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Veröffentlicht 26. Juni 2017 von Judith M. Reichel

„Wir sind nur wegen Euch hier“ – Martin Chalfie

Der erste volle Programmtag der Lindauer Nobelpreisträgertagung startet mit blauem Himmel, Nanorobotern von übermorgen, und der Frage nach der richtigen Kommunikation untereinander und mit der Öffentlichkeit.

Nach dem großen Sommerfest einschließlich Feuerwerk am Samstagabend, und der feierlichen Eröffnung mit Reden von Bundesforschungsministerin Johanna Wanka, Bettina Gräfin Bernadotte und Steven Chu – gehalten von William Moerner – am Sonntagnachmittag, begann am Montag das reguläre Programm der Lindauer-Nobelpreisträger-Woche. Bereits während dem gesamten Wochenende vibrierten die verwobenen und verwunschenen Gassen der malerischen Lindauer Altstadt mit Vorfreude und Leidenschaft für die Wissenschaft – sowohl von Seiten der Preisträger, als auch der talentierten und speziell ausgewählten 420 Nachwuchsforscher: aus allen Cafes und Restaurants konnte man Unterhaltungsfetzen über die Wissenschaft in den verschiedensten Sprachen aufschnappen.

Ben Feringa am 26. Juni 2017 in Lindau während seines Vortrags 'The Joy of Discovery'. Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings Lecture Bernard Feringa
Ben Feringa am 26. Juni 2017 in Lindau während seines Vortrags ‚The Joy of Discovery‘. Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

Den ersten Vortrag am Montagmorgen dann hielt Bernard L. Feringa, Nobelpreisträger aus dem letzten Jahr (2016) für seine Entwicklung molekularer Motoren. Über deren Entstehungsgeschichte berichtete er auch voller Begeisterung; doch noch viel mehr als der enorme Erkenntnissgewinn seiner Forschung, stand die Freude an seiner Arbeit im Mittelpunkt seines Vortrages – passenderweise betitelt „Die Freude der Entdeckung“. Und genau die vermittelte er auch dem internationalen Publikum. Und trotz seines hochkomplexen Forschungsgebietes von lichtreaktiven Molekülen, die ihre Konformation ändern und dadurch als Mini-Motoren eingesetzt werden können, sprang der Funke sofort über. Aber vermutlich war der wichtigste Rat, den er den gebannten Nachwuchswissenschaftlern mit auf den Weg gab: „Findet Euer Gleichgewicht, seid Euch im Klaren womit Eure Neugier gespeist wird, und woraus ihr Eure Energie beziehen könnt.“ Denn, so Feringa, zu jedem produktiven Forscherleben gehöre auch ein Freizeitausgleich, sei es das Mitfiebern bei wichtigen Fußballspielen oder Schlittschuhlaufen im Winter. Erst durch diesen für die Forscher so wichtigen Ausgleich, hätten sie überhaupt erst die mentalen Kapazitäten, um beispielsweise Nanoroboter schon bald Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Nobelpreisträger, der für Work-Life Balance wirbt – sicherlich eine der hervorragenden Besonderheiten der Lindauer Nobelpreisträgertagung.

Martin Chalfie in seiner Lecture, 67. Nobelpreisträgertagung (Chemie), Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings
Martin Chalfie während seines Vortags auf der 67. Lindauer Nobelpreisträgertagung (Chemie), Foto: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meetings

Und auch der nächste Vortrag von Martin Chalfie griff die besondere Stimmung der Lindau-Woche auf und forderte die Teilnehmer heraus, den Nobelpreisträgern möglichst viele und komplizierte Fragen zu stellen – schließlich seien diese alle wegen der Nachwuchswissenschaftler hier. Aber Chalfie lag zusätzlich zu seiner Forschung und der persönlichen Interaktion mit dem Publikum noch ein weiteres und sehr aktuelles Thema am Herzen: die Publikationen und das Publikationssystem. In Forschung und Wissenschaft gibt es kaum ein mehr diskutiert und debattiertes Thema – erst letzte Woche veröffentlichte die Nobel Foundation ein Video, in dem sie sich gegen den Hype um den Impactfator der Journals aussprach, und eine Rückbesinnung auf die tatsächliche Qualität der Forschung forderte.

Die Frage der „richtigen“ Kommunikation zwischen Wissenschaftlern untereinander, aber auch verstärkt zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit wurde am Nachmittag auch noch einmal im „Press Talk“ angesprochen. Organisiert von Deutsche Welle und moderiert von Zulfikar Abbany, diskutierten Nobelpreisträger William E. Moerner, Vizepräsdentin des Kuratoriums der Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau, Helga Nowotny, Vertreter der Mexikanischen Gastgeber Arturo Borja, und die Nachwuchswissenschaftlerinnen Marian Nkansah und Melania Zauri darüber, wie und was „alternativen Fakten“ entgegengesetzt werden kann. „Wir sind selbst für unsere Welt und unsere Umwelt verantwortlich“, so beginnt Zulfikar. Und auch wenn hier noch alle Teilnehmer und Zuhörer zustimmen, offenbaren sich doch bald große Diskrepanzen in dem kleinen Raum. Während Moerner und Nowotny tiefstes Vertrauen in die „Scientific Method“ pflegen, und das auch von Politikern und der Öffentlichkeit fordern, wünschen sich die anwesenden Journalisten etwas mehr Mut und Wut, wenn es darum geht „alternative Fakten“ in ihre Schranken zu weisen. Zurück bleibt die Gewissheit, dass mehr und besser kommuniziert werden muss – zwischen Wissenschaftlern, sei es Nachwuchs oder etabliert; zwischen Wissenschaftlern und Journalisten, und zwischen Journalisten und der Öffentlichkeit. Und alle Parteien tragen die große Verantwortung der faktenbasierten Wahrheit.

Yolanda Salinas presenting her research at the Poster Flashes, 67th Lindau Nobel Laureate Meeting (Chemistry), 25.06.2017 - 30.06.2017, Lindau, Germany, Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Yolanda Salinas präsentiert ihre Forschung bei den Poster Flashes, 67. Lindauer Nobelpreisträgertagung (Chemie), Foto: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Der letzte offizielle Programmpunkt des ersten Tages der 67. Lindauer Nobelpreisträgertagung sind Poster-Blitz-Vorträge der Nachwuchswissenschaftler. Ausgewählte Teilnehmer haben zwei Minuten Zeit, ihre neuesten Ergebnisse einem gemischten Publikum aus demselben Fachgebiet oder naheliegenden Forschungsgebieten zu präsentieren und qualifizierte Rückmeldungen zu erhalten. Der sogenannte „Elevator-pitch“ mit dem ein komplexes Projekt innerhalb weniger Minuten einem breiten Publikum vorgestellt wird, ist eine ausgezeichnete Übung für die Wissenschaftskommunikation – vielleicht lernen die jungen Wissenschaftler gerade nicht nur, wie sie die Roboter der Zukunft herstellen können, sondern auch, wie sie die neue Technik einem breiten Publikum schmackhaft machen können.

Früh übt sich, wer sich seine Zukunft selber bauen will – und heute war ja erst Tag 1.

Judith M. Reichel

Judith Reichel is a Neuroscientist by training, but during a two-year postdoc in New York she discovered her inner science advocate. She has been vocal as a science writer ever since, covering science policy issues as well as specific research topics. Now based in Berlin, Judith is working for the German Federal Ministry of Research and Education. However, her contributions for this blog solely reflect her own private opinions.