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Veröffentlicht 1. Juli 2010

Die Herausforderungen des Gerardus ‚t Hooft

Sie haben eine tolle neuartige Theorie darüber, wie das Universum funktioniert? Gerardus ‚t Hooft will’s nicht wissen. Stattdessen hat er auf seiner Webseite bei der Universität Utrecht eine kleine Anleitung – still under construction – wie man ein guter theoretischer Physiker wird.

Warum erzähle ich das? Weil er dort die Physik, und tatsächlich die gesamte Wissenschaft mit einem Wolkenkratzer vergleicht, der auf festen Fundamenten steht und an dessen obersten Stockwerken permanent gebaut wird. In seinem Lindau-Vortrag nun stand der niederländische Nobelpreisträger, so könnte man sagen, ganz oben auf die Spitze und zeigte uns die schemenhaften Konturen der zukünftigen Stockwerke im großen Gebäude der Physik.

Man könnte auch sagen, er hat uns nichts wirklich Neues erzählt, aber genau das hat er im Abstract des Vortrages ja auch angekündigt – die Physik sei so weit entwickelt, dass wir viele zukünftige Fortschritte schon ziemlich gut absehen können, wenn auch nicht in den feinen Details. Die to-do-Liste umfasst die Erforschung des Sonnensystems mit seinen Planeten und Monden, die Suche nach Exoplaneten und die Erforschung des Mikrowellenhintergrundes – bei letzterem sollte ihm vielleicht jemand mitteilen, dass der Satellit WMAP inzwischen acht Jahre alt ist und mit Planck längst einen Nachfolger hat.

Dazu die Teilchenphysik am LHC, die noch mal wirklich lustig wird, wenn sie kein Higgs-Teilchen finden, und natürlich der ganze Komplex Gen- und Biotechnologie, die seiner Meinung nach "food, water, energy, space colonisation" revolutionieren werden. Möglicherweise können wir dank Gentechnik bald sogar durch Null teilen. Aber wir wollen nicht ungerecht sein, schließlich geht es in diesem Vortrag um "Big Challenges", und all die Versprechen zu erfüllen, die der Biotechnologie in den letzten Jahren untergeschoben wurden, ist zweifellos eine beträchtliche Herausforderung.

Wo es um große Fortschritte geht, darf natürlich auch die Informationstechnologie nicht fehlen. Moore’s Gesetz ist der Ausgangspunkt für einen futurologischen Rundumschlag, den wir allerdings – Sorry, Gerard – auch schon ein paar mal wo anders gehört haben: Information wird billig und frei verfügbar sein, die Leistungsfähigkeit von Hard- und Software sich in ungeahnte Höhen aufschwingen und Roboter klein, billig und vielseitig sein. Künstliche Intelligenz wird intelligenter. Ich bin etwas überrascht, dass er hier nicht mehr auf Cluster, Schwärme und Verbünde abhebt, die zumindest bis vor einiger Zeit groß in Mode waren.

Völlig Recht hat ‚t Hooft allerdings mit der Anmerkung, dass wir uns werden entscheiden müssen, ob der Mensch in Zukunft das Sonnensystem besiedelt oder ob es Roboter tun sollen. Das ist eine Diskussion, die momentan weitgehend vom finanziellen Standpunkt betrachtet wird, aber tatsächlich handelt es sich um eine grundlegende kulturelle Entscheidung, die bewusst getroffen werden sollte.

Denn, und da stimme ich mit dem Laureaten überein, wenn die Menschheit die nächsten paar hundert Jahre übersteht, wird sie ihre technischen Möglichkeiten nutzen und langsam aber sicher bis ins äußere Sonnensystem vorstoßen – und ob wir das in Person tun wollen oder nur in Form mechanischer Diener, müssen wir uns gut überlegen.