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Veröffentlicht 15. Februar 2018 von Ralph Burmester

„Die Qualität der Studenten ist enorm gestiegen.“

Edmond Fischer während der 61. Lindauer Tagung. Picture/Credit: Lindau Nobel Laureate Meetings

 

Anlässlich der 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung im Jahr 2015, sprach Wissenschaftshistoriker Ralph Burmester mit Nobelpreisträger Edmond Fischer über seine erste Lindauer Tagung und die Entwicklung der Lindauer Tagungen seit den frühen 1990ern. Dieses Interview ist Teil des Buches ‚Wissenschaft aus erster Hand – 65 Jahre Lindauer Nobelpreisträgertagungen‘.

 

Ralph Burmester: Was für Erwartungen hatten Sie, als Sie 1993 das erste Mal nach Lindau kamen?

Edmond Fischer: Ich weiß noch genau als ich das erste Mal von Lindau erfuhr. Das muss vor etwa fünfundvierzig Jahren gewesen sein. Ich war mit der Fluggesellschaft TWA auf dem Weg nach Europa, und hinter mir saß George Wald. Im Laufe unserer Unterhaltung erzählte er mir von seinem Reiseziel, einer Stadt namens Lindau am Bodensee, wo Nobelpreisträger vor zahlreichen Studenten Vorträge halten würden. Und ich dachte mir: Das muss doch für junge Forscher ein großartiges Erlebnis sein, in einem so zwanglosen Ambiente einigen der führenden Wissenschaftler unserer Zeit dabei zuzuhören, wie sie über ihre Arbeit sprechen. Es muss doch für die Nobelpreisträger unheimlich bereichernd sein, sich mit begabten Studenten aus der ganzen Welt austauschen zu können. Es ist also kein Wunder, dass ich mit großer Begeisterung zusagte, als mich Graf Lennart und Gräfin Sonja 1992 bei meinem Besuch der Nobel-Preisverleihung in Stockholm einluden.

 

Was war Ihr persönlicher Eindruck der Nobelpreisträgertagungen?

Zusammen mit meiner Frau Bev reiste ich 1993 das erste Mal nach Lindau. Und die Tagung war genauso, wie wir sie uns vorgestellt hatten, und mehr. Wir waren überwältigt vom liebenswürdigen und freundlichen Empfang. Wir wurden alle im Hotel Bad Schachen untergebracht, einem schicken und charmanten, alten Hotel mit wunderschönem Garten am See, und sind oft gemeinsam am Ufer entlang zur Inselhalle spaziert, wo die Tagung stattfand. Etliche Freunde von uns waren dort, und wir trafen viele andere Nobelpreisträger, die wir bisher nur vom Namen her kannten. Die Eröffnungszeremonie war sowohl feierlich und getragen. Aber auch wunderlich, mit den vielen extravaganten Hüten, die Gräfin Sonja im Laufe der Feier vorführte. Und sowohl die Vorträge als auch die anderen Aktivitäten, wie zum Beispiel der Freitagsausflug nach Mainau, waren hervorragend.

 Diese Tagungen werden für sie ausgerichtet, für die Studenten, nicht für die Nobelpreisträger.

Welche Aspekte dieser Tagungen bedeuten Ihnen so viel, dass Sie seit 1993 schon sehr oft teilnahmen?

Die Chance viele Freunde zu treffen, sowohl Freunde aus Lindau als auch andere Nobelpreisträger. Die Gelegenheit frischgekürten Nobelpreisträgern zu begegnen, die ich vorher nicht kannte, und mir ihre ausgezeichneten Vorträge anzuhören. Und natürlich die Aussicht, Studenten aus aller Welt zu treffen und mich mit ihnen zu unterhalten. Diese Tagungen werden für sie ausgerichtet, für die Studenten, nicht für die Nobelpreisträger.

 

Welche Dimension dieser Tagungen bietet Ihrer Meinung nach den größeren Vorteil: die wissenschaftliche oder die soziale Dimension?

