physics in public talks.