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Veröffentlicht 8. März 2018 von Neysan Donnelly

Die heilende Macht der Technologie

 

Die Allgegenwart von Smartphones und sozialen Medien ist ein überzeugendes Argument für ihren Einsatz zur Überwachung und sogar zur Verbesserung der psychischen Gesundheit. Wenn jeder bereits ein technisch hochentwickeltes Gerät in der Tasche trägt, warum sollte dessen Potential nicht genutzt werden? Mit Hilfe der ausgeklügelten Sensoren, mit denen diese Geräte ausgestattet sind, lässt sich kontinuierlich und unauffällig eine Fülle an Informationen erfassen, ohne dass der Nutzer selbst etwas dazu beitragen muss.

Dieses Konzept der passiven Sensorik existierte bereits vor der Erfindung des Smartphones und wird aktuell beispielsweise zur Überwachung des Schlafs und körperlicher Aktivitäten genutzt. Gerade weil diese Methode so unauffällig ist, eignet sie sich hervorragend für die Überwachung der psychischen Gesundheit, denn gerade in diesem Bereich ist ein sensibles, unaufdringliches Vorgehen angebracht. Apps, die aktuell für diesen Zweck genutzt werden, erfassen meist Daten über den Standort und die körperliche Aktivität sowie Informationen aus Telefonaten und Textnachrichten. Diese Daten werden von der Software ausgewertet, um festzustellen, ob sich beim Nutzer Anzeichen einer Depression bzw. Hinweise auf Einsamkeit oder Stress zeigen. Erste Studien haben gezeigt, dass dieses Konzept praktikabel und für die Beurteilung der psychischen Verfassung geeignet sein könnte. Auch im Vergleich zu herkömmlichen Methoden schnitt es positiv ab.

Eine mögliche Schwachstelle der Gesundheitsüberwachung durch das Smartphone ist die Frage nach der Datensicherheit. Neben der sicheren Übermittlung bzw. Verschlüsselung sämtlicher Daten ist die Nutzung personenbezogener Daten durch Dritte ein gleichermaßen wichtiges Thema. Ein weiterer offener Punkt ist die Frage, wie sich passive Sensorik am besten mit der Behandlung psychischer Probleme durch Fachkräfte kombinieren lässt.

Bei einer weiteren passiven Methode zur Überwachung des psychischen Zustandes kommen Algorithmen des maschinellen Lernens zur Anwendung. Das Programm durchkämmt Einträge in sozialen Medien nach sprachlichen Auffälligkeiten und anderen Mustern, die auf eine Depression oder Selbstmordgedanken hindeuten könnten. Bei diesem Konzept bestehen allerdings erhebliche Bedenken. Zum einen bleibt es fraglich, in welcher Weise Unternehmen wie Facebook die von ihnen erfassten Daten nutzen. Tatsächlich scheint das Unternehmen mit seinen Plänen in puncto Online-Datenschutz bereits gegen strenge EU-Gesetze verstoßen zu haben; im Jahr 2017 sah sich Facebook gezwungen, richtigzustellen, dass es zwar den Gefühlszustand der Nutzer ausgewertet, diese Informationen aber nicht an Dritte zu Werbezwecken weitergeleitet habe. Darüber hinaus bleibt Facebook zurückhaltend bei der Frage nach den genauen Methoden, mit denen es beunruhigendes Online-Verhalten ermittelt und wie die Algorithmen validiert werden. Die Situation bleibt angespannt.

Ein aktiveres Technologiekonzept zur Verbesserung der psychischen Verfassung sind sogenannte digitale Therapien, Apps, welche die Stimmung eines Nutzers täglich überwachen und gezielt Aktivitäten vorschlagen, die laut Angaben der Entwickler das Wohlbefinden fördern. In den letzten Jahren war eine auffallende Ausbreitung derartiger Tools zu beobachten; heute gibt es bereits tausende. Die große Auswahl von mittlerweile tausenden solcher Apps, die in vielen Fällen nie wissenschaftliche getestet wurden, veranlasstem den Vorsitzenden des Arbeitskreises zur Evaluation von Smartphone-Apps der American Psychiatric Association, die Situation als „…Wilder Westen des Gesundheitswesens“ zu beschreiben. Eine 2017 durchgeführte Metaanalyse sollte Licht ins Dunkle bringen. Die Autoren der Studie werteten Daten aus 18 randomisierten, kontrollierten Studien aus und kamen zu dem Schluss, dass Smartphone-Apps bei der Behandlung von Depressionen signifikante positive Effekte zeigten.

 

Digitale Therapien überwachen die Stimmung des Nutzers und schlagen Handlungen, um die psychische Verfassung zu verbessern. Photo/Credit: Martin Dimitrov/iStock.com

Eine weitere App namens iFightDepression wird aktuell in einer randomisierten Kontrollstudie in Spanien getestet. Die Anwendung wurde im Rahmen einer Initiative der European Alliance Against Depression entwickelt und soll „den Einzelnen im eigenständigen Umgang mit den Symptomen der Depression sowie bei der Förderung seiner Genesung unterstützen“. Das auf den Grundsätzen der kognitiven Verhaltenstherapie basierende Tool sieht neben dem Prinzip des Selbst-Managements auch eine Begleitung durch Ärzte und ausgebildete Fachkräfte vor. 

Neben den Fragen nach Datensicherheit und Validierung von Health-Apps, bestehen Bedenken, dass die willkürliche und übermäßige Nutzung solcher Tools wie auch der sozialen Medien das Wohlbefinden negativ beeinflussen könnte. Selbst der Social-Media-Riese Facebook hat jetzt eingestanden, dass sich Nutzer, die ihre Zeit mit dem „passiven Konsum von Informationen“ verbringen, danach schlechter fühlen. Salesforce CEO Marc Benioff forderte, dass Technologien und soziale Medien genau wie die Tabakindustrie reguliert werden sollten, da sie seiner Ansicht nach ein ähnliches Suchtpotenzial aufweisen und ähnliche Risiken für die psychische Verfassung bergen. Der einflussreiche Philanthrop George Soros beschrieb Social-Media-Unternehmen als „Bedrohung”, deren „Tage gezählt sind“. Auch viele Wissenschaftler führen die seit 2012 beobachtete massive Zunahme depressiver Erkrankungen bei US-amerikanischen Jugendlichen in erster Linie auf die explosionsartige Smartphone-Nutzung zurück.

Wenn Technologien selbst Symptome auslösen, sind dann technologie-basierte Lösungen wirklich die Antwort? Und wie stellen wir sicher, dass sensible personenbezogene Daten nicht in die Hände von „Bösewichten“ fallen oder in einer Art und Weise genutzt werden, die unser Recht auf Privatsphäre gefährdet? Nicht zuletzt bedeutet das ungezügelte Wachstum in diesem Sektor, dass Bemühungen zur Evaluation mit der großen Anzahl unterschiedlicher Apps und Konzepte nicht Schritt halten können. Potentielle Nutzer stehen darum einer gigantischen Palette an Produkten zweifelhafter Wirksamkeit gegenüber. Wie der Wilde Westen steckt das technologie-basierte Konzept der Überwachung und Verbesserung der psychischen Gesundheit voller Potenzial; aufgrund fehlender Regulierung und dem Mangel an wissenschaftlichen Evaluationen birgt es aber auch Gefahren.

Neysan Donnelly

Neysan Donnelly arbeitet als Projektmanager und Wissenschaftsautor im Rheinland. Er schloss seine Doktorarbeit beim Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ab.