Zweifelsohne der wissenschaftliche Beitrag dieser Tagungen. Die sozialen Aktivitäten, die zur Geselligkeit einladen, sind natürlich sehr angenehm, denn sie bieten die Gelegenheit sich mit anderen Leuten auszutauschen und sich zwischen den anstrengenden Programmpunkten zu erholen. Dennoch spielen sie nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu dem, was sich die Lindauer Tagungen zur Mission gemacht haben, nämlich junge Forscher zu inspirieren, zu motivieren und zu vernetzen.

 

Edmond Fischers Sketch of Science. Picture/Credit: Volker Steger/Lindau Nobel Laureate Meetings

Was für Themen besprechen Sie mit den jungen Nachwuchswissenschaftlern?

Natürlich Themen mit Bezug auf das eigene Fachgebiet. Die Studenten kommen zu dir nachdem sie deinen Vortrag gehört haben und ihnen aufgefallen ist, dass Ausschnitte davon für ihre eigenen Forschungsprojekte von Relevanz sind. Und diejenigen Studenten, die bereits wissenschaftliche Forschung betreiben, brennen natürlich darauf dir zu erzählen womit sie sich beschäftigen.

 

Es wird berichtet, dass sich das wissenschaftliche Niveau seit der interdisziplinären Jubiläumstagung stark verbessert hat, dank dem hiesigen Organisationskomitee. Zudem ist es auch internationaler geworden. Mich würde interessieren, wie Sie diese Entwicklung sehen: War sie für Sie sehr vorteilhaft?

Ja, in der Tat. Die Qualität der Studenten ist enorm gestiegen. Ich kann mich noch gut erinnern als ich vor 20 Jahren eine Gruppe Studenten traf, die nicht mal in der Wissenschaft tätig waren. Sie waren nach Lindau gekommen um Spaß zu haben, um mit Freunden Zeit zu verbringen. Manche von ihnen besuchten keinen der Vorträge und nahmen an keiner Gruppendiskussion teil. Lindau war damals praktisch nicht bekannt. Die Universitäten sowie die Mehrheit ihrer Dozenten hatten noch nie davon gehört, und sie hatten keinen Anreiz, Studenten vorzuschlagen oder ihnen Empfehlungsschreiben auszustellen. Heute hingegen sind die Lindauer Tagungen in der ganzen Welt bekannt, und es findet quasi ein Wettbewerb statt zwischen den verschiedenen Institutionen: denn jede möchte, dass einer ihrer Studenten eingeladen wird. Und sie fühlen sich sehr geehrt, wenn das geschieht.

 

Dieses Interview ist Teil des Buches  ‚Wissenschaft aus erster Hand – 65 Jahre Lindauer Nobelpreisträgertagungen‘

Wie gefallen Ihnen die interdisziplinären Tagungen, die seitdem alle fünf Jahre stattfinden?

Sehr gut. Sie bieten eine gute Gelegenheit mehr über die aktuellen Ereignisse und neuen Entwicklungen in den verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen zu erfahren, und unsere Freunde zu treffen, die in diesen anderen Disziplinen tätig sind. Diese Tagungen gefallen mir sogar am besten.

 

Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach maßgeblich dazu bei, dass die Lindauer Nobelpreisträgertagungen ein wahrer Erfolg sind?

Hervorragende Vorträge, die wunderschöne Umgebung in Lindau, Bad Schachen und Mainau, und die Wärme, Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit mit der wir empfangen werden.

 

Was bedeutet für Sie der ‘Spirit of Lindau’?

Inzwischen fühle ich mich als Teil der Lindau-Familie.

 

Welche Hoffnungen und Erwartungen haben Sie für die Zukunft der Lindauer Nobelpreisträgertagungen?

Sie können nur wachsen. Es ist wie bei einer Oper: Es braucht Jahre bis der Ablauf perfektioniert wird. Meiner Meinung nach werden die Tagungen heutzutage unter der Führung von Sonja und Bettina und mit großer Unterstützung des Lindau-Teams einwandfrei und höchst effizient durchgeführt. Das eingespielte Team sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Hinzu kommen die außerordentliche Qualität und das beispiellose Engagement der Studenten

 

 

Ralph Burmester

Ralph Burmester M.A. works as a curator and science historian at Deutsches Museum Bonn. For his book "Science at First Hand – 65 years Lindau Nobel Laureate Meetings" he received the publication award of Deutsches Museum